Berufseinstieg Ich wollte unbedingt zur Bundeswehr – und dann unbedingt weg

Für den Einsatz auf See vorgesehen: Autor Elias Fischer auf dem Berliner Hostelboot »Western Comfort«
Foto: Tamara Eckhardt / DER SPIEGELDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
13 Jahre können lang sein – auch wenn es am Ende nur sieben werden. Heute bin ich mir dessen bewusst. Als ich im Februar 2011, kurz nach meinem 18. Geburtstag, meine Verpflichtungserklärung bei der Deutschen Marine unterschrieb, war das anders. Meine Karriereplanung endete dort, wo sie anfing: Ich wollte raus aus meinem Elternhaus und Geld verdienen, dazu im Optimalfall Abwechslung und Anerkennung. Die Offizierslaufbahn im Truppendienst der Bundeswehr schien mir all das zu geben.
Mittlerweile bin ich 28 Jahre alt und seit 40 Monaten offiziell nicht mehr Teil der Bundeswehr. Ich habe die 13 Jahre, für die ich mich verpflichtet hatte, nie erfüllt. Stattdessen habe ich vor Kurzem einen Bachelor in Publizistik und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen und stehe nun zum zweiten Mal an der Schwelle ins Berufsleben – diesmal als Journalist.
Woran liegt es, dass die Bundeswehr und ich nicht so harmonierten, wie ich es mir vorgestellt hatte? Das habe ich mich zum Ende meiner Dienstzeit und danach oft gefragt. Heute suche ich nicht mehr nach der einen Erklärung, die es ohnehin nicht gibt. Wahrscheinlich ist aber, dass das Missverständnis lange vor meiner Zeit als Soldat begonnen hat.
Meinen ersten Kontakt mit der Bundeswehr hatte ich in der Oberstufe. Zwei Marinesoldaten in tiefblauen Hosen und weißen, kurzärmeligen Hemden zeigten uns bei einem Vortrag Karriereoptionen in der Marine auf. Sie redeten von Einsätzen auf den Meeren, Hierarchien und von einer Menge Geld, das auf meinem Konto landen sollte. Pünktlich. Zuverlässig. Jahrelang. Bei einem Truppenbesuch in Kiel wenig später fuhr ich mit einem Minenjagdboot auf die Ostsee, hörte Vorträge über das Seebataillon und die Kampfschwimmer.

