Berufseinstieg als Bergführerin »Es fühlte sich an wie Slackline laufen: Ein Fehltritt und du bist weg«

Bei ihrer ersten Bergtour machte Susanne Süßmeier viele Fehler. Heute bringt sie als Bergführerin ihre Gäste auf Gipfel und über Gletscher. Oberste Priorität: Sicherheit. Doch ein Restrisiko bleibt.
Aufgezeichnet von Theresa Palm
Bergführerin Susanne Süßmeier: »Wir waren die klassischen bergfernen Touristen, die sich überschätzen«

Bergführerin Susanne Süßmeier: »Wir waren die klassischen bergfernen Touristen, die sich überschätzen«

Foto: Bernhard Hangl

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Der Start ins Arbeitsleben ist aufregend, anstrengend – und oft anders als geplant. In der Serie »Mein erstes Jahr im Job« erzählen Berufseinsteiger:innen, wie sie diese Zeit erlebt haben. Diesmal: Susanne Süßmeier, 30, arbeitet als selbstständige Bergführerin in den Alpen.

Mein erstes Jahr im Job

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Zur Serie

»Gleich auf meiner zweiten Tour als fertig ausgebildete Bergführerin kam ich an meine Grenzen. Zwei Tage Skihochtour am Mont Vélan in der Schweiz. Ich hatte alles gewissenhaft vorbereitet, am ersten steilen Hang nach Lawinenanzeichen gesucht und dann meine Gäste nachgeholt. An einer Engstelle mit Seilversicherung überholten uns schnellere Tourengeher. Sie hatten aber wenig Gespür für die Route und verkletterten sich, weil sie den Weg unter dem Schnee nicht fanden. Bald war ich also mit meiner Gruppe wieder vor ihnen auf dem richtigen Weg, als sich diese Leute komplett danebenbenahmen: Sie hängten sich in mein Sicherungsseil ein, und behinderten mich so.

Am Berg sollte man Alleskönnerin sein

Ich sagte in dem Moment nichts, weil ich zu beschäftigt war, meine Gäste sicher über den Übergang zu bringen. Erst hinterher wurde mir klar, wie respektlos das war. Wäre ich ein großer bärtiger Bergführer, hätten die Überholenden sich das bestimmt nicht getraut. Aber ich habe daraus gelernt. Wenn mir so etwas noch mal passiert, werde ich das sicher nicht wortlos hinnehmen.

Als Bergführerin bin ich alpine Allrounderin. Ich leite alles, wozu man mehr braucht als ein Paar Wanderschuhe: Gletschertouren, Felsklettern, Eisklettern, Skitouren und Kombinationen davon. Die Disziplinen muss ich natürlich selbst auf hohem Niveau beherrschen.

Das Führen habe ich in der Ausbildung zur Berg- und Skiführerin gelernt, die dauert mindestens zweieinhalb Jahre. Meine letzte Prüfung habe ich im April abgelegt, seitdem darf ich private Touren anbieten.

Ich bin selbstständig und kann mir meine Arbeit aussuchen. Ich darf von den Ost- bis zu den Westalpen führen, an Kletterfelsen in Franken und auf Skitouren in Norwegen. Realistisch sind 150 Tourentage im Jahr, mit einem Tagessatz zwischen 270 und 600 Euro, je nach Auftraggeber und Anspruch der Tour. Im Oktober, November und Mai gibt es weniger zu tun, in der Hochsaison im Sommer und Winter könnte ich mich vierteilen. Ich hoffe, dass ich dieses Jahr trotz ausgefallener Wintersaison auf einen Umsatz von 30.000 Euro komme.

Aufgewachsen im Flachland

Ich bin in der Nähe von Stuttgart aufgewachsen, im Flachland. Als Jugendliche war ich in einer Klettergruppe und fuhr Ski. Als ich meinen Führerschein hatte, konnte ich endlich los zur ersten Bergtour, auf die Zugspitze.

Gemeinsam mit einem Freund nahm ich den schwereren Aufstieg, übers Höllental und einen Klettersteig. Am zweiten Tag gingen wir den Jubiläumsgrat entlang, völlig ohne Erfahrung auf fast 3000 Höhenmetern über den Bergkamm. Links und rechts fielen die Wände steil ins Tal. Das fühlte sich damals ein bisschen an wie Slackline laufen: ein Fehltritt und du bist weg.

Wir hatten keine Erfahrung und keinen Respekt vor den Bergen. Wir waren die klassischen bergfernen Touristen, die sich überschätzen und vom Hügellandwandern auf die Berge schließen. Als Bergführerin gebe ich heute auch Ausbildungskurse, damit Unerfahrene wie ich damals einen sichereren Start haben.

