Ausbildungsstart in der Coronakrise »Handwerk geht nicht online«
Der Ausbildungsstart ist mit vielen Hoffnungen verbunden: Endlich kann man seiner Leidenschaft nachgehen, ins Berufsleben starten und dabei von Profis lernen. Nur wie soll eine Ausbildung unter Corona-Bedingungen funktionieren? Auf Abstand zur Ausbilderin, weil Hygienevorschriften gelten, oder ganz ohne praktische Übungen, weil die Werkbank nicht ins Homeoffice passt?
Wer im vergangenen Herbst mit der Ausbildung begonnen hat, kann sich zwar darüber freuen, überhaupt eine Stelle gefunden zu haben: Elf Prozent weniger neu abgeschlossene Ausbildungsverträge registrierte das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) 2020. Und trotzdem wirbelt die Corona-Pandemie den Start ins Berufsleben durcheinander.
Alina Welker, Sven Zernetsch, Vivienne Schweitzer, Hala Dakouri und Kevin Fiebig haben die ersten Monate ihrer Ausbildung im Ausnahmezustand erlebt. Hier erzählen sie von Berufsschullehrern in Quarantäne, der Arbeit hinter Masken und der Angst, keine vollwertige Ausbildung zu bekommen.
»Je länger der Shutdown dauert, desto mehr praktisches Wissen fehlt uns«

Alina Welker
Foto: privatAlina Welker, 19, besucht die Berufsfachschule für Holzschnitzerei und Schreinerei in Berchtesgaden und wird dort zur Bildhauerin ausgebildet, eine rein schulische Ausbildung. Der Praxisteil findet eigentlich in den Werkstätten der Schule statt, zurzeit aber im eigenen WG-Zimmer – eine frustrierende Situation für Welker.
»Corona hat schon unsere Aufnahmeprüfung im März durcheinander gebracht. Wir mussten nur eine Mappe mit Bildern von Arbeiten einreichen, die theoretische und praktische Aufnahmeprüfung sowie das Bewerbungsgespräch fielen aus.
Im September ging die Ausbildung los, seitdem war ich kaum vor Ort. Berchtesgaden musste wegen hoher Fallzahlen schon kurz vor den Herbstferien in einen lokalen Shutdown, ich selbst war nach dem positiven Test einer Mitbewohnerin vier Wochen in Quarantäne, und nun geht wieder nichts. Anders als bei klassischen Ausbildungen erlernen wir auch die Praxis in den Werkstätten der Schule, nicht in einem Betrieb – was bedeutet, dass etwa 70 Prozent unserer Ausbildungsinhalte gerade wegbrechen: Handwerk geht nicht online.
Zu Hause in unseren WG-Zimmern haben wir zu wenig Platz und kaum Werkzeuge. Schnitzen dürfen wir aus versicherungstechnischen Gründen nicht, außerdem bräuchten wir Werkbänke, die passen hier aber erst recht nicht rein. Die Schule gibt sich wirklich sehr viel Mühe, wir arbeiten statt mit Holz nun mit Pappe, Gips und Ton, zeichnen und entwerfen. Unser Meister bewertet unsere Fortschritte online, Theorieunterricht bekommen wir über Videokonferenzen. Wenn wir neue Materialien benötigen, können wir sie bei der Schule bestellen und dort abholen.
Alina Welker
Bei den Schreinerkolleginnen und -kollegen ist es noch schlimmer, sie können kaum von zu Hause arbeiten. Je länger der Shutdown dauert, desto mehr praktisches Wissen fehlt uns. Ich habe Angst, dass unsere Ausbildung am Ende weniger Wert ist, wir schwieriger einen Job finden oder Probleme haben, an Meisterakademien aufgenommen zu werden.
Anfang Januar haben wir uns mit sieben anderen Berufsfachschulen in Bayern zusammengeschlossen, die eine rein schulische Ausbildung anbieten, und in einem offenen Brief an das Kultusministerium auf unsere Lage aufmerksam gemacht. Wir wünschen uns eine differenzierte Betrachtung, wir können eben nicht wie andere Azubis in Betriebe zurückkehren und dort an Maschinen arbeiten.
