Geld oder Selbstverwirklichung? Diese Fragen helfen dir bei der Entscheidung
Dieser Beitrag wurde am 05.06.2019 auf bento.de veröffentlicht.
Noch nie hatte eine Generation so viele Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung im Job wie unsere. Egal, ob es der Traum vom Influencer-Leben ist, die Entwicklung von künstlicher Intelligenz oder der Wunsch, nach einem Chefinnenposten: Wir können im Prinzip alles erreichen.
2017 gab es in Deutschland laut dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) 19.000 Studiengänge, das sind 2000 mehr als noch im Jahr 2014. Hinzu kommen Ausbildungen und duale Studiengänge. Die Möglichkeiten sind da, aber ebenso die Unsicherheit. Denn einerseits wollen wir uns in unserem zukünftigen Beruf verwirklichen, andererseits brauchen wir finanzielle Sicherheit. Für viele von uns ist das ein Widerspruch.
Aber schließt sich das wirklich aus?
Caro und Chiara erzählen von ihren Ausbildungswegen. Während Caro auf den lukrativen Job setzt, hat sich Chiara für ihre Leidenschaft entschieden. Wie geht es den beiden damit?
Außerdem haben wir mit Ragnhild Struss von Struss und Partner Karrierestrategien in Hamburg gesprochen. Gemeinsam mit ihrem Team berät sie Schülerinnen, Studierende und Absolventen zu ihrer beruflichen Zukunft. Uns hat sie verraten, welche Kriterien und Fragen bei der Entscheidungsfindung helfen können.
bento: Nehmen wir an, ich interessiere mich gerade für ein Studium oder eine Ausbildung. Auf der einen Seite bin ich vielleicht eine passionierte Tänzerin, auf der anderen Seite brauche ich aber das Gefühl von finanzieller Sicherheit. Sollte ich mich also lieber für BWL oder Jura entscheiden statt für eine Ausbildung als Tanzlehrerin?
Ragnhild Struss: Finanzieller Erfolg und Selbstfindung schließen sich grundsätzlich nicht aus. Kein Beruf garantiert absolute Sicherheit, vor allem bei mangelnder Leistung. In nahezu jeder Branche gibt es sichere und weniger sichere Jobs – man sollte den Sicherheitsaspekt also nicht auf einen gesamten Berufszweig verallgemeinern.
Ragnhild Struss
Ein vermeintlich sicherer Job hält wiederum nicht, was er verspricht, wenn man keine Freude daran empfindet und dementsprechend weniger Leistung bringt. Von daher sollte man in der Studien- und Berufswahl mehr auf die inneren Potenziale als auf äußere Jobkriterien achten.
Welche Rolle spielt das eigene Umfeld bei dieser Entscheidungsfindung?
Natürlich beeinflusst es uns stark. Insbesondere die eigenen Eltern, wenn sie uns zu einem vermeintlich sicheren Ausbildungsweg raten. Das ist gut gemeint und aus Liebe geboren, weil man seinem Kind nun mal keine Geldnot wünscht. Aber es entspricht auch der Denkweise einer materiell geregelten Welt, in der wir leben. Es erfordert zwar eine ordentliche Portion Mut, das zu wagen, wofür man brennt. Doch es aus Angst vor möglicher Unsicherheit nicht zu tun, kann später zu Bedauern führen. Wir erleben viele Klienten, die ihren ursprünglichen Traum auch nach vielen Jahren Berufstätigkeit in einem eher traditionellen Zweig nicht vergessen haben und dann in einem "Hätte, wäre, wenn..." verharren – das steigert die Arbeitsmotivation nicht gerade. Natürlich kann es immer Rückschläge geben. Aber in jedem Bereich, egal ob klassisch oder unkonventionell, gibt es erfolgreiche Menschen. Das sind oft diejenigen, die drangeblieben sind und sich von gefühlten Risiken und Gegenwind nicht haben abschrecken lassen.
Ragnhild Struss
Was halten Sie von Studiengängen wie Influencer Marketing oder Wirtschaftspsychologie? Sind das neumodische Erscheinungen ohne Substanz oder durchaus solide Bildungsgrundlagen?
