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Alles erfunden!

Eine Riesenschaukel, einen Minifeuerlöscher für Computergehäuse, einen vollautomatischen Cocktailmixer ­ das alles konstruieren Studenten. Aber wie wird ein guter Einfall zu Geld?
aus UNI SPIEGEL 3/2005

Der Erfinder fliegt. Schwingt hin und her, immer höher in Richtung Turnhallendecke. Sein Hilfsmittel: Die Surfswing, eine Schaukel, deren Boden wie ein großes Skateboard aussieht. Das Brett hängt an stabilen Seilen, die an der Decke befestigt sind. Es ist kein Kinderschaukeln vor und zurück, mehr ein seitliches Schwingen wie bei einer Schiffschaukel. Der Effekt: Wer auf dem Brett steht, bewegt sich wie ein Skateboarder in der Rampe, wie ein Snowboarder, der durch die Luft wirbelt.

»Mit der Schaukel kann jeder das Gefühl nachempfinden, das Brettsportler haben. Die Fliehkräfte, das Gefühl, dass man schwerelos ist«, erklärt Surfswing-Erfinder Felix Gradinger, als er atemlos vom Brett steigt. Gradinger, 27, selbst ein fanatischer Snowboarder und Surfer, ist überzeugt: Mit seiner Erfindung können nicht nur andere Brettsportbesessene etwas anfangen, sondern auch Laien. »Sogar meine Mutter ist schon auf dem Ding geschaukelt«, erzählt er.

Die Mama und einige seiner Freunde testeten den Prototyp, ein riesiges Schaukelgerüst, das auf einem Bauernhof im Schwarzwald steht. Ein Zimmermann prüfte die Statik und zeichnete Pläne nach den Ideen des Erfinders. Diese Pläne hat Gradinger 2003 beim Hochschul-Erfinderwettbewerb Invenio eingereicht - und einen Preis gewonnen. Seitdem ist der Passauer Student der Sprach-, Wirtschafts- und Kulturraumstudien entschlossen, seinen Snowboard-Simulator auf den Markt zu bringen. Er beteiligt sich an Wettbewerben, preist sein eigenes Produkt an und will demnächst eine Firma gründen. »Es ist meine Begeisterung, die das Projekt weiterbringt«, sagt er und fällt ein bisschen stärker in seinen Schwarzwälder Dialekt. »Davon lassen sich die Leute anstecken.«

Gradingers Enthusiasmus hat sich gelohnt. Im Februar erhielt er einen der BrandNew Awards, so heißt der Innovationspreis der internationalen

Sportartikelmesse Ispo - für ihn ein ordentlicher Schritt in Richtung Profi-Erfinder. Denn der Ispo-Award ist kein studentischer Wettbewerb, sondern steht auch Ingenieuren, Mode- und Produktdesignern offen.

Ähnlich ist die Industriedesignerin Franziska Paulik vorgegangen. Sie hat sich mit ihrem Hobby, dem Motorradfahren, auseinander gesetzt, nach Schwachstellen gefahndet und sinnvolle, neue Produkte rund ums Zweiradzubehör ersonnen. Allerdings ist das Erfinden bei ihr fest in den Lehrplan integriert: In einem Semesterkurs musste sie eine gezielte Produktentwicklung vorlegen - von der Idee bis zur Serienreife.

Die Münchnerin fand schnell etwas, das sie selbst nervt: die unpraktischen Gepäcksysteme. Die erhältlichen Koffer machen das Motorrad zu breit, die geschwungenen Formen der Karosserie sind nicht mehr zu sehen. Das findet die Designerin nicht nur hässlich, sondern auch unsportlich. »Man genießt es ja gerade, dass man mit dem Motorrad wendig ist und sich überall durchschlängeln kann«, sagt die 27-Jährige.

Sie entwickelte daraufhin eine Tasche aus schnittfestem Kevlar-Stoff, den »double bend«. Er schmiegt sich in einem Bogen hinten um die Sitzbank des Motorrads. Form und Wendigkeit der Maschine werden nur wenig beeinflusst. Und wer sowieso nur seine Schutzkleidung in der Motorradtasche verstauen will, der merkt während der Fahrt gar nichts von der zusammengefalteten Gepäckrolle. Erst wenn das Motorrad steht, klappt man die Stoffrolle aus. »Es ist ein Mechanismus wie bei einem Kinderwagenverdeck«, erklärt Franziska Paulik. Man kann das Gepäcksystem abschließen, als Rucksack umschnallen und mitnehmen.

Die Bikerin hat viel gezeichnet, an Verschlusssystemen herumgefrickelt und am Ausklappmechanismus getüftelt, bis sie schließlich einen Prototyp genäht hat. Es hat sich gelohnt: Sie gewann mit ihrem Entwurf mehrere Designpreise. Und es gibt Firmen, die sich für ihren Faltkoffer interessieren. Diese Erfolge haben ihr auch bei der Jobsuche

geholfen; im Februar fing sie bei DaimlerChrysler in der Designabteilung an.

