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leben DAS SCHÄRFSTE STÜCK VON OSNA BRÜCK

SCHICK UND SCHÖN IST WIEDER IN: AUF DEM UNI-BALL PROBEN DIE STUDIERENDEN FÜR IHREN AUFTRITT IN DER GESELLSCHAFT.
Von Per Hinrichs
aus UNI SPIEGEL 6/2002

Schneller. Geht es nicht schneller? Komm zum Punkt, Mann. Du hast schon zwei Minuten dreißig geredet, reicht das nicht für die Begrüßungsrede eines Universitätspräsidenten? Wie eine große Gedankenblase scheint der Wunsch der studentischen Gäste im Neuen Kongresssaal der Stadthalle Osnabrück über den Köpfen zu schweben, doch Professor Rainer Künzel ist noch dabei, den Sponsoren zu danken sowie Oberbürgermeister Hans-Jürgen Fip und die 1000. ausländische Studentin zu begrüßen: Neringa Maceviciute aus Litauen.

Hat es nicht gerade noch gelbe Rosen am Eingang für alle Frauen gegeben, die - geschminkt, frisiert, in Samt und Seide - wie Filmstars die Stufen zum Festsaal hinaufschritten? Wehte nicht ein Hauch von Glamour durch das 1978 erbaute, eher düstere Gebäude? Für einen Moment sieht es so aus, als ob in der holzvertäfelten Stadthalle der 56. Verbandstag deutscher Taubenzüchter abgehalten würde - und nicht der 14. Ball der Universität Osnabrück, das größte gesellschaftliche Ereignis der Stadt und für Berit, 19, schlicht eine »Pflichtveranstaltung«.

Berit kennt Neringa Maceviciute aus Litauen nicht und hat auch die Rede von Professor Künzel verpasst, weil sie sich »dem Partyverhalten jüngerer Leute« angepasst hat, wie es der Präsident um 20.40 Uhr vor halb leeren Reihen ausdrückte, und erst gegen Mitternacht erschien. In ihrem weiß glänzenden, langen Kleid und mit den hochgesteckten blonden Haaren sieht sie ein wenig aus wie eine Gwyneth Paltrow vom Teutoburger Wald, und Ähnlichkeiten mit bekannten Personen sind durchaus beabsichtigt: »Sehen und gesehen werden« ist für Berit und ihren Freund Tobias, 20, das Wichtigste auf dem Uni-Ball - neben dem »tollen Musikangebot« und der Chance, seinen »Prof mal besoffen zu sehen«.

Zu sehen gibt es auch sonst viel: Mehr als 3400 Gäste treffen sich auf dem Höhepunkt der Osnabrücker Ballsaison, und die meisten von ihnen studieren an der Uni. So geht es auch nicht so stocksteif zu wie beim Wiener Opernball - die Twens in Anzügen und Gala-Roben flanieren über die Flure, schieben sich durch die Menge, hören sich die Kurzauftritte der sieben Bands namens Ten Mile Ride oder Jazzirinha an und schlürfen einen »Planter's Punch« an der Cocktailbar. Platzkarten und Reservierungen sind verpönt, stattdessen gibt es ein paar Gesetze auf diesem Fest: Nicht stehen bleiben. Nicht hinsetzen. Nicht aus der Rolle fallen - jedenfalls nicht zu früh.

Oben, auf einer Empore im ersten Stock, singt die lokale HipHop-Band Amaretto Gangsta ihr Lied »Hey Karen, du bist das schärfste Stück zwischen Bramsche und Osnabrück«. Und Berit wiegt vor der Bühne sanft im Takt mit, die Zigarette in der Hand, das Lächeln passend zur Pose. Cool. So unnahbar, wie das einer 19-Jährigen möglich ist. Eine Prinzessin für eine Nacht. Montag ersteht sie wieder auf als Jura-Studentin im ersten Semester.