Der dunkelblaue Dienstanzug der Marine – auch »erste Geige« genannt – hängt noch samt Schirmmütze in meinem Kleiderschrank
Foto: Tamara Eckhardt / DER SPIEGELJackpot! Mehr wollte ich damals nicht wissen. Die Offizierslaufbahn schien wie auf mich zugeschnitten. Vom ersten Tag an sollte ich knapp 1500 Euro netto pro Monat bekommen. Mit jeder Beförderung sollten die Dienstbezüge anwachsen, bis auf rund 3000 Euro monatlich zum Ende der 13 Jahre. Als Schüler hatte ich mehrmals in der Woche für ein paar Euro im Sägewerk gestanden, meine Ferien auf dem Bau verbracht. Mit der Bundeswehr würde das endlich aufhören, sie klang für mich nach absoluter Unabhängigkeit.
Und das nicht nur in finanzieller Hinsicht: Die Offizierschulen der Teilstreitkräfte Marine, Heer und Luftwaffe befinden sich in Flensburg, Dresden und Fürstenfeldbruck; die Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und München. Mit keiner der Städte verband mich etwas, aber in allen fand ich etwas: Distanz zu meinem Elternhaus im westlichen Niedersachsen. Und von dort wollte ich schon seit Jahren weg.
Heer, Luftwaffe, Marine – ich war mit allem einverstanden
Dass ich am Ende bei der Marine landete, lag daran, dass ich ihren Vortrag gehört und ihren Stützpunkt besichtigt hatte. Wenn ich eine andere Teilstreitkraft besucht hätte, wäre die Entscheidung möglicherweise zu ihren Gunsten ausgefallen. Meine Bewerbungsunterlagen bezeugen das: Ich gab damals an, mit Heer und Luftwaffe ebenfalls einverstanden zu sein.
Für die Entscheidung elementare Auseinandersetzungen mit Hierarchien, mit Einsätzen und dem Leben an Bord fanden in mir nicht statt. Anschließend kam mir das oft paradox vor, wo ich doch in der Schule und zu Hause immer mit einem Autoritätsproblem gekämpft hatte.
Die Offizierslaufbahn beginnt bei der Marine mit einem einjährigen Offizierlehrgang, an dessen Ende die Eignung zum Offizier bestätigt wird oder eben nicht. In der Regel absolvieren die Soldat:innen im Anschluss ein Studium. Ich erhielt einen Platz für Maschinenbau an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.
Auf meinem Bewerbungsbogen stand Maschinenbau als Studienwunsch vor BWL und Sportwissenschaft. Aber mit den Studienfächern verhielt es sich wie mit den Teilstreitkräften: Weder tendierte ich zu einem, noch hätte ich eines abgelehnt. Überhaupt maß ich dem Studium keinen großen Wert bei; es war ein logisches Muss nach dem Abitur. Und die Bundeswehr ermöglichte mir, diese Pflicht zu erfüllen.
Im Laufe der nächsten Jahre zeigte sich, wie kurz gegriffen das war. Ich kämpfte mit dem Studium, mit den Inhalten und der Vorstellung, später in einem technischen Job zu arbeiten. Aber genau das war für die verbleibenden acht Dienstjahre nach dem Studium und womöglich sogar die Zeit danach vorgesehen, denn: Das Bundesamt für Personalmanagement – die Human-Resources-Abteilung der Bundeswehr – hatte mich als schiffstechnischen Offizier auf einem Minenjagdboot eingeplant.
Ich hatte während meines Offizierlehrgangs sieben Wochen auf einer Fregatte verbracht und das nicht als erträgliches Erlebnis verbucht. Ich konnte mir nicht vorstellen, auf einem Boot, das noch weniger Privatsphäre, Bewegungs- und Kontaktmöglichkeiten bietet, wochen- oder auch nur tagelang auszuharren. Und jetzt sollte ich genau dort arbeiten.
Was waren meine Alternativen? Ich konnte mir nicht vorstellen, nach den 13 Jahren Berufssoldat zu werden. Ich wollte nach der Verpflichtungszeit auch nicht als Ingenieur in der freien Wirtschaft arbeiten. Auf welche Stellen im Maschinenbau hätte ich mich überhaupt bewerben sollen, wenn ich bei der Marine nicht über Instandsetzung, Betriebskontrolle und ein bisschen Führungskompetenz hinausgekommen war?
Das alles verdrängte ich vorerst. Erst als ich die Tätigkeit als schiffstechnischer Offizier aufnahm, konnte ich den Widerstand nicht mehr ignorieren, der sich in mir über die Jahre aufgestaut hatte – Widerstand gegen mein Studium, die Seefahrt und die festen Hierarchien. Dabei fuhr ich nicht einmal mehr zur See, weil das Boot in der Werft lag. Aber plötzlich stand ich – mit gerade mal 24 Jahren – in der Verantwortung für Mensch und Material in einem Arbeitsumfeld, mit dem ich seit Jahren gehadert hatte. Ich war vollends überfordert. Und erst diese Überforderung verlieh mir den Mut, mir einzugestehen, dass ich mich verrannt hatte.
Der anschließende Ausgliederungsprozess dauerte fast ein Jahr und endete damit, dass ich Ende August 2018 letztmals eine Marinekaserne verließ – durch dasselbe Tor, durch das ich damals zum Truppenbesuch in der Oberstufe erstmals eine betreten hatte.

Anziehen werde ich die »erste Geige« nicht mehr
Foto: Tamara Eckhardt / DER SPIEGELHeute weiß ich, dass ich eine nachhaltige Entscheidung nur treffen kann, wenn ich mich inhaltlich, moralisch und emotional darauf vorbereite. Als ich damals meine Verpflichtungserklärung unterschrieb, war sie der logische Schritt, denn ich hatte mich weder mit der Laufbahn des Offiziers noch mit meinen Bedürfnissen auseinandergesetzt. Das kam erst im Laufe des Erlebens.
Als ich nach einem neuen Zukunftsplan, einem neuen Job suchte, reduzierte ich meine Entscheidung nicht auf die Impulse Geld und Auszug. So kommt es, dass ich heute in Redaktionen sitze und schreibe – manchmal auch über mich selbst.