»Wir sind die Clowns«
Kappes, 25, derzeit erfolgreichster deutscher Radprofi, startet für den belgischen Rennstall Histor Sigma. Der gebürtige Bremer hat in dieser Saison schon sechs Rennen gewonnen und liegt auf Rang 15 der Weltrangliste.
SPIEGEL: Die französische Sportzeitung L'Equipe hat Sie zum erfolgreichsten Fahrer der bisherigen Saison gewählt - doch in Deutschland werden Ihre Erfolge kaum beachtet. Frustriert Sie das?
KAPPES: Das ist mir ganz recht so, da muß ich nicht jetzt schon Angst haben, wenn es mal nicht so läuft. In Deutschland hat man es schwer als Star. Entweder gilt man als Held oder als Pflaume. Normal behandelt dich keiner.
SPIEGEL: Sind Sie deswegen vier Jahre lang für ausländische Teams gefahren?
KAPPES: Ich muß nicht unbedingt bester Deutscher in einem deutschen Stall sein. In Frankreich habe ich gelernt, in diesem Geschäft zu überleben. Als im vergangenen Jahr die Erfolge fehlten, galt ich zwar als das »deutsche Arschloch«, aber der Druck war trotzdem nicht so groß wie in Deutschland. Da giltst du mit einem zweiten Platz schon als Versager.
SPIEGEL: Aber Ihre derzeitige Mannschaft Histor Sigma soll in der kommenden Saison unter deutscher Regie als deutscher Rennstall starten.
KAPPES: Das steht noch gar nicht fest. Im Moment herrscht eher Unsicherheit. Bisher gab es viele Versprechungen, aber es fehlt immer noch ein Co-Sponsor. Es ist gar nicht so einfach, ein Unternehmen zu finden, das, wie in Belgien, Italien oder Frankreich, ein paar Millionen Mark für einen Radrennstall lockermacht. Ich habe ohnehin nur einen Jahresvertrag. Und wenn ich gehe, glaube ich kaum, daß dieser Stall jemals deutsch wird.
SPIEGEL: Aber Deutschland ist doch längst eine Radsportnation. Mit den Spitzenfahrern aus der ehemaligen DDR gibt es so viele deutsche Profis wie seit Thuraus Zeiten nicht mehr.
KAPPES: Von einem Radsportland sind wir noch weit entfernt. Auch die Leute aus der ehemaligen DDR werden nicht alles in Grund und Boden fahren. Die kamen letztes Jahr hier an, waren total übermotiviert und haben trainiert wie die Weltmeister. Die sind auch schon ruhiger geworden.
SPIEGEL: Keiner der deutschen Stars fährt bei Telekom, dem einzigen deutschen Team. Wäre das nicht eine Herausforderung für Sie?
KAPPES: Ich wäre dort die Nummer eins, und die anderen müßten für mich schuften. Ich glaube nicht, daß das funktionieren würde. Nicht einmal bei den Weltmeisterschaften in Stuttgart in diesem Jahr wird ein Deutscher gewinnen. Die arbeiten alle gegeneinander, es herrschen Neid und Mißgunst.
SPIEGEL: Der Radsport wird traditionell von Egoisten dominiert.
KAPPES: Natürlich muß jeder Egoist sein, Freunde gibt es kaum. Was mich zum Beispiel mit meinem deutschen Teamkollegen Remig Stumpf verbindet, ist im Radsport einzigartig. Drei Siege in dieser Saison verdanke ich ihm, weil er mir bis kurz vor dem Ziel Windschatten geboten hat.
SPIEGEL: In Ihrem Stall fährt auch Uwe Ampler. Er gilt als der einzige Deutsche, der die Tour de France gewinnen kann. Da können Rivalitäten doch gar nicht ausbleiben.
KAPPES: Das hätten einige wohl gern, wenn wir uns gegenseitig fertigmachen würden. Aber wir verstehen uns prächtig, lachen viel und sind sogar auf einem Zimmer. Von Feindschaft ist keine Spur.