Zwar ist das gerade wirklich das geringste Problem, trotzdem fehlen mir auch die Traditionen und Rituale an unserer Schule. Normalerweise organisieren die zweiten Jahrgänge für die Anfänger den sogenannten Einserlauf, eine Art Schnitzeljagd – ein Einstand, den wir nie hatten. Ich sorge mich, dass solche Traditionen, die das Gesicht der Schule prägen, wegen Corona aussterben.«
»Ich lasse mich manchmal leicht ablenken, das ist ein Problem«

Sven Zernetsch
Foto: privatSven Zernetsch, 16, absolviert eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei B.O.C. in Mainaschaff. Das Unternehmen verkauft Fahrräder, Zubehör und Kleidung, aufgrund des Lockdowns zurzeit nur online. Werkstätten dürfen geöffnet haben – das ist Zernetschs großes Glück.
»Nach meinen ersten Ausbildungstagen fiel ich abends nur noch ins Bett, ich aß noch nicht einmal Abendbrot. Es war einfach wahnsinnig anstrengend, den ganzen Tag zu stehen, dabei ständig Maske zu tragen und schlecht Luft zu bekommen.
Am Anfang lernte ich, wie ich Ware auszeichne und in welche Regale ich sie einräumen muss. Vom Boom der Fahrradbranche in den Sommermonaten habe ich noch ein wenig mitbekommen, vor allem E-Bikes waren bei unseren Kunden sehr gefragt. Ich selbst führte am Anfang zwar nur wenige Verkaufsgespräche, lernte aber zum Beispiel, dass es wichtig ist, offene Fragen zu stellen. Also: ›Wie kann ich Ihnen behilflich sein?‹ Und nicht: ›Kann ich Ihnen helfen?‹ Es ist schade, dass ich das zurzeit wegen des Shutdowns nicht weiter üben kann.
Wir Azubis sind nicht von Kurzarbeit betroffen. Zurzeit arbeiten wir vor allem in der Werkstatt, bauen Räder auf, lernen, wie sie funktionieren und schicken Onlinebestellungen raus. Ich fahre selbst Enduro, eine Art von Mountainbike, und bringe schon viel technisches Verständnis mit.
Sven Zernetsch
Dienstags und freitags findet die Berufsschule online per Videounterricht statt. Ich lasse mich manchmal leicht ablenken, das ist ein Problem. Außerdem fehlt es mir, einfach mal meinen Sitznachbarn fragen zu können, wie er eine Aufgabe löst. Früher konnte man sich über den Tisch beugen, jetzt müsste ich ihn extra anrufen. Aber ein Gedanke motiviert mich: Nach dem Shutdown wird der Stoff trotzdem abgefragt, und ich muss ihn drauf haben.
Zukunftsangst habe ich nicht. Fahrräder sind gefragt, und ich arbeite bei einem großen Unternehmen, das den Shutdown hoffentlich etwas besser wegstecken kann. Ich bin froh, nicht bei einem kleinen Familienfahrradgeschäft bei uns im Ort angefangen zu haben, die müssen mehr kämpfen.«
»Ich hatte wirklich Glück«
Vivienne Schweitzer, 22, ist im ersten Lehrjahr ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau mit Zusatzqualifikation Hotelmanagement im Vier-Sterne-Erlebnishotel »Arthus« im baden-württembergischen Aulendorf. Weil gerade weniger Gäste kommen, hat sie mehr Zeit, um alle Abläufe kennenzulernen.
»Als ich im September mit der Ausbildung anfing, hatten wir fast noch Normalbetrieb, die Anzahl der Plätze im Restaurant aber natürlich schon verringert. Normalerweise passen in unseren historischen Gewölbekeller 125 Personen, in die Ritterstube noch einmal 45. Unsere Gäste konnten dort vor dem Shutdown das mittelalterliche ›Rittermahl‹ buchen, mit traditionellen Trinksprüchen vom Mundschenk, Bewirtung durch Mägde und einer Feuershow. All das fällt seit November aus.