In erster Linie sind es Antworten auf den Markt und dessen Entwicklung. Die Berufsbilder differenzieren sich immer stärker aus, nicht zuletzt aufgrund zunehmender technologischer Fortschritte. Wichtig ist vor allem, dabei immer auf seine eigene Stimme zu hören und sich keinen Zeitdruck zu machen – schließlich lernen wir ein Leben lang. Es ist nicht mehr wie früher, dass die eine "solide Grundlage" endgültig das gesamte Berufsleben vorgibt. Alleine durch den rasanten technologischen Wandel sollte jeder bemüht sein, am Puls der Zeit zu bleiben, zum Beispiel mit regelmäßigen Weiterbildungsmaßnahmen und Workshops.
Welche Fragen kann ich mir stellen, um die eigenen Wünsche und Ziele zu definieren? Und um herauszufinden, welches Studium oder welche Ausbildung letztlich passend für mich ist?
Um die richtige Studien- oder Ausbildungswahl zu treffen, ist es wichtig, sich mit seiner eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen und die individuellen Eigenschaften, Stärken, Werte und Interessen zu reflektieren – wie eine innere Landkarte, die man erkundet. Die folgenden Fragen können dabei helfen – am besten, indem du sie schriftlich beantwortest.
Eigenschaften
- Welche Eigenschaften zeichnen mich im Besonderen aus?
- Worauf bin ich stolz?
- Was mag ich gerne an mir?
- Mit welchen Adjektiven könnte man mich besonders gut beschreiben?
- Wie würde ich mich in einem Interview vorstellen?
Fähigkeiten, Stärken und Talente
- Was kann ich besonders gut?
- Wofür bekomme ich Lob und Anerkennung?
- Worin bin ich erfolgreich?
- Welche Fächer fallen mir in der Schule besonders leicht?
- Wobei bitten mich Freunde besonders häufig um Hilfe?
Motivatoren
- Was treibt mich zum Handeln an? (Zum Beispiel: Einfluss und Macht, Ideal und Sinn, Unabhängigkeit, Wettbewerb, Lob, Wissbegier, etc.)
- Was muss gegeben sein, damit ich richtig Lust verspüre, einer Aufgabe nachzugehen?
Werte
- Wonach richte ich mein Verhalten aus?
- Welche Werte sind mir im Leben besonders wichtig? (Zum Beispiel: Wissen, Kompetenz, Sicherheit, Harmonie, Familie, Wohlstand, Ansehen, Gesundheit, Spaß, etc.)
Interessen
- Welche Interessen habe ich?
- Wie verbringe ich meine Freizeit?
- Was würde ich gerne einmal ausprobieren?
Kindheitsträume
- Welchen Berufswunsch hatte ich als Kind?
- Wovon träume ich heute?
- Wie möchte ich später einmal leben?
- Wie soll mein Leben aussehen, was soll es beinhalten?
Wenn man all diese Fragen beantwortet hat, sollte man spontane Assoziationen notieren, welche Studien- und Ausbildungsgänge beziehungsweise Berufsbilder zu den aufgeschriebenen Punkten passen. Dann ist es sinnvoll, sich über diese zu informieren und sie einem Reality-Check zu unterziehen. Zum Beispiel indem man sich mit Menschen unterhält, die in diesem Berufsfeld arbeiten, oder indem man selbst praktische Erfahrungen sammelt.
Egal, ob kreativer, kaufmännischer oder handwerklicher Job: Es kommt auf die Leidenschaft an.
Chiara ist 20 Jahre alt und passionierte Tänzerin.
Die Überlegung, ihr Hobby zum Beruf zu machen, kam ihr jedoch erst nach der Schule. Umso glücklicher ist sie jetzt, dass sie diesen Weg auch tatsächlich gegangen ist.
Eigentlich wollte ich nach der Schule etwas ganz anderes machen: Grundschullehramt studieren. Dass ich beruflich ja auch etwas mit Tanz machen könnte, war mir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bewusst. Bei der Berufswahl waren für mich vor allem zwei Faktoren wichtig: Es sollte etwas Soziales sein, am liebsten mit Kindern – und etwas mit Bewegung.
