Kriterien für die Berufswahl Hauptsache motiviert

Als ich mein Abi machte, wusste ich fast nichts über die Arbeitswelt. Ich kannte den Beruf meines Vaters. Außerdem hatte ich eine Vorstellung davon, wie eine Lehrerin oder ein Supermarktkassierer arbeiten. Über wieder andere Jobs wusste ich höchstens das, was man im Fernsehen sieht - und was vermutlich wenig mit der Berufsrealität von Anwältinnen, Krankenpflegern, Journalistinnen zu tun hatte.
Die Entscheidungen, die ich im Jahr nach meinem Schulabschluss traf, waren dementsprechend nicht sonderlich fundiert - doch sie hatten weitreichende Konsequenzen: Ich begab mich auf eine berufliche Laufbahn hin zu einem Job, dem ich nun einen Großteil meiner wachen Zeit widme.
Was will ich überhaupt?
Diese Frage kennt Cornelia Paul aus Hamburg nur zu gut. Als systemischer Businesscoach berät sie Menschen an unterschiedlichen Stationen des Arbeitslebens. Immer wieder begegnet sie dabei jungen Leuten, die nach dem Schulabschluss ziemlich ratlos sind.
Cornelia Paul hat in ihrer beruflichen Laufbahn als Angestellte verschiedene Arbeitsbereiche kennengelernt, unter anderem Vertrieb, Marketing und Organisation.

Als geschäftsführende Gesellschafterin hat sie ein Modelabel aufgebaut. Seit 2015 ist sie zertifizierter Systemischer Management Coach nach der Neuen Hamburger Schule und zertifizierte Expertin für die Motivations-Potenzial-Analyse. Sie arbeitet deutschlandweit für Privatkunden und Unternehmen, mit Mann und Kind lebt sie in Hamburg. (Zur Website von Cornelia Paul)
Zu diesem Zeitpunkt seien die meisten Schülerinnen und Schüler noch extrem stark geprägt von ihren Eltern, von deren Status und ihrem persönlichen Umfeld, sagt Paul. "Viele stecken in einem Schubladendenken fest - jemand, dessen Eltern studiert haben, kommt beispielsweise gar nicht auf die Idee, eine Ausbildung zu machen, und umgekehrt."
Stattdessen hasteten viele junge Menschen einem vorgezeichneten Weg von Schule, Praktikum, Studium, Job hinterher. Nur, um dann ein paar Jahre später innezuhalten und sich zu fragen: Was habe ich da eigentlich gemacht? Und macht mich das glücklich?
Was motiviert mich?
Der Schlüssel zur Antwort auf diese Frage liegt für Paul in dem, was sich "Motivationspotenzial" nennt. Die Motivationsforschung befasst sich mit den Beweggründen von Handlungsbereitschaft - also eigentlich der Frage, warum wir irgendetwas tun oder lassen. Die Grundannahme von Paul und anderen Coaches, die mit Fokus auf Motivation beraten: Wer motiviert ist, ist gut im Job und zufrieden bei der Arbeit. Und wer gut im Job und zufrieden bei der Arbeit sein möchte, muss wissen, was sie oder ihn motiviert.
Paul unterzieht daher alle ihre Klienten zunächst einer sogenannten Motivationspotenzial-Analyse. Auch mir legt sie vor unserem Gespräch einen langen Fragebogen vor, in dem ich angeben muss, welche Situationen mich anregen und welche eher nicht. Beispielsweise, ob ich gern spontan Entscheidungen treffe (nein), ob mir Pünktlichkeit wichtig ist (ja) und ob ich Feedback brauche (unbedingt!). Heraus kommt eine Liste von Motiven, nach Wichtigkeit geordnet. Dort erfahre ich beispielsweise, dass das Motiv "Erkenntnis" - definiert als das Streben nach dem Verstehen von Zusammenhängen -, das Motiv "Fremdanerkennung" - also das Streben nach Rückmeldung von anderen - und das Motiv "Ordnung" bei mir sehr ausgeprägt sind.
Insgesamt umfasst die Liste 13 Kategorien, die jeweils zwei gegensätzliche Ausprägungen haben können. So gibt es beispielsweise als Gegensatz zum Motiv "Ordnung" das Motiv "Flexibilität", das bei mir wenig überraschend im unteren Viertel der Motivations-Hitliste landet.
Unterschiedlich starke Motive
Die Anordnung dieser Motive müsse man sich vorstellen wie unterschiedlich große Wasserbälle in einem Pool, sagt Paul. "Man kann versuchen, Wasserbälle eine Weile unter Wasser zu drücken - aber je größer der Ball, mit desto größerer Sicherheit fliegt er einem irgendwann um die Ohren." Soll heißen: Finden stark ausgeprägte Motive im Alltag keinen Ausdruck, führt das irgendwann zu Problemen.