Nun beherbergen wir nur noch Geschäftsreisende, das Frühstück bereiten wir Azubis in der Küche vor und bringen es direkt auf die Zimmer. Längere zwischenmenschliche Gespräche sind wegen der Abstandsregeln und Masken nicht möglich.
Der Shutdown hat aber auch Vorteile: Wir Auszubildenden – insgesamt 13 sind es in meinem Hotel – haben mehr Zeit, um die verschiedenen Bereiche kennenzulernen. Bei starker Belegung würde jeder und jede erst einmal zur Unterstützung einem Aufgabenbereich zugeteilt werden, zum Beispiel an der Rezeption oder im Frühstücksbereich. Jetzt können wir alle mal durchwechseln und die Abläufe entzerrter kennenlernen.
Vivienne Schweitzer
Aktuell bin ich im Blockunterricht der Berufsschule, alles natürlich nur per Videocall. Theoretische Inhalte wie die Management-Teile meiner Zusatzausbildung und die Fremdsprachen Englisch, Spanisch und Französisch kann ich so gut lernen. Im ersten Lehrjahr werden wir ›HoFas‹ aber eigentlich mit den Köchen zusammen ausgebildet, die praktischen Lehreinheiten zu Service und Gastronomie können jetzt nicht stattfinden. Unsere Lehrer senden uns zwar die Rezepte, aber wirklich nachkochen können wir sie zu Hause schwer, ohne Anleitung und die richtigen Geräte.
In meiner Berufsschulklasse haben ein paar ihren Ausbildungsplatz wegen der Krise verloren. Ich hatte wirklich Glück: Mein Hotel hat für uns Azubis vor ein paar Jahren eine eigene Akademie gegründet, wo wir ergänzend zur praktischen Arbeit und der Schule noch mehr lernen, auch von eingeladenen Expertinnen und Experten. Da gibt es etwa Seminare über die richtige Weinpaarung zum Essen oder das Erstellen einer Menükarte. In der IHK-Abschlussprüfung müssen wir später nämlich verschiedene Aufgaben aus dem Hotellerie- und Gastronomiealltag bewältigen. Ich habe das Gefühl, von meinem Betrieb gut darauf vorbereitet zu werden.
»Ich musste etwa 60 Bewerbungen schreiben«
Hala Dakouri, 24, wird bei Profishop zur e-Commerce-Kauffrau ausgebildet. Das Unternehmen aus Bremen beliefert Betriebe mit Industriegütern – von Büroklammern über Kabeltrommel bis hin zu Baggern. Dakouri ist froh, in der Corona-Pandemie einen Job zu haben, der auch aus dem Homeoffice funktioniert.
»Ich hätte nie damit gerechnet, im Jahr 2020 einen Ausbildungsplatz zu finden – während so viele Menschen um ihren Job bangen. Auch ich musste erst etwa 60 Bewerbungen schreiben, bis ich Erfolg hatte. Am Tag der Zusage war ich so glücklich, so glücklich war ich in meinem Leben bislang nur nach unserer Ankunft in Deutschland: Meine Familie und ich sind vor fünf Jahren aus Syrien geflohen.
Mit 19 habe ich dort mein Abitur gemacht und angefangen, Umweltwissenschaften zu studieren, in Deutschland wechselte ich dann zu Chemieingenieurwesen. Das hat mir aber nicht gefallen. Ich fühlte mich einsam an der Universität. Ich hatte zwar mit anderen Migrantinnen und Migranten zu tun, aber kaum mit Deutschen.
In der Berufsschule läuft es jetzt besser. Weil viele Ausbildungsplätze schon vergeben waren, stieß ich erst Anfang Oktober zur Klasse, also einen Monat nach dem offiziellen Ausbildungsbeginn. Trotzdem luden mich die anderen direkt in ihre WhatsApp-Gruppe ein. Mit dem zweiten Azubi aus meinem Betrieb telefoniere ich fast täglich – und wir quatschen nicht nur über unsere Arbeit.
