KI und Recruiting Diese Fragen erwarten Sie im Bewerbungsgespräch

»Hallo, sind Sie noch auf Mute?« In Corona-Zeiten setzen viele Firmen auf Bewerbungsgespräche per Videochat und nutzen dafür auch künstliche Intelligenz. Was Sie da erwartet? Probieren Sie es aus.
Ein Vorstellungsgespräch kann eine große Chance sein – wenn es richtig geführt wird (Symbolbild)

Ein Vorstellungsgespräch kann eine große Chance sein – wenn es richtig geführt wird (Symbolbild)

Foto: metamorworks / iStockphoto / Getty Images

Sie haben eine Stelle gefunden, die Sie interessiert? Und vielleicht schon einen Termin für ein Vorstellungsgespräch? Glückwunsch. Im buchstäblichen Sinne. Bei vielen Bewerbungsgesprächen kommt es nämlich genau darauf an: Glück. Nicht unbedingt auf Ihre Sach- oder Fachkenntnis.

Denn die Gespräche sind oft unstrukturiert – Personalerinnen und Personaler fragen oder plaudern drauf los, am Ende entscheidet nicht selten Sympathie. »Das heißt, die stellen nachher Leute ein, bei denen sie sich gut fühlen, und merken gar nicht, dass sie systematischen Fehlern erlegen sind«, sagt Uwe Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück und Experte für Bewerbungsverfahren.

»Objektivität beim Vorstellungsgespräch bedeutet nur, dass die Beurteilung des Bewerbers nicht abhängt von dem Menschen, der die Beurteilung vornimmt.«

Uwe Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie

Dabei ist das Vorstellungsgespräch eine große Chance – für beide Seiten. Der Arbeitgeber kann mit gezielten Fragen herausfinden, ob die, die ihm gegenübersitzt, wirklich zum Profil passt. Und andersherum. Doch damit das gelingt, müssen Bewerbungsgespräche die Richtung ändern: weg vom Subjektiven, hin zur Objektivität. »Das bedeutet nicht, dass es objektiv nur einen perfekten Kandidaten gibt«, erklärt Kanning. »Objektivität beim Vorstellungsgespräch bedeutet nur, dass die Beurteilung des Bewerbers nicht abhängt von dem Menschen, der die Beurteilung vornimmt.« Egal also, ob die Personalchefin oder ihr Stellvertreter Sie interviewen, das Verfahren sollte gleich sein.

Eine KI sucht die Fragen aus

Auf der Suche nach dieser Objektivität setzen inzwischen viele Firmen auf Datenanalyse und künstliche Intelligenz, um Bewerber zu sortieren, zu bewerten und zu interviewen. Google hat eine KI entwickelt, die verspricht, passende Jobs und Bewerberinnen zusammenzubringen. IBM bietet großen Unternehmen das Komplettpaket: Vom Auswahlprozess bis zum Arbeitsvertrag übernimmt die KI all die Arbeiten, die sonst Sachbearbeiter in HR-Abteilungen auf den Schreibtischen haben. Und das Vorstellungsgespräch per Videochat ist in Corona-Zeiten sowieso längst zum Normalfall geworden.

Die Boss-Maschine

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz schon jetzt, wenn es darum geht, Jobs zu finden, Kandidaten auszuwählen oder Bewerbungsgespräche zu führen? In einem Themenschwerpunkt haben Journalisten und Coder vom SPIEGEL und dem Bayerischen Rundfunk diese Fragen recherchiert und Chancen und Risiken der neuen Technik beleuchtet. Begleitet wurde das Team von Applied AI vom Unternehmertum (TU München).

Das Team: Lennart Bedford-Strohm, Guido Grigat, Matthias Kremp, Katharina Kulzer, Chris Kurt, Christiane Miethge, Jens Radü, Patricia Stuchlik, Natascha Vostrovsky, Alexander Waldmann

Bewerben mit KI: Die Boss-Maschine – abrufbar in der BR-Mediathek 

Das Berliner Unternehmen viasto hat sich auf diese Form des Video-Recruitings spezialisiert – und bietet seinen Kunden einen Algorithmus an, der differenziert aufeinander abgestimmte Interviewfragen kreiert. Aus mehr als 10.000 Fragen formt die intern entwickelte KI den Leitfaden für das Vorstellungsgespräch – abhängig von Branche, Stelle, Hierarchiestufe und vielen weiteren Kriterien; insgesamt 28 Parameter hat die KI im virtuellen Hinterkopf.

