Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt Wo junge Männer schlechte Chancen haben

Frauenberuf, Männerberuf? Eine Studie hat untersucht, wie sich das Geschlecht bei der Bewerbung auswirkt (Symbolbild)
Foto: Luis Alvarez / Getty ImagesGeht es um Geschlechterunterschiede in der Arbeitswelt, sind es meist die Frauen, die Nachteile erleiden. Sie verdienen im Schnitt weniger und machen seltener steile Karriere; die Vorstände großer Unternehmen sind noch immer größtenteils Männerrunden. Eine neue Studie zeigt nun, dass es zumindest einen Teil der Arbeitswelt geben könnte, in dem die Diskriminierung andersherum verläuft: Demnach werden junge Männer seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, wenn sie sich auf Stellen in vermeintlichen Frauenberufen bewerben.
In einem Experiment hat eine Gruppe von Forscher:innen der Universitäten in Oslo, Madrid und Amsterdam fiktive Bewerbungen verschickt, die inhaltlich identisch waren, sich aber in persönlichen Merkmalen der Bewerber:innen unterschieden – unter anderem beim Geschlecht. Insgesamt reichten die Forscher:innen gut 21.000 Bewerbungen in sechs Ländern ein: in Deutschland, den Niederlanden, Norwegen, Spanien, dem Vereinigten Königreich und den USA. Anschließend erhoben sie, auf welche der Bewerbungen sie ein positives Feedback erhielten, etwa in Form einer Einladung zum Vorstellungsgespräch.
Keine Benachteiligung von weiblichen, dafür von männlichen Bewerber:innen
Bei der Auswertung unterschieden die Forscher:innen zwischen Berufen, in denen vorrangig Männer arbeiten – etwa Softwareentwicklung oder Vertrieb –, und solchen, in denen es mehr Frauen gibt – etwa Verkauf oder Buchhaltung. Ihr Ergebnis: In keinem der Länder zeigte sich eine systematische Benachteiligung von Frauen, auch nicht in den männerdominierten Berufen. Die einzige Diskriminierung nach Geschlecht konnten die Forscher:innen dagegen bei männlichen Bewerbern feststellen. Diese erhielten bei Jobs, die als von Frauen dominiert gelten, seltener Rückmeldungen als die Frauen, die sich bewarben. Lediglich in den USA und in Norwegen ließen sich diese Unterschiede nicht feststellen.
Die Forscher:innen folgern daraus, dass Frauen in der Arbeitswelt weniger benachteiligt werden als allgemein angenommen. Tradierte Vorstellungen, in denen Frauen vor allem für die Kindererziehung und den Haushalt verantwortlich sind, während der Mann das Geld verdient, seien inzwischen offenbar überholt, heißt es im Fazit der Studie. »Wir müssen unsere Annahmen überprüfen, dass Frauen immer die benachteiligte Gruppe sind. Geschlechtsspezifische Diskriminierung ist offensichtlich komplexer«, sagt Studienautorin Gunn Elisabeth Birkelund von der Universität Oslo.
Begrenzte Aussagekraft
Allerdings weisen die Autor:innen selbst auf die begrenzte Aussagekraft ihrer Untersuchung hin. So standen die fiktiven Bewerber:innen im Experiment noch am Anfang ihrer Karriere: Sie waren alle zwischen 22 und 26 Jahre alt und hatten alle eine Berufserfahrung von vier Jahren. Außerdem deckt die Untersuchung nur den allerersten Schritt in einen Beruf ab – die schriftliche Bewerbung. »Diskriminierung bei Einstellungen, Einkommen oder Beförderungsmöglichkeiten später im Berufsleben können also nicht ausgeschlossen werden«, heißt es deshalb in der Studie.
Auch die Auswahl der Berufe, die in dem Experiment untersucht wurden, ist begrenzt. Als typische Frauenberufe wählten die Forscher:innen Empfangsmitarbeiterin, Verkäuferin und Lohnbuchhalterin. Die männlich dominierten Gegenstücke waren Softwareentwickler, Vertriebsmitarbeiter und Koch. Die Berufsfelder, in denen der Frauenanteil in Deutschland besonders hoch ist – laut der Bundesagentur für Arbeit vor allem soziale und Gesundheitsberufe – kommen hingegen nicht vor. Auch umgekehrt fehlen bei den vermeintlichen Männerberufen Felder wie das Baugewerbe oder Verkehr.