In diesem Café kann man nur mit Karte zahlen. Ist das die Zukunft?
Dieser Beitrag wurde am 23.11.2017 auf bento.de veröffentlicht.
Das Café "Public Coffee Roasters" in Hamburg: ein heller Raum, in einer Vitrine steht Kuchen, an den Tischen sitzen Menschen mit MacBooks - eigentlich nichts Besonderes. Wenn man davon absieht, dass ich mit den Münzen in meiner Tasche hier nichts anfangen kann. Ich darf nur noch mit Karte bezahlen.
Es ist kalt und nass an diesem Tag, wie so oft in Hamburg. Gegenüber liegt die Speicherstadt. Lagerhäuser erinnern an den Handel während der Hansezeit.
Touristen kommen gerne in die Speicherstadt. Dann sehen sie auch Kräne, Baugerüste, einen Ort, der sich im Umbruch befindet. Das neue Café mit der Kartenzahlung gehört zu diesem Wandel. Bisher soll es einmalig in Deutschland sein. Warum?
Wegen fehlender Scheine und Münzen. Denn auf ihr Bargeld wollen viele Deutsche nicht verzichten.
Eine Studie sagt: Etwa 55 Prozent bezahlen ihre Einkäufe, den Besuch im Restaurant oder den Friseur lieber mit Bargeld. Beträge bis zur Höhe von fünf Euro werden heute zu über 96 Prozent in bar beglichen.
Ein Grund dafür soll Kontrolle sein. Laut einer Studie fällt es Menschen leichter, den Überblick über ihre Ausgaben zu behalten, wenn sie bar bezahlen.
Weitere Bargeld-Argumente
- Auch Datenmissbrauch ist ein Thema. Bargeld ist anonym und schützt vor Überwachung durch Firmen und Staat. (Süddeutsche Zeitung )
- Ein weiteres Problem: Hacker. Virtuelles Geld ist keineswegs sicher. Cyberkriminalität - und der Angriff auf private Konten - hat in den vergangenen Jahren zugenommen. 2016 hat die Polizei 82.649 Online-Verbrechen registriert, was einem Anstieg um 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht.
- Ohne Bargeld muss auch die Technik funktionieren. Streikt die Geldkarte oder das Kartenlesegerät des Händlers, kann die Kaufabwicklung länger dauern oder scheitern.
Im europäischen Ausland ist die Kartenzahlung etablierter. Schweden gilt als Vorreiter und plant, das Bargeld bis 2030 abzuschaffen . Komplett.
Das Kaffeehaus von Argin Keshishian und seinen Partnern ist ein Anfang in Deutschland. Das Café gehört zu den neueren Errungenschaften der Speicherstadt: Public Coffee Roasters heißt es.
Die kleine Kette aus Hamburg, die ihren Kaffee noch selbst röstet, hat drei Filialen, eine davon befindet sich in der Speicherstadt. 2,70 Euro kostet der Americano, 2,20 Euro der doppelte Espresso.
Er schmeckt fruchtig, passend zum Stück Kuchen mit Walnusstücken und Apfel.
Aber warum wollen sie hier kein Bargeld?
Die Idee kam Keshishian auf einer Veranstaltung in Amsterdam. Er hatte ein Brötchen gekauft, trocken, ohne Belag, 17 Cent sollte es kosten.
Ein 20-Cent-Stück hielt Keshishian der Verkäuferin hin, so hätte es wohl jeder gemacht. Aber sie sagte: "Wenn du mit der Karte zahlst, wäre das besser."
Absurd, oder? Keshishian fand es spannend, so sehr, dass er mittlerweile auch kein Bargeld mehr in seinem Laden will.
Die Kartenzahlung spare dem Unternehmen Zeit. "Das Geldzählen kostete meine Mitarbeiter jeden Tag 30 Minuten, überflüssige Arbeit", sagt Keshishian, der die Branche auch ein Stück weit professionalisieren will.
"Wir tun auf diese Weise auch etwas gegen das viele Schwarzgeld in der Gastronomie." Schwarzgeld in der Gastronomie, das ist wie Mücken im Sommer - eine Plage. Dem Staat sollen jährlich zweistellige Milliardenbeiträge verloren gehen.
Nur noch mit Karte bezahlen? "Manche unserer Kunden fanden das anfangs komisch", sagt Keshishian.
Heftiger seien die Reaktionen auf Facebook ausgefallen.
"Plötzlich bekamen wir Ein-Sterne-Bewertung – von Leuten, die nicht in Hamburg wohnen und wahrscheinlich auch nie bei uns Gast waren. Hier wurde nicht unser Service bewertet."
Was war es dann: die Angst vor der Veränderung? Keshishian zuckt mit den Schultern. "Vielleicht."
Keshishian sagt, in seinem Geschäft werden keine persönliche Daten der Gäste gesammelt. Das Kassensystem merkt sich aber, zu welcher Zeit, wie viele Kaffee oder Kuchen verkauft werden. Algorithmen und künstliche Intelligenz - auch im Café eine hilfreiche Quelle: So kann der Schichtplan und Einkauf optimiert werden.
Dass die elektronische Kasse vor Hackern nicht sicher sein könnte, sei bisher nur eine untergeordnete Sorge gewesen, sagt Keshishian. Es gäbe aber ein separates W-Lan, das Schutz bietet. Und wenn doch einmal die Technik und das Kartenlesegerät streikt? Für diesen Fall gibt es eine Notfallkasse.
Ob eine bargeldlose Welt die Zukunft ist? Wie kommen Obdachlose an Geld, wenn sie eine Zeitung verkaufen wollen? Keshishian grübelt.
Völlig unproblematisch verläuft die Umstellung in seinem Geschäft nicht. Das Trinkgeld sei gesunken. Es gäbe aber eine Lernkurve, sagt Keshishian, soll heißen: Wer öfter kommt, das System kennt, gibt auch mit der EC-Karte Trinkgeld.
Ich verpasse den Moment, elektronisch Trinkgeld zu geben. Für diese Personen gibt es eine zweite Chance. Auf dem Tresen steht ein Glas - darin liegen echte Münzen.