»Unsere KI basiert auf zehn Jahren Erfahrung im Video-Recruiting und zweieinhalb Jahren Entwicklungsarbeit mit Psychologen und KI-Spezialisten«, sagt viasto-Gründerin Sara Lindemann. Das Ziel: die Interviews so strukturieren, dass sie nicht ausufern – und die Kandidaten am Ende miteinander vergleichbar sind.

Wie das nun genau funktioniert? Probieren Sie es aus.

Um zu demonstrieren, wie künstliche Intelligenz im Bewerbungsverfahren schon heute eingesetzt wird, hat viasto für den SPIEGEL eine abgespeckte Version ihrer Fragebogen-KI programmiert: nur rund 1000 statt 10.000 Fragen, nicht so viele Jobs – aber einen guten Eindruck werden Sie bekommen. Wählen Sie aus dem Menü die Branche, die Sie interessiert, verändern Sie gegebenenfalls, welche Kriterien Sie für wichtig oder weniger wichtig dafür erachten, passen Sie die Qualifikationsstufe an – und lassen Sie sich überraschen, mit welchen Fragen Sie im Vorstellungsgespräch konfrontiert werden würden.

Was Sie im Bewerbungsgespräch erwarten könnte:

Was nun die besten Antworten auf die Fragen sind? Das wird Ihnen die KI nicht verraten. Wahrscheinlich wäre sie ohnehin nicht sonderlich gut darin, zu antworten. Text kann KI zwar inzwischen auch generieren, sogar in erstaunlicher Qualität . Aber die punktgenaue Verknüpfung von Information, Empathie und ab und an auch mal Humor – für KI wohl noch zu hohe Weihen.

Regeln für den Einsatz von KI

Das Deutsche DIN-Institut hat inzwischen eine Norm für KI im Recruiting-Prozess entwickelt. Unter der etwas sperrigen Bezeichnung DIN Spec 91426  haben Wissenschaftler, Technologie-Experten und Anwender ein Regelwerk erarbeitet, das Leitplanken setzen soll beim KI-Einsatz. Die drei wichtigsten Punkte:

  • Die Kandidatinnen und Kandidaten müssen darüber informiert werden, welche Daten konkret erhoben werden, welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

  • Die KI darf nicht einfach Mimik oder Sprachmerkmale erfassen und daraus ableiten, ob jemand für eine Stelle geeignet ist oder nicht.

  • Es muss nachgewiesen werden, dass der Algorithmus den Qualitätsanforderungen an berufsbezogene Eignungsdiagnostik genügt, zum Beispiel, dass keine Personengruppen systematisch benachteiligt werden.

Klingt selbstverständlich? Ist es nicht. Längst gibt es Firmen, die Sprachanalysen anbieten, Mimik und Gestik der Kandidatinnen untersuchen und eben auch auswerten. Eine KI, die urteilt – Experten stimmt das kritisch: »Eine Sprachanalyse funktioniert zwar objektiv, birgt aber wenig Aussagekraft, ob der Bewerber am Ende wirklich geeignet ist oder nicht«, erklärt Recruiting-Experte Kanning. Bedeutet: Ja, die KI misst. Sie misst sogar objektiver, als jeder Mensch es könnte. Aber hat das, was die KI misst, wirkliche Aussagekraft? Oder verlässt sich der Personaler da im Blindflug auf einen Algorithmus, den er nicht versteht, nur weil er scheinbar verlässliche Entscheidungen trifft?

Bei viasto ist die KI deshalb beschränkt darauf, den Fragenkatalog zu erstellen. Die richtigen Schlüsse aus dem Gespräch zu ziehen und Kandidaten auszuwählen, bleibt menschliches Vorrecht. »Unser Ziel ist es, dass KI den Verantwortlichen in der Personalauswahl transparent dabei hilft, nicht nur effizientere, sondern auch inhaltlich bessere und fairere Entscheidungen zu treffen«, sagt Geschäftsführer Martin Becker.

Das kann wahrscheinlich auch ohne KI funktionieren. Aber mit KI wird es wahrscheinlicher.

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