Anfang Oktober saßen wir noch mit 33 Leuten ohne Masken in der Berufsschulklasse, Mitte Oktober wurden die Klassen dann geteilt. Anfang November musste ich für zwei Wochen in Quarantäne, weil sich ein Mitschüler mit Corona infiziert hatte – es hat aber niemanden angesteckt. Seitdem lerne und arbeite ich komplett im Homeoffice.
Hala Dakouri
Zum Glück kann ich meine Ausbildung zur e-Commerce-Kauffrau gut von zu Hause absolvieren. Mein Ansprechpartner im Unternehmen erklärt mir alles, ich kann einfach meinen Bildschirm freigeben. Außerdem gibt es digitale Leitfäden zu unseren Prozessen.
Nur in der Berufsschule gab es einmal ein Problem: Wir sollten uns einen eigenen Onlineshop ausdenken, einen Namen überlegen und welche Produkte wir verkaufen wollen. Dazu fehlte mir die Anleitung – entweder war der Berufsschullehrer in Quarantäne oder ich.
Was mich traurig macht: Für die Ausbildung bin ich nach Bremen gezogen, aber eingelebt habe ich mich noch nicht. Ich bewege mich in einem Radius von fünf Kilometern um meine Wohnung – ich kenne die Schule, meinen Arbeitgeber, den Bahnhof und Netto und Aldi. Es ist schade, dass mir die anderen Auszubildenden nicht ihre Stadt zeigen oder wir etwas trinken gehen können. Ich hoffe sehr, dass das spätestens im zweiten Ausbildungsjahr wieder möglich ist.«
»Im Normalbetrieb wäre dafür keine Zeit«

Kevin Fiebig
Foto: Romantikhotel Deutsches HausKevin Fiebig, 16, wird im Restaurant des Viersternehotels »Deutsches Haus« im sächsischen Pirna zum Koch ausgebildet. Weil wegen des Shutdowns keine Gäste vor Ort essen dürfen, kochen die Azubis Menüs zum Mitnehmen.
»Wir sind fünf Azubis in unserem Betrieb, zwei davon im ersten Lehrjahr. Ende August haben wir angefangen, normalerweise wäre kurz danach schon die Zeit der Weihnachtsfeiern und Großveranstaltungen losgegangen. Stattdessen ist der Großteil der Belegschaft in Kurzarbeit.
Ich bin meist fünf bis sechs Stunden pro Tag im Betrieb. Zuerst machen wir die Küche sauber, danach kochen wir – falls es Bestellungen gibt – das Azubi-Menü. Das haben wir uns selbst überlegt. Es besteht aus Rote-Bete-Salat mit Meerrettich, Schweinebraten mit Klößen und Apfelsauerkraut, und Kuchen. Weil wir keine Gäste im Gastraum bewirten dürfen, verkaufen wir das Menü zum Mitnehmen. In der Weihnachtszeit hatten wir zehn bis zwölf Bestellungen pro Tag, aktuell sind es nur zwei bis drei. Manchmal haben wir Geschäftsreisende zu Gast, neulich war etwa ein Filmteam im Ort. Aber sonst gibt es nicht viel zu tun.
Kevin Fiebig
Es ist schade, dass ich die Weihnachtszeit und den Stress verpasst habe, dabei hätte ich einiges lernen können. Andererseits bleibt so mehr Zeit für direkte Einweisungen und Lektionen vom Chefkoch. Neulich haben wir zweimal das komplette Azubi-Menü zusammen gekocht. Dafür wäre im Normalbetrieb keine Zeit, und es macht echt Spaß.
Anders ist es in der Berufsschule. Wir bekommen nur theoretische Aufgaben nach Hause geschickt und müssen sie allein lösen, praktischen Unterricht oder Videounterricht gibt es nicht. Es geht einiges verloren, auch das Soziale und der Kontakt mit den Azubis aus anderen Betrieben fehlen mir. Nun schreibe ich manchmal jemandem, wenn ich eine Aufgabe nicht verstehe. Aber kennenlernen kann man sich so nicht wirklich.«