Auslandsstudium in der Pandemie »Ich wollte doch nur den deutschen Alltag erleben, das Essen, die Menschen«

Seit Corona studieren deutlich weniger junge Menschen aus dem Ausland in Deutschland. Hier berichten Shu-Han, Erika und York, was es für sie bedeutet, ihren Traum aufzugeben – oder zumindest zu verschieben.
Aufgezeichnet von Florian Gontek
Studentin Erika Perez Falcon: »Ich war total enttäuscht«

Studentin Erika Perez Falcon: »Ich war total enttäuscht«

Foto: privat

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

An welchen Unis man auch fragt, ob in München, Köln oder Berlin, überall gibt es derzeit weniger ausländische Studierende – und allen tut das weh. »Studierende aus dem Ausland bereichern unsere Universität«, sagt etwa Yoan Vilain, Leiter der Abteilung Internationales an der Berliner Humboldt-Universität.

Dem Statistischen Bundesamt zufolge  ist die Zahl ausländischer Studienanfänger:innen an deutschen Hochschulen im Coronajahr 2020 um 21 Prozent zurückgegangen. In einer Befragung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes  (DAAD) aus dem Wintersemester 2020/2021 gaben außerdem knapp zwei Drittel der Hochschulen an, dass internationale Studierende trotz erfolgreicher Zulassung nicht nach Deutschland einreisen konnten, weil sie kein Visum erhielten. »Für den internationalen Studierendenaustausch war und ist die Pandemie ein echter Rückschlag«, sagt Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.

Yang Shu-Han, Erika Perez Falcon und York Yang sind drei von vielen Studierenden, deren Pläne die Pandemie durcheinandergewirbelt hat – oder sogar ganz zerstört. Hier erzählen sie, warum der Weg nach Deutschland gerade so schwierig ist und was sie jetzt vorhaben.

»Sogar meine Familie fragte: ›Warum gehst Du nicht?‹«

Yang Shu-Han, 22, studiert Germanistik an der Fakultät für Europäische Sprachen und Kulturen der Chengchi-Universität in Taipeh. Ihr Plan war, im kommenden Wintersemester in Berlin zu studieren, jetzt studiert sie voraussichtlich ab Frühjahr 2022 in Deutschland.

Yang Shu-Han

Yang Shu-Han

Foto:

Yu-Ting Chao

»Ich weiß schon seit der Highschool , dass ich einmal in Deutschland studieren will. Ich mochte die Sprache schon immer sehr, vor allem ihren Klang. Für eine ›Summer School‹ des Goethe-Instituts war ich bislang einmal in Duderstadt, einer Gemeinde in Niedersachsen, 2019 war das.

Meine Professor:innen und Kommiliton:innen schwärmten damals aber vor allem von Berlin: wie lebendig die Stadt sei, wie pulsierend, wie groß. Der perfekte Ort zum Studieren, sagten sie. Da wusste ich, dass ich unbedingt einmal dorthin möchte.

Eigentlich wollte ich in diesem Herbst für ein Jahr nach Berlin gehen. Dass ich das Wintersemester dort erlebe, war mir wichtig. Taiwan ist zwar kein christliches Land, aber wir lieben das Weihnachtsfest. Wir haben genaue Vorstellungen davon, wie Weihnachtsmärkte aussehen, wie die Süßigkeiten dort schmecken – und wie diese Zeit in Europa zelebriert wird. Das wollte ich unbedingt miterleben.

Die Zusage der Freien Universität Berlin hatte ich schon, auch meine Uni in Taiwan hätte mir grünes Licht für den Austausch gegeben. Trotzdem habe ich beschlossen, den Platz im Wintersemester nicht anzunehmen. Die Entscheidung ist mir schwergefallen. Sie kam aber ganz aus mir selbst. Sogar meine Familie fragte: ›Warum gehst Du nicht?‹

Seit Mai  sind die Infektionszahlen hier in Taiwan explodiert: Parks sind geschlossen, wir dürfen nicht auswärts essen und müssen Masken tragen. Wir Taiwaner:innen sind hysterisch. Das Risiko, während einer Pandemie ins Ausland zu fliegen, war mir einfach viel zu groß.

Ich habe gesehen, wie viele meiner Kommiliton:innen mit dem Visum  gekämpft haben, wie diejenigen, die sich entschlossen haben, ein Auslandssemester zu machen, die Zeit nicht genießen konnten. Eine Freundin von mir hat vergangenes Jahr in Deutschland studiert – ausschließlich online. Ich wusste, dass ich das für mich so nicht wollte.

Gerade habe ich daher viel Zeit, um mein Deutsch zu verbessern. Mein Plan ist nun, dass ich im März nach Berlin gehe, für ein Semester. Ist die Coronasituation dann ähnlich wie jetzt, werde ich mich komplett gegen Berlin entscheiden. Meine Gesundheit ist mir am Ende am allerwichtigsten.«

»Ich bin dankbar, noch irgendwie ausreisen zu können«

Erika Perez Falcon, 21, studiert an der Universität Calgary in Kanada Internationale Beziehungen im siebten Semester. Eigentlich wollte sie schon im Sommersemester 2020 in Hamburg studieren. Nun bricht sie zum kommenden Wintersemester nach Graz auf.