Als ich dann die Aufnahmeprüfung zur Tanzpädagogin bestand, – die ich eigentlich nur zum Spaß absolvierte – fing ich das erste Mal an, ernsthaft über dieses Berufsbild nachzudenken. Erst dachte ich, dass ich mit einem Abiturschnitt von 1,2 doch studieren müsste, aber schließlich bestärkte mich mein Umfeld in meiner Entscheidung für die Karriere im Tanz. Im Oktober 2017 begann ich also die Ausbildung zur staatlich geprüften Tanzpädagogin, die insgesamt drei Jahre dauert. Wir haben sowohl praktische als auch theoretische Fächer, in denen wir Grundlagen für das spätere Unterrichten lernen. Dafür müssen wir das Tanzen natürlich auch selbst gut beherrschen, weshalb wir unter anderem in Fächern wie Ballett, Jazz und Modern unterrichtet werden. Die theoretischen Fächer beinhalten beispielsweise Tanzgeschichte, Anatomie und Psychologie.
Seit Beginn meiner Ausbildung habe ich kein einziges Mal mehr an der Entscheidung gezweifelt. Studieren kann ich hinterher ja immer noch – aber mit dem eigenen Körper zu arbeiten, geht nur solange man gesund und fit ist. Mittlerweile bin ich im vierten Semester und mache mir vermehrt Gedanken um meine berufliche Zukunft. Sowohl der finanzielle Aspekt als auch die Arbeitszeiten sind zugegeben nicht optimal, wenn man eine Familie gründen möchte. Nichtsdestrotrotz bietet die Ausbildung auf jeden Fall eine gute Grundlage, auf der man aufbauen kann.
Ich bin glücklich. Ich habe jeden Tag die Möglichkeit, zu tanzen und kreativ zu sein. Ich kann mit Menschen regelmäßig in Kontakt treten, trage zur Bildung von Kindern bei und kann den Tanz als Audrucksform und Kommunikationsmittel nutzen.
Chiara
Caro ist 23 Jahre alt und hat BWL in London studiert.
Die Entscheidung hat sie relativ spontan getroffen – und ist bis heute froh darüber. Unter anderem, weil sie schnell einen guten Job gefunden hat.
Ich habe einen Bachelor in Business Administration an der Hult International Business School in London gemacht – das ist sozusagen "BWL auf Englisch". Die Entscheidung, nach London zu ziehen, fiel sehr spontan, nachdem mich die Uni aufgrund meiner TOEFL-Test Ergebnisse (international anerkanntes Sprachzertifikat zur Beurteilung der akademischen Englischkenntnisse) kontaktierte und fragte, ob ich mir vorstellen könne, dort zu studieren. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon für ein Jura-Studium nach Münster oder Heidelberg gehen. Dann packte mich aber schnell die Faszination, in London zu leben – mit Leuten aus aller Welt. Innerhalb von zwei Wochen war dann auch schon alles unter Dach und Fach und der Umzug stand bevor. Natürlich fiel es mir schwer, Familie, Freunde und mein ganzes Umfeld auf einmal hinter mir zu lassen – aber das hat unser Wiedersehen innerhalb der drei Jahre meines Studiums umso schöner gemacht.
Durch mein Studium habe ich viele tolle Menschen kennengelernt, mich fachlich und persönlich weiterentwickelt. Nach drei Jahren hatte ich dann aber Heimweh nach meiner Familie in Hamburg, meinen Freunden und natürlich auch nach Astra und Bismarckhering. Darum war ich umso euphorischer, nach meiner Abschlussfeier (auf der ich mit einem Freund sogar die Abschlussrede unseres Jahrgangs halten durfte) mit meiner Familie zusammen in einen Flieger nach Hamburg zu steigen und hier einen Job bei der Wirtschaftsprüfung PricewaterhouseCoopers anzutreten.
Seit Oktober 2018 arbeite ich nun dort, und es ist definitiv eine Herausforderung: Es gibt viel Neues zu lernen, man arbeitet viel und in verschiedenen Branchen, das Umfeld ist in einem schnellen Wandel. Aber all diese Faktoren fand ich bei der Jobwahl auch wahnsinnig spannend und erfüllend.
Caro
Ich habe tolle Kollegen und arbeite meistens an spannenden Projekten – auch wenn mein Arbeitstag selten um 17 Uhr vorbei ist, merke ich doch täglich, wie viel ich dazu lerne. Außerdem kann ich mir nun meine ganz eigene Wohnung leisten – das finde ich auch nicht übel.