SPIEGEL: Stört es Sie nicht, daß Ampler sich bei den Frühjahrsrennen schont wie die Stars LeMond, Breukink oder Delgado und sich nur auf die Tour de France vorbereitet?
KAPPES: Das ist sein Problem. Natürlich ist die Tour für alle, Sponsoren und Fahrer, das weitaus wichtigste Ereignis im Jahr.
SPIEGEL: Wer ist Ihr Tour-Favorit?
KAPPES: Jetzt müßte ich eigentlich Ampler sagen.
SPIEGEL: Glauben Sie nicht an seine Chancen?
KAPPES: Er wird es wahnsinnig schwer haben, er ist ja noch ein Anfänger bei den Profis. Die großen Mannschaften haben so viele Spitzenfahrer, da kommen wir nicht mit. Das Risiko, sich nur auf die Tour zu konzentrieren, wäre mir ohnehin zu groß. Eine Erkältung, eine Magenverstimmung oder ein schlechter Tag - schon ist man weg vom Fenster und wird öffentlich als Versager hingerichtet. Dann möchte ich nicht in seiner Haut stecken.
SPIEGEL: Sie haben 1989 angekündigt, daß Sie in diesem Jahr zu den Großen des Radsports gehören werden. Müßten Sie dazu nicht auch bei der Tour vorne mitfahren?
KAPPES: Ich kann eben nicht über Wochen Tag für Tag konstant stark fahren. Mit 27 oder 28 Jahren blühen viele Fahrer erst richtig auf. Man muß im Radsport unglaublich viel Geduld haben.
SPIEGEL: Warum sind Rennfahrer wie Dietrich Thurau oder Rudi Altig in Deutschland noch immer populärer als Sie, Ampler oder Rolf Gölz?
KAPPES: Altig war Weltmeister, Thurau war 14 Tage Spitzenreiter der Tour de France. Das hat noch keiner von uns geschafft. Das waren Typen, die hatten einfach Ausstrahlung.
SPIEGEL: Die Sie nicht haben?
KAPPES: Doch, aber anders. Die ganze Szene hat sich in den vergangenen Jahren gewaltig verändert. Da gibt es keine Respektspersonen mehr wie Eddy Merckx, Bernard Hinault oder Francesco Moser. Wenn die langsam fahren wollten, dann fuhren alle langsam. Heute wird auf Stars keine Rücksicht mehr genommen, jeder legt vom Start weg los wie ein Irrer.
SPIEGEL: Den Fans kann es doch nur recht sein, wenn die Rennen schneller werden.
KAPPES: Aber es wird auch immer brutaler gefahren. Wenn im Ziel 20 oder 30 Fahrer anfangen zu sprinten, frage ich mich ehrlich, ob ich da mitmachen soll. Da habe ich manchmal Angst um mein Leben. Wer da stürzt, ist verloren.
SPIEGEL: Das Risiko wird doch ordentlich bezahlt. Jahresgagen von einer halben Million Mark sind keine Seltenheit mehr.
KAPPES: Das wird maßlos übertrieben. Was sind diese Summen schon im Vergleich zu Fußballern oder Tennisspielern? Wir ackern bei Regen und Eis, sehen aus wie die Schweine und kommen dann womöglich als hundertste ins Ziel. Ich habe mir diesen Job freiwillig ausgesucht und bin auch nicht unglücklich dabei. Aber im Endeffekt sind wir doch die Clowns. Das große Geld verdienen Veranstalter, Sponsoren und vielleicht noch Ausnahmefahrer wie Greg LeMond.
SPIEGEL: Was, außer dem Verdienst, unterscheidet Sie denn noch von Le-Mond?
KAPPES: Wenn ich das wüßte, wäre ich auch soweit. Ich bin auf dem Rad ein Mensch, der seine Grenzen hat. Le-Mond ist ein Tier, der kennt keine Grenzen. Das bewundere ich.