Erika Perez Falcon

Erika Perez Falcon

Foto:

privat

»Irgendwann wollte ich nur noch Antworten: von der Uni, von der Regierung. Im November 2019, noch vor Corona also, hatte ich mich für ein Jahr an der Universität Hamburg beworben. Im Februar 2020 kam zunächst die Bestätigung, dass alles klappen würde. Ich hatte nur einen Monat Zeit, um all den Papierkram zu regeln: Für mein Visum brauchte ich einen Lebenslauf, die Bestätigung meiner Universität, den Nachweis über eine Unterkunft und eine Unfallversicherung. All das auf die Schnelle zu besorgen, war ein großer Stress.

Als ich dann alles zusammen hatte, sagte mir meine Universität, dass es die Reisebestimmungen der Regierung mir gerade nicht erlaubten, auszureisen. Es gab keinen einzigen Flug. Ich war total enttäuscht.

»Als es das zweite Mal nicht klappte, freundete ich mich an mit dem Gedanken, dass ich wohl keine Auslandserfahrung würde sammeln können.«

Erika Perez Falcon

Im Oktober fragte mich die Uni Hamburg, ob ich mein Jahr dort nachholen wollte – um mir dann wenig später mitzuteilen, dass es wieder nicht klappen würde. Wieder wegen der Coronabestimmungen.

Ich wollte doch nur den deutschen Alltag erleben, das Essen, die Menschen, unterschiedliche Städte. Als es das zweite Mal nicht klappte, freundete ich mich an mit dem Gedanken, dass ich wohl keine Auslandserfahrung würde sammeln können.

Eine gute Freundin von mir ist in einer ähnlichen Situation. Sie wollte nach Japan, das Visum hat sie bis heute nicht bekommen, weil die japanischen Einreisebestimmungen sehr strikt sind.

In drei Wochen werde ich nun für ein Semester nach Graz gehen, ein ganzes Jahr klappt mittlerweile zeitlich nicht mehr. Die Uni in Graz ist nicht so bekannt, die Stadt weniger aufregend – aber ich bin einfach nur dankbar, noch irgendwie ausreisen zu können. Das Deutsch in Österreich wird wohl eine ganze eigene Herausforderung – das habe ich zumindest gehört.«

»Ich hoffe einfach nur, dass mir ein Lockdown in Deutschland erspart bleibt«

York Yang, 23, studiert ebenfalls an der Chengchi-Universität in Taipeh. Bereits zu Beginn des vergangenen Jahres hatte er die Zusage, seinen zweijährigen Management-Master an der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin beginnen zu können. York entschied sich damals dagegen – jetzt wagt er einen neuen Anlauf.

York Yang

York Yang

Foto:

privat

»Deutschland ist die stärkste Volkswirtschaft in der EU, für mich als Wirtschaftsstudent ist es also ein spannender Ort für ein Studium. Aber nur, wenn ich auch dort bin.

Anfang 2020 bekam ich die Zusage aus Berlin, im Frühjahr hätte ich meinen Master an der ESMT beginnen können. Es war die Zeit, in der die Reiseeinschränkungen begannen und die Studierenden-Visa ausgesetzt wurden. Deshalb beschloss ich, meinen Studienstart zu verschieben. Erst gegen Ende des Jahres hatte ich das Gefühl, dass die Gesellschaft langsam einen Weg fand, mit dem Virus umzugehen. Ich konnte mich besser über Corona informieren, das gab mir Sicherheit.

Ein Bekannter von mir hat trotz Corona im vergangenen Jahr an der ESMT studiert, nur online. Aber ich studiere ja nicht im Ausland, um dann die gleichen Dinge zu machen wie zu Hause. Wegen der Pandemie sitze ich hier gerade sehr viel drinnen vor dem Laptop. Das muss ich in Deutschland nicht auch noch haben.

Für meine Zeit dort ist es mir wichtig, etwas vom Land zu sehen, gerade die historischen Orte, und ich möchte den Alltag erleben. Ich bin ja nicht nur für den Master zwei Jahre in Deutschland, diese Zeit möchte ich auch für mich nutzen.

Dass ich in weniger als einem Monat in Berlin sein werde, kann ich kaum glauben. Ich war noch nie in Europa, nun werde ich zwei Jahre lang dort wohnen. Mit dem Visum ist alles klar, dass ich durchgeimpft bin, gibt mir ein gutes Gefühl. Ich hoffe einfach nur, dass mir ein Lockdown in Deutschland erspart bleibt – aber da möchte ich auch nicht zu viel erwarten.«

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten