Phänomen Burnout Erst gebrannt - dann ausgebrannt!

Müdigkeit am Arbeitsplatz (Symbolbild): Oft ein Anzeichen des Burnout-Syndroms
Foto: CorbisDas Krankheitsbild ist diffus, die Symptome sind vielschichtig: Von Hörsturz, Drehschwindel, Schlafstörungen bis zu Angstzuständen und Herzbeschwerden reichen die Anzeichen. Nicht selten verbirgt sich dahinter eine handfeste Depression, an der 15 bis 20 Prozent der Deutschen einmal in ihrem Leben erkranken.
Burnout ist ein Symptom, keine Diagnose; es kann jeden treffen.
Es überfiel die talentierte Sprachwissenschaftlerin urplötzlich am helllichten Tag in der Bremer Universitätsbibliothek: "Ich wollte lesen und war so betrübt und hatte eine Sorge in mir und fünf Minuten vor zwölf bekam ich, bäng, eine Angstpanikattacke, begleitet mit dem Gefühl, als ob jemand gestorben sei. Diese Angst ist so stark, dass man davon gefesselt ist. Ich hatte Todesangst; ich dachte jede Sekunde: Jetzt passiert was, jetzt passiert was, ich wusste aber nicht was, ich wusste nur: Was Schreckliches! Jetzt werde ich sterben", erinnert sich Reyhan Sahin. Zusätzlich zu ihrer wissenschaftlichen Karriere trieb die zielstrebige Deutsch-Türkin auch ihr künstlerisches "Alter Ego" immer wieder zu körperlichen wie emotionalen Höchstleistungen an. Als skandalumwitterte Rapperin "Lady Bitch Ray" veröffentlichte Sahin obszöne Songs mit pornografisch anmutenden Texten. 2009 wurde Sahin ihre arbeitsintensive Gratwanderung zwischen wissenschaftlicher Karriere und skandalumwitterter Show zu viel. Sie sagte sämtliche Termine und Auftritte ab und ließ sich wegen Depression und Burnout behandeln.
Der 42-jährige Armin S. führte ein Leben auf der Überholspur. Er agierte erfolgreich als Marketingchef eines internationalen Konzerns und wurde dafür gefeiert. Dann wechselte er in die Führungsspitze einer internationalen, deutschen Traditionsfirma, die über die Jahre in Schieflage geraten war. Ihn reizte, das angestaubte Unternehmen einmal gründlich umzukrempeln und ihm einen zeitgemäßen Markencharakter zu verpassen. Doch er rannte mit seinen Konzeptentwicklungen bei der alten Garde der Geschäftsführer gegen die Wand, Wertschätzung gab es nicht. Armin S. arbeitete rund um die Uhr, pendelte nur am Wochenende zu seiner Familie, vernachlässigte seine Freunde und seine Gesundheit und konnte nicht mehr abschalten. Hinzu kam, dass seine Frau nach der Geburt ihres Sohnes unter einer postnatalen Depression leidet. Armin S. wuchs seine neue Situation über den Kopf: "Es fühlte sich an, als säße ich in einer Achterbahn, nur dass es rasant nur nach unten ging und nicht mehr automatisch wieder nach oben."
Unternehmen denken um: Ruhezonen und Gymnastik
Eines Morgens konnte Armin S. nach dem Wochenende nicht mehr aufstehen: Er war wie gelähmt und musste in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik eingeliefert werden. Diagnose: Burnout. Zu dieser Zeit ging seine Frau bereits mit dem Kleinkind in eine Tagesklinik, um ihren Alltag als gefühlte alleinerziehende Mutter zu bewältigen. Der Hauskauf, der unglückliche Jobwechsel, die Geburt des Kindes mit depressiven Auswirkungen auf die Mutter - dies brachte die kleine Familie komplett aus den Fugen. Armin S. hat inzwischen eine dreimonatige stationäre Therapie hinter sich. Er ist seit acht Monaten krankgeschrieben. Seinen Job hat er verloren. Gemeinsam mit seiner Frau versucht er, seinen kleinen Mikrokosmos "Familie" neu zu ordnen.
Die Unternehmen denken um: Bislang sollten Arbeitnehmer möglichst rund um die Uhr effizient, erreichbar und einsatzbereit sein. Doch viele halten dem Dauerstress nicht mehr stand. Das kommt die Unternehmen teuer zu stehen. So haben die Firmen auch aus wirtschaftlichem Kalkül neue Ideen: Es gibt Ruhezonen in Callcentern von Versicherungsgesellschaften. In der Fabrik vom Süßwarenhersteller Niederegger verzichtet die Führung auf den schrillen Piepton zum Schichtwechsel. Nach ein paar Stunden Fließbandarbeit mit der Marzipanrohmasse gibt es eine Pause mit zehn Minuten Gymnastik für alle Arbeiter. Der Krankenstand ist dadurch rapide gesunken und auf Niedrigstniveau. In Deutschland ist der volkswirtschaftliche Schaden durch psychische Belastungen am Arbeitsplatz enorm. Laut einer 2009 veröffentlichten Studie der Betriebskrankenkassen entstehen dadurch Kosten in Höhe von 6,3 Milliarden Euro. Nach Angaben der Krankenkasse AOK habe zuletzt Überlastung im Job bei knapp 100.000 Beschäftigten zu 1,8 Millionen Fehltagen geführt.