Sextäter-Datei Dem Nachbarn auf der Spur
Wer als verurteilter Sexualstraftäter nach Verbüßung seiner Haftstrafe nach New York ziehen möchte, kann das natürlich tun. Allerdings muss er damit rechnen, dass sein Foto, sein Name und seine Adresse online abrufbar sein werden. Auf Internetseiten wie "Parents for Megans Law" werden Daten über Vergewaltiger, Pädophile und Kinderschänder gesammelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Methode ist ganz einfach: Man tippt einen Namen, eine Postleitzahl oder eine Stadt in den Computer ein und schon spuckt die Datei Listen einschlägig Vorbestrafter in der Nachbarschaft aus. Inklusive Foto, Anschrift und Strafregister. In ganz Amerika sind mittlerweile 540.000 Akten angelegt und Online einzusehen.
Eine Gemeinde auf Long Island, etwa 100 Kilometer östlich von Manhattan nimmt es mit Informationsfreiheit besonders genau zur Freude von Anwohner John Sicignano. Jeden Morgen tippt er seine Postleitzahl in die Sexualstraftäter Datei New Yorks ein. Für alle jene, die nicht so oft im Internet nachsehen können, führt er Buch über seinen Bezirk. Jeden Internet-Eintrag druckt er aus, schaut wöchentlich nach, ob jemand umgezogen ist und vergewissert sich, ob nicht im näheren Umkreis ein neuer Kindergarten aufgemacht hat.
Im August 2006 blicken ihm gleich zwei neue Gesichter aus dem Computer entgegen. An sich nichts ungewöhnliches, doch sie haben beide ein und dieselbe Adresse: 115 Eleanor Avenue. Wenig später zieht noch ein dritter Triebtäter in das kleine blaue Haus ein. Sicignano, Präsident der "Mastic Civic Association" ist klar: Er muss etwas unternehmen.
Mit selbst gemachten Pamphleten geht er von Haus zu Haus, um die Bewohner der Eleanor Avenue aufzuklären. Er hält flammende Reden vor empörten Nachbarn. Das zeigt Wirkung: Donald Keegan, der ein paar Straßen weiter wohnt, übermannt angesichts der Nachrichten die Furcht um Frau und Tochter. Er schmiedet einen grausigen Plan. Niederbrennen will er das Haus, mitsamt seiner Bewohner. Weil er ohne es zu wissen Verdeckte Ermittler einweiht, fliegt der Anschlagsplan auf. Jetzt sitzt er in Haft und wartet auf seinen Prozess.
Anthony Pendelton war einer jener Männer, die sterben sollten. Dabei wollte er in der Eleanor Avenue ein neues Leben anfangen. Knapp sieben Jahre lang saß er im Gefängnis die Strafe für ein sexuelles Vergehen an einem neunjährigen Mädchen, so zumindest ist es nachzulesen in seiner Internet-Datei. "Die Leute lesen das und wissen nichts über mich, sie wissen nicht was damals passiert ist und wer ich eigentlich bin", sagt er und schüttelt resigniert mit dem Kopf. Von Schuld oder Unschuld will er nicht sprechen. Nur davon, dass er endlich fort will aus dieser Gegend.
Von der Eleanor Avenue ist er zunächst nur ein paar Meilen weiter gezogen, nach Coram, wo Bernadette Parks in den elf Häusern, die sie für ihre bettlägerige Mutter verwaltet, hauptsächlich frisch entlassene Häftlinge unterbringt. Das Geschäft blüht: 30 Sexualstraftäter gehören zu ihren Mietern. Für jeden bekommt sie knapp 400 Dollar Zuschuss vom Staat. "In all den Jahren, in denen wir das machen, ist noch nie etwas passiert. Es sind alles nette Menschen. Sie tun mir leid, und es ist schade, dass sie durch ihr Handeln in solch eine Falle geraten sind. Jeder kann mal einen Fehler machen." Eine Einstellung, die Laura Ahearn, Direktorin von "Parents for Megans Law", für einen gefährlichen Fehler hält. Triebtäter, das steht für sie fest, sind unheilbar krank und können jederzeit rückfällig werden. "Ich weiß nicht, ob ein Sexualstraftäter wirklich die Chance verdient, sein Leben neu anzufangen. Sexualstraftäter operieren im Verborgenen, sie sind gerissen und schaffen es anonym zu leben, um potentiellen Opfern zu begegnen."
So wie die kleine Megan Kanka. Im Juli 1994 war die Siebenjährige von ihrem 33-jährigen Nachbarn Jesse Timmendequas vergewaltigt und erwürgt worden. Der Mann verscharrte ihre Leiche in einem Park. Als die Eltern erfuhren, dass der Nachbar ein zweimal vorbestrafter Triebtäter war, verlangten sie die Einführung einer Meldepflicht. Sie waren sicher: Hätten sie von seiner Vergangenheit gewusst, wäre ihr Kind noch am Leben.
Zwei Jahre nach Megans Tod, trat ein nach dem Mädchen benanntes Gesetz, "Megans Law", in Kraft. Wird heute ein verurteilter Sexualstraftäter aus der Haft entlassen, bleibt seine Anschrift mindestens zehn Jahre lang öffentlich. Jeder Umzug wird gemeldet, jedesmal werden die neuen Nachbarn von der Polizei informiert. Wer es genau wissen will, der kann in einer von Dutzenden kostenlosen Internet-Suchmaschinen nachsehen, wer der neue Nachbar wirklich ist.
Vor wenigen Wochen konnte John Sicignano wieder einen Erfolg verbuchen: Bei der Überprüfung eines Sextäters stellte er fest, dass in unmittelbarer Nähe zum Haus des Mannes ein Kindergarten eröffnet wird. Cecil Midgetts, 63, hatte 1994 ein sechsjähriges Mädchen missbraucht. Die Adresse stimmt, doch auf der gegenüber liegenden Straßenseite soll demnächst eine Kindertagesstätte eröffnet werden. John zückt das Mobiltelefon und informiert sofort die zuständigen Behörden. Cecils Vermieter, ein alter Freund, der ihm aus Mitleid ein Hinterzimmer seiner Werkstatt vermietet, bietet sofort an, den Freund vor die Tür zu setzen. Doch John winkt ab: Er wird einfach in der nächsten Zeit ein besonders achtsames Auge auf Cecil werfen.
SPIEGEL TV Magazin, 7. Januar, 23.45 - 00.35 Uhr, RTL