
Winter-Turnier in Katar So deprimierend ist Public Viewing im Advent


Ort der Besinnlichkeit: Weihnachtsmarkt in Dresden
Foto: Matthias Rietschel / dpaBei der wohl irrsten WM aller Zeiten passieren irre Dinge. Unser Kolumnist würdigt täglich die schillernden, absurden, schönen und durchgeknallten Katar-Momente. Lesezeit: Garantiert unter einer Minute.
Ein Weihnachtsmarkt in der Hamburger Innenstadt, ein Selbstversuch: Lassen sich zwei mittelmäßige Dinge – Fußball-WM in Katar und »Winzer-Glühwein« – zu etwas Gutem kombinieren?
Ich stelle mich an den Glühweinstand und starte die ARD-App auf dem Handy. Schweiz gegen Brasilien, in voller Lautstärke. In Katar sind es 25 Grad, leicht bewölkt. Hamburg: vier Grad, Regen. Von oben tropft es kalt in meinen Nacken.
Kurz vor Beginn der WM haben viele deutsche Weihnachtsmärkte abgelehnt, Fußballspiele zu übertragen. Kein Public Viewing. Nur Public Drinking. Es war eine Trotzgeste, ein besinnliches »Fuck you« in Richtung Katar: Wir können auch ohne Fußball fröhlich sein!
Auf meinem Handy sind leicht bekleidete Frauen zu sehen, die grün und gelb geschminkt sind. Vielleicht eine Kälte-Halluzination. Meine Zehen frieren. Die Fans und Spieler auf dem Bildschirm sind klein wie Ameisen. Dann schießt Vini Junior zu Casemiro, der haut den Ball ins Netz. 1:0 für Brasilien. Ich rufe: »Tor!« Eine Mutter ruft: »Ben, komm sofort aus dem Regen raus.«
Wenn man allein in der Kälte steht, wärmt ein Becher Glühwein, 0,2 Liter, für ungefähr neun Minuten. Ich habe das gestoppt. Macht für 90 Minuten plus Halbzeitpause in etwa zehn Glühwein. Das Tolle ist, wer hier zehn Glühwein bestellt, bekommt den elften gratis und darf sich dann eigenständig im nachhaltigen Holzklo neben der Kirche übergeben.
Fazit: Besinnlich liegt nicht weit entfernt von besinnungslos, der Fußball hat verloren, und Glühwein bleibt eine Erfindung des Satans.