Diesen Frühsommer führte ich zum ersten Mal die Spaghetti-Runde über zehn Viertausender-Gipfel im Monte-Rosa-Massiv im Wallis zwischen der Schweiz und Italien. Der Name kommt von den italienischen Hütten, auf denen es oft Pasta gibt. Weil ich die Tour noch nie geführt hatte, bereitete ich mich besonders gründlich vor. Zum Glück gibt es viel Material: Tourenplanungsportale, Führerliteratur, Tourenberichte und Fotos. Und ich arbeite natürlich mit topografischen Karten, suche die Route, notiere, wie lange die Etappen dauern, wie schwierig sie sind und welche Alternativen es gibt. Für die Sechs-Tages-Tour bereitete ich mich zwei bis drei Tage vor. Ich will wissen, was auf mich zukommt.

Auch wenn ich als Bergführerin mein Hobby zum Beruf gemacht habe, muss ich während der Arbeit einiges anders machen. An vielen Stellen, an denen ich Gäste mit dem Seil sichere, brauche ich privat keines. Im Job muss ich so handeln, dass niemand mir Fahrlässigkeit vorwerfen kann. Es soll sich möglichst niemand verletzen. Trotzdem kommt das immer wieder vor, zum Glück bisher nichts Schlimmes.

Unfälle am Berg sind besonders problematisch: Mit einem verstauchten Knöchel würde man im Tal nicht mal ins Krankenhaus gehen. Aber in den Bergen muss gleich der Heli kommen, sobald jemand nicht mehr selbst absteigen kann und es keinen anderen Weg gibt. Zum Glück ist die Flugrettung in Tirol meistens in einer Viertelstunde da.

Vorsicht in der Freizeit

Angst, mich selbst zu verletzen, habe ich bei meinen Touren selten. Aber in meiner Freizeit fahre ich während der Saison weniger Mountainbike und bouldere keine schwierigen Züge in großer Höhe. Mit einem verletzten Fuß kann ich nicht arbeiten.

Foto:

Boris Textor

Früher in Stuttgart kannte ich niemanden, der beim Bergsteigen umgekommen ist. Jetzt lebe ich in Innsbruck, da bekomme ich das öfter mit. Erst im Frühjahr ist ein junger Bergführer tödlich verunglückt, der mit mir die Prüfung abgelegt hatte.

So etwas kann immer passieren, auch wenn man alles richtig macht. In den Bergen bleibt einfach ein Restrisiko. Am meisten treffen mich diese Geschichten, wenn der Unfall Pech war. Dann denke ich: ›An der Stelle war ich auch letztens noch, das hätte mir genauso passieren können.‹

Ich finde, für die hohen körperlichen und psychischen Belastungen verdienen wir Bergführer:innen zu wenig. Aber trotzdem ist es der schönste Beruf der Welt. Es muss nicht immer der schwierigste Gipfel sein, auch ein Spaziergang zur Alm ist schön.

Wie wird man Bergführer:in?

Bergführer:innen müssen Wasserfälle hochklettern, Grate überschreiten und dabei noch für die Sicherheit ihrer Gäste sorgen. Dementsprechend hoch sind die Hürden: Um überhaupt zur Aufnahmeprüfung für die Ausbildung  zu dürfen, müssen Interessierte zeigen, dass sie seit mehreren Jahren Bergsteigen. Dazu müssen sie einen Tourenbericht vorlegen, zum Beispiel vom Klettern an der Große Zinne in den Dolomiten oder einer Hochtour am Mont Blanc. Ein bestimmter Schulabschluss oder ein bestimmtes Studium sind nicht gefordert.

Die zwölftägige Aufnahmeprüfung  teilt sich in Sommer- und Winterdisziplinen, in denen die Kandidat:innen etwa Konditionstests am Berg machen oder Eis- und Felsklettern. Laut dem Verband Deutscher Berg- und Skiführer gibt es pro Jahr 20 bis 25 Bewerber:innen, davon schaffen es etwa 15, für die Ausbildung zugelassen zu werden.

In der Ausbildung beim Verband deutscher Berg- und Skiführer vermitteln Lehrgänge Themen wie Taktiken des Führens, Lawinenkunde, Orientierung und Spaltenbergung. Die Ausbildung dauert mindestens zweieinhalb Jahre, da einige Module flexibel belegt werden können, lässt sie sich auch nebenberuflich machen.

Die Teilnehmer:innen zahlen für Seminare und Prüfungen etwa 11.700 Euro , plus Anreise, Übernachtung und Verpflegung. Nach den ersten Zwischenprüfungen führen Aspirant:innen auch Touren mit Gästen, für die sie bezahlt werden. Die letzte staatliche Theorieprüfung nimmt die TU München ab.

Wie lange ich hauptberuflich führe, weiß ich noch nicht. Bergführen kann man im Prinzip bis zur Rente. Auf lange Sicht kann ich mir schon vorstellen, eine Arbeit mit etwas mehr Planungssicherheit, weniger Gefahren und geringerer körperlicher Belastung zu machen. Im Moment bin ich aber noch motiviert, alle Bergbegeisterten zu ihren Zielen zu bringen.«

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