Zur Ausgabe
Artikel 53 / 110

BASKETBALL Zweiter Vater

Seit vier Wochen sitzt Dirk Nowitzkis Mentor und Manager in Haft. Die Staatsanwaltschaft glaubt nicht, dass Holger Geschwindner dem NBA-Star unentgeltlich dient.
aus DER SPIEGEL 33/2005

Immer wieder musste er sich diese Frage anhören. Jedes Jahr, wenn sich Ex-Nationalspieler Holger Geschwindner bei den Basketball-Seniorenmeisterschaften blicken ließ, wollten seine alten Weggefährten von ihm wissen: »Mensch Holger, wo hast du die Millionen vergraben?«

Geschwindner, 59, ist der Entdecker und Mentor von Dirk Nowitzki, dem NBA-Star und nach Michael Schumacher bestverdienenden deutschen Sportler. Da werde doch sicher was für ihn abfallen. Aber Geschwindner sagte jedes Mal nur: »Ehrlich, ich krieg nichts.« Und seine Kumpel fanden sich mit der Antwort ab.

Die Staatsanwaltschaft Hof jedoch gibt sich nicht mit derlei Beteuerungen zufrieden. Am 18. Juli standen die Ermittler mit einem Durchsuchungsbefehl bei Geschwindner vor der Tür, und seit dem folgenden Tag sitzt der Kapitän des deutschen Olympia-Teams von 1972 in Untersuchungshaft. Abgeschottet in einer neun Quadratmeter kleinen Einzelzelle. Sein Anwalt darf ihn besuchen, seine Lebensgefährtin nicht. Geschwindner wird Steuerhinterziehung vorgeworfen. Der Schaden soll drei Millionen Euro betragen.

Die Ermittler konzentrieren sich auf einen Vertrag aus dem Jahr 1996. Demzufolge stehen Geschwindner 20 Prozent der Bruttoeinnahmen von Nowitzki zu, der momentan bei den Dallas Mavericks in sechs Jahren 80 Millionen Dollar kassiert. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Geschwindner Geld erhalten, aber nicht versteuert habe.

Dagegen erklärt Geschwindners Würzburger Anwalt Dieter Hoffmann, der Vertrag sei »nie aktiviert« worden. Seine Version lautet: Zunächst wollte Nowitzki für ein amerikanisches College-Team spielen, das so einen Manager-Vertrag nicht erlaubt hätte. Als der Basketballer dann 1998 doch direkt NBA-Profi wurde, mit einem Jahresgehalt von durchschnittlich 1,7 Millionen Dollar, habe Geschwindner darauf bestanden, dass der Jungprofi erst mal Rücklagen bilde. Und als Nowitzki bei den Mavericks schließlich zum Großverdiener aufstieg, habe sein Förderer aus Selbstlosigkeit auf den Anteil verzichtet. »So bin ich unbestechlich«, erklärte Geschwindner.

Ehemalige Kollegen aus dem Nationalteam bestätigen, dass sich der eigenwillige Einzelgänger nichts aus Geld mache. Auch Marco Baldi, Vizepräsident des Bundesligisten Alba Berlin, meint: »Kriminelle Energie passt null Komma null zu seinem Wesen.«

Andererseits halten ihn viele für einen beratungsresistenten Spinner. Seine Visitenkarte ist ein Stückchen Papier mit einem Foto von Albert Einstein drauf. Über seinen Kontaktdaten nennt er als Firmennamen »Institut für angewandten Unfug«.

Geschwindner hat Physik und Mathematik studiert, er arbeitete am Max-Planck-Institut in München und ist jetzt selbständiger Projektentwickler in Bamberg. Er berechnet, wie viele Stützen und Motoren eine Seilbahn braucht, er hat aber auch schon mal eine Farm in Mississippi vor der Pleite gerettet.

Sein größtes Projekt ist jedoch Dirk Nowitzki. Vor zehn Jahren liefen sich die beiden zufällig über den Weg, und Geschwindner entwickelte, wie er einmal formuliert hat, den »hybriden Plan«, den Hochbegabten spätestens in fünf Jahren fit zu machen für die NBA. In täglichen Sonderschichten verpasste er ihm den nötigen Feinschliff.

Und weil Geschwindner nicht nur den Sportler Nowitzki formen wollte, sondern auch den Menschen, ließ er seinen Schützling von Weizsäckers »Die Geschichte der Natur« lesen, quälte ihn mit Nietzsche und Kant und kaufte ihm ein Saxofon. Dass Nowitzki Beethoven hört und Texte aus Mozarts »Figaro« auswendig kann, das alles liegt an Geschwindners Einfluss.

Wohl kein anderer deutscher Profisportler wird so von einer Person gesteuert wie Nowitzki. Fast täglich telefoniert der Schlaks mit dem Mann, den er als seinen »zweiten Vater« bezeichnet. Und wenn der NBA-Held den Korb nicht trifft, setzt sich Geschwindner ins nächste Flugzeug, um an der Wurftechnik des Protegés zu feilen. Alle Anfragen und Angebote landen auf Geschwindners Tisch.

Die Beziehung ist so eng, dass jetzt sogar der Erfolg der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft Mitte September gefährdet ist. Denn vor so einem Turnier verschreibt Geschwindner seinem Zögling üblicherweise Einzeltraining - Nowitzki muss sein amerikanisch geprägtes Spiel den europäischen Regeln anpassen.

Sollte Geschwindner noch länger in Haft bleiben, wollen die beiden im Knast trainieren. Die Justizvollzugsanstalt Hof besitzt eine kleine Halle mit Schwingboden und zwei Basketballkörben. Doch selbst wenn der Coach noch rechtzeitig freikommt, ist das Problem nicht ganz gelöst. Wenn Geschwindner, wie in Fällen von Fluchtgefahr üblich, seinen Pass hinterlegen muss, kann er Nowitzki nicht zur EM nach Serbien und Montenegro begleiten.

Anwalt Hoffmann stellt seinen Mandanten als Opfer einer chaotischen Buchhaltung dar. Die Ermittler fanden bei Geschwindner Schuhkartons mit unsortierten Rechnungen.

In Behördenkreisen schenkt man dieser Fassung wenig Glauben. Es heißt, Geschwindners Ansprüche seien mit einem alten Trick beglichen worden: mit zwei Darlehen von Nowitzki, die nicht zurückgezahlt wurden. MAIK GROßEKATHÖFER,

CONNY NEUMANN

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 53 / 110
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten