Semesterstart im Shutdown Darf meine Uni mich trotz Corona zu Präsenzveranstaltungen zwingen?

Präsenzveranstaltungen in der Hochschule in Corona-Zeiten: Muss ich mich dem Risiko aussetzen?
Foto: Drazen Zigic / iStockphoto / Getty ImagesEr habe “wirklich null Verständnis” dafür, dass seine Uni in Zeiten einer Pandemie in Teilen auf Präsenzveranstaltungen setze, schreibt der 22-jährige Politikstudent Moritz* auf Twitter. “Wieso sollte ich mich dem Infektionsrisiko aussetzen?”
Dem SPIEGEL sagte er weiter, er würde in diesem Semester gern ein Tutorium für Statistik belegen. Das sei zwar nicht verpflichtend und auch nicht unbedingt notwendig, um das zugehörige Seminar zu bestehen, würde ihm aber sehr helfen. Das Problem: Nur zwei der zwölf Tutorien würden online angeboten, und die fielen genau auf die Tage, an denen er arbeiten müsse, um Miete und Lebensunterhalt zu finanzieren. “Deswegen wäre ich mehr oder weniger gezwungen, an einer Präsenzveranstaltung teilzunehmen.”
Das wolle er aber nicht, aus mehreren Gründen: Er wolle seine eigene Gesundheit schützen. Außerdem sei seine Oma gerade zur Kurzzeitpflege in einem Altenheim untergebracht, der Freund seiner Mutter leite eine Pflegeeinrichtung. “Ich wäre nur ungern dafür verantwortlich, dass das Coronavirus sich in einem sensiblen Bereich ausbreitet”, schreibt der Student. An seiner Hochschule sei er nicht der Einzige, der sich gerade zwischen der persönlichen Sicherheit und der Teilnahme an Uni-Veranstaltungen entscheiden müsse,
Aber dürfen Unis das? Vorlesungen und Seminare als Präsenzveranstaltungen vor Ort stattfinden lassen, während einer Pandemie und eines Shutdowns?
Frisch immatrikuliert oder neu im Job: Gerade wer ganz am Anfang steht, erlebt häufig Situationen, in denen er sich von der Chefin, dem Professor oder dem Bafög-Amt ungerecht behandelt oder gar betrogen fühlt – aber nicht weiß, wie er damit umgehen soll. In dieser Reihe stellen Leserinnen und Leser die Frage »Dürfen die das?«, Expertinnen und Experten antworten ihnen.
Sie haben auch eine Frage? Senden Sie Ihren Fall an SPIEGEL-Start@spiegel.de .
Das sagt der Experte:
Lieber Moritz,
Ihr Studium ist freiwillig, zum Präsenzkurs gezwungen werden können Sie also nicht. Wenn Sie nicht erscheinen, haben Sie jedoch im Zweifel das Problem, dass Sie die Klausur nicht schreiben, die Präsentation nicht halten oder die Hausarbeit nicht abgeben können. Der Kurs würde dann als “nicht bestanden” bewertet.
In Deutschland entscheiden die Unis selbst darüber, ob die Studierenden in Vorlesungen und Seminaren anwesend sein müssen oder nicht. Bayern und Sachsen etwa haben keine Anwesenheitspflicht. Entschließt sich Ihre Hochschule dazu, auch in Corona-Zeiten Veranstaltungen vor Ort abzuhalten, dann ist das also erst einmal ihr gutes Recht. In der Uni regiert die Idee der akademischen Freiheit, die den Hochschulen diese Gestaltungsräume gibt.
Die Freiheit der Wissenschaft und Lehre ist dabei anders zu bewerten als die hierarchischen Strukturen in Schulen und Kitas. Für Hochschulen gibt es daher auch während Corona keine allgemeingültigen Regeln, wie sie sich zu verhalten haben. Sie müssen sich allenfalls den Anordnungen beugen, die allgemein gelten. Wichtig ist natürlich, dass alle gängigen Hygienevorschriften und Abstandsregelungen eingehalten werden. Ist das nicht der Fall, kann die Hochschule Probleme bekommen. Welche Folgen solch ein Verstoß konkret hat, unterscheidet sich von Stadt zu Stadt.
Die diffuse Angst vor dem Virus ist zu wenig
Erwarten, dass die Uni die Veranstaltung online zur Verfügung stellt, können Sie also nicht. Wenn Sie oder Ihre Kommilitonen eine berechtigte Angst haben, während Corona für einen Kurs in die Uni zu gehen, dann ist es wichtig, sich diese Angst ärztlich attestieren zu lassen. Die diffuse Sorge, sich mit dem Virus anstecken zu können, reicht nicht aus.
Sehen Sie sich in Ihrer derzeitigen Situation zum Beispiel selbst als Risikopatient, sollten Sie sich dies auch bescheinigen lassen. Dann fehlen Sie im Kurs zwar trotzdem, daraus darf Ihnen aber kein Nachteil entstehen, auch nicht bei Pflichtveranstaltungen. Sie fehlen dann ärztlich entschuldigt. Die Prüfung oder Studienleistung ersetzt dies am Ende aber natürlich trotzdem nicht. Wie Sie es also handhaben, liegt am Ende ganz bei Ihnen als Studierendem.
* Die Namen der Fragenden werden in dieser Reihe grundsätzlich geändert, damit sie keine Nachteile fürchten müssen.