Seit Paulik sich im Studium systematisch mit dem Erfinden und Neukonstruieren beschäftigte, hat sich auch der Stil ihrer Ideenfindung geändert. »Beim Projekt »double bend« bin ich sehr logisch vorgegangen, habe mich Schritt für Schritt an die Lösung herangetastet. Früher sind mir Ideen spontaner gekommen, zum Beispiel unter der Dusche«, erinnert sich die junge Frau an den Beginn ihres Studiums.

Dass es sehr unterschiedliche Methoden und Wege gibt, um kreative Ideen und Produkte zu entwickeln, bestätigt Professor Thomas Plegge von der Privaten Fachhochschule Vechta/Diepholz/Oldenburg. Und er ist davon überzeugt, dass man Erfinden lernen kann - und nicht nur Designer, sondern auch Studierende technischer und naturwissenschaftlicher Fächer davon profitieren.

Zusammen mit drei Kollegen initiierte der Maschinenbau-Professor deshalb einen Projektkurs, in dem Maschinenbaustudenten und Wirtschaftsingenieure über drei Semester zusammen ein Produkt entwickeln sollten. Erfinde etwas, das es noch nicht gibt, lautet der Auftrag. Beispielsweise eine vollautomatische Kaffeemaschine.

Bernd Hagedorn, Maschinenbaustudent aus dem Projektkurs, fand die Aufgabenstellung langweilig. Zusammen mit seiner Gruppe ersann er einen Apparat, den alle wesentlich sinnvoller fanden: einen vollautomatischen Cocktailmixer. Professor Plegge und seine Kollegen waren anfangs nicht begeistert von der Idee. »Aber dann sahen wir, mit welchem Enthusiasmus die Studierenden Probleme lösten, um mit der Entwicklung der Maschine voranzukommen«, erzählt er. Die Studenten büffelten Computerprogramme, verglichen Werkstoffeigenschaften, zeichneten und konstruierten.

Die Tüftler aus der Kleingruppe rund um den Cocktailmixer wurden die Stars der Abschlusspräsentation. Die Maschine zauberte auf Knopfdruck Mai Tais, Manhattans und Piña Coladas. In früheren Durchläufen hatte die Gruppe noch brav mit Wasser experimentiert. »Wir haben so gute Erfahrungen mit dem Mixer gemacht, dass wir ihn in den folgenden Semestern weiterentwickeln werden«, sagt Thomas Plegge. Dem Erfinder-Kurs ist also eine große Zukunft gewiss.

Ob das auch auf den Cocktailmixer zutrifft, steht in den Sternen: Zwar haben die Studenten und Professoren die Neuheit beim Patentamt schützen lassen, doch nach ein paar euphorischen Reaktionen ist das Interesse der Industrie am Kauf der Idee schon wieder verebbt. Und von den angehenden Ingenieuren hat keiner mehr Zeit, sich um die Vermarktung der Maschine zu kümmern - einige aus der Mai-Tai-Crew sind mittlerweile bereits berufstätig. Die Erfinder-Episode verblasst für sie zur Studienerinnerung.

Für den Chemiedoktoranden Frank Fischer gehört dagegen Erfinden zu seinem Leben. In traditioneller Daniel-Düsentrieb-Manier brütet er gern im Stillen und bastelt an Lösungen für technische Probleme. Vor einigen Jahren sah Fischer beispielsweise ein Versuchslabor, in dem ein Feuer gewütet hatte. Was die Flammen übrig ließen, wurde durch das Wasser der Löschanlage ruiniert. Daraufhin kam der 28-Jährige auf die Idee, ein Löschsystem für Computer zu erfinden, das so klein ist, dass man es wie ein CD-Rom-Laufwerk in den Rechner einbauen kann. Falls der Rechner zu brennen beginnt, wird er sozusagen lokal gelöscht - mit Hilfe von Kohlendioxid.

Die Pläne hatte Fischer in einer Schublade. Dann erfuhr er von Invenio und reichte seine Skizzen und Schaltpläne ein. Durch den Preis, den er dort gewann,

bekam er die Möglichkeit, seine Idee schützen zu lassen und ein Gebrauchsmuster anzumelden. »Gebrauchsmuster sind Erfindungen, an die man etwas geringere Anforderungen stellt. Patente haben eine größere erfinderische Höhe und sollten auch besser vermarktbar sein«, erklärt Thomas Schweigler vom Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft, das Invenio betreut. Anders als Patente, die eine Erfindung bis zu 20 Jahre schützen können, liegt die Frist bei den Gebrauchsmustern nur bei höchstens 10 Jahren.

Frank Fischer hat inzwischen Kontakt zu Firmen, die sich für seinen Minifeuerlöscher interessieren. Seitdem könnte der Jungchemiker sich gut vorstellen, ein Leben als Erfinder zu führen. Aber bisher hat er sein Gebrauchsmuster noch nicht verkauft, die Verhandlungen ziehen sich in die Länge. »Man braucht einen langen Atem«, sagt der Naturwissenschaftler. »Man muss seine Erfindung auch gut vermarkten können.«

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