Nicht jedes Motiv müsse dabei zwangsläufig im Job ausgelebt werden, erklärt die Coachin. "Wenn wir Sie beispielsweise ins Finanzamt in den Keller stecken, wo Sie den ganzen Tag Anträge stempeln, können Sie trotzdem ein glückliches Leben führen - wenn Sie dafür jeden Abend auf der Bühne im Theater stehen und Applaus bekommen." Der Job im Amt würde in diesem Fall mein Bedürfnis nach Ordnung befriedigen, die fehlende Anerkennung durch andere wiederum könnte ich mir im Privatleben holen. "Das Wichtigste ist einfach, die eigene Motivation zu kennen - und dementsprechend Entscheidungen zu treffen."
Mein persönliches Fazit nach der Motivationspotenzial-Analyse ist recht positiv. Im Gespräch mit Cornelia Paul verfestigt sich schnell das Gefühl, dass die Arbeit als Journalistin gut zu meiner Motivation passt. Schließlich gehört es zum Job, Hintergründe zu recherchieren (Erkenntnis!) und dafür Feedback zu bekommen (Fremdanerkennung!). Glück gehabt.
Die eigene Motivation ergründen
Doch nicht jeder kann zum Jobcoach gehen und sich analysieren lassen, eine professionelle Beratung kostet schnell mehrere Hundert Euro. Wie finde ich dennoch heraus, was mich motiviert?
Paul zufolge hilft da vor allem eines: nachdenken, nachdenken, nachdenken. Und zwar nicht einfach so, sondern mit System. "Selbst wenn man noch keinen Überblick über die gesamte Berufswelt hat, kann man einige grundlegende Fragen dennoch für sich beantworten." Sie rät zu einer allgemeinen Werteaufstellung: Was ist mir wichtig im Leben? Was bedeutet Karriere für mich? Und was ist für mich Erfolg?
Außerdem gebe es bei jeder Ausbildungs- oder Jobentscheidung konkrete Fragen, die man einbeziehen könne. Würde ich in eine andere Stadt ziehen? Arbeitet eine Firma nach meinen Werten? Klassische Pro-und-Contra-Listen, auf denen die Antworten auf all diese Fragen vermerkt sind, seien dabei eine gute Methode, um sich einen Überblick über alle Faktoren zu verschaffen.
Ein Trick, um die eigene Motivation zu ergründen, ist eine "Pflegeanleitung", wie Paul es nennt: "Wenn ich eine Zimmerpflanze kaufe, stehen auf einem Schildchen meistens drei Pflegehinweise, dass die Pflanze es zum Beispiel schattig, kühl und feucht mag." Analog dazu solle man sich drei Faktoren überlegen, die man selbst jeden Tag brauche, um motiviert an die Arbeit zu gehen - sei es täglicher Austausch, eine ausgiebige Mittagspause oder jeden Tag neue Menschen kennenzulernen.
"Je konkreter man sich die eigenen Erwartungen macht, desto leichter kann ich entscheiden, welcher Job gut für mich ist", so das Credo der Coachin.
Aus Irrtümern lernen
Mit Blick auf meine eigene Berufsbiografie muss ich zugeben, dass ich mich mit all diesen Fragen erst relativ spät beschäftigt habe. Wozu das führt, habe ich aber auch gemerkt: Nach dem Abitur schrieb ich mich "einfach mal so" für ein Jurastudium ein. Ich bemerkte sehr schnell, dass dieses Fach nichts für mich war. Nach einem Semester brach ich ab.
Für mich fühlte sich das damals wie eine Niederlage an. Doch Paul sagt, dass gerade solche Umbrüche sehr lehrreich für die eigene Entscheidungsfindung seien. "Dabei ist es aber essenziell, nicht überstürzt alle Zelte abzureißen, sondern ganz genau hinzuschauen." Was war es, das mich an der Ausbildung oder dem Studium gestört hat? Welche Lehren kann ich daraus ziehen? Was hat mich demotiviert - und was könnte mich im Gegenzug bei einer anderen Beschäftigung motivieren? Und wie sorge ich dafür, dass es bei der nächsten Option nicht genauso läuft? "Dann ist so etwas absolut keine verschwendete Zeit."
Ohnehin ist das für sie eine der wichtigsten Leitregeln bei der Berufswahl: flexibel bleiben - und außerdem achtsam und gnädig mit sich selbst. "Unsere Lebens- und Arbeitszeit ist so lang. Niemand sollte etwas durchziehen, was ihn unglücklich macht, bloß weil er es irgendwann mal angefangen hat." Denn das, so viel stehe fest, sei dauerhaft keine besonders wirksame Motivation.