Übt da jemand für die Zeit nach dem Examen, wenn statt Bafög und elterlichem Scheck ein stattliches monatliches Gehalt aufs Konto fließt? Feiern die Studis eine Generalprobe für spätere gesellschaftliche Verpflichtungen? Warum ziehen sich 20-Jährige wie ihre Eltern an und tun so, als seien sie 30 Jahre älter? Für den BWL-Studenten Benjamin Osterbrink, 24, ist der Ball einfach nur »ein Trend, den man mitmacht«. Viele Frauen, die er kenne, würden sich extra ein neues Kleid kaufen, zum Friseur gehen, sich wochenlang vorbereiten. »Früher sind Demos in gewesen, heute eben Mode«, sagt Benjamin und tanzt weiter.

»Die Studenten wollen sich auf gesellschaftlicher Ebene bewegen, sie wollen sich zeigen«, sagt Hans-Jürgen Unverferth, Organisator des Balles. Eigentlich kümmert er sich um den Wissenstransfer der Forschungsleistungen in die Wirtschaft. Seit dem ersten Uni-Ball im Jahr 1989 hockt er während des Festes in einem kleinen Zimmer mit niedriger Decke, dem »VIP-Raum« der Stadthalle Osnabrück, und guckt Fernsehen.

Überwachungskameras übertragen unscharfe Bilder aus dem »Neuen Kongresssaal«, dem »Niedersachsensaal« und dem »Europasaal«, so dass Unverferth sich einen Überblick verschaffen kann, welche Band zu lange spielt oder ihren Auftritt zu verschlafen droht. »Hier hat Udo Jürgens schon mal im Bademantel gesessen, bevor ihn seine Fans zur Zugabe auf die Bühne zurückgeklatscht haben«, sagt er, und das ist in der Tat das Schönste, was man über dieses Kabuff fernab jeder Partystimmung sagen kann.

Über seine Studenten weiß der Soziologe ziemlich gut Bescheid, seit er vor zwei Jahren eine repräsentative Umfrage unter den Ballbesuchern organisiert hat. »Die traditionelle Symbolik wird wieder nachgefragt. Die Studis wollen herauskommen aus dem Massenbetrieb.«

Eine »Normalisierung des politischen Lebens« sieht der Wissenschaftler gar im Uni-Ball. So befürworten fast alle Studenten das Sponsoring des Balles - wenn dafür die Getränke billiger oder die Bibliotheken besser bestückt würden. »Die sind einfach gute Lobbyisten in eigener Sache geworden«, sagt Unverferth.

Er weiß auch, dass die Veranstaltung kein Pärchentreff ist. »Nur zwei Prozent der Gäste kommen allein mit ihrem Partner. Die meisten erscheinen in Gruppen zwischen sechs und zehn Leuten.«

Da ergibt sich schon das eine oder andere. Sonja Kaiser, 24, und ihre Freundin Silke Tieben, 25, halten die Augen offen. »Die Männer sehen schon besser aus in ihren Anzügen«, sagt Sonja, die sich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beschweren kann: Ihren Kopf ziert eine blonde Irokesenfrisur, wie eine Reminiszenz an vergessene Punk-Zeiten, in denen Uni-Bälle so attraktiv wie eine Bundeswehr-Musterung gewesen sein mögen.

So recht entscheiden mag sich Sonja aber nicht für einen der Anzugträger, die ihr immer mal wieder neugierig am haarsprayharten Hahnenkamm zupfen: »Man weiß ja nie, wie die montags aussehen.«

Ihre Frisur trägt sie schließlich auch nicht jeden Tag, an der »hat Silke eine Stunde gebastelt, bis sie saß«. Aber sich einmal im Jahr »aufzustylen und alles zu geben«, findet die angehende Berufsschullehrerin für die Fächer Kosmetologie und katholische Theologie »klasse«.

Nur die Preise halten die beiden für »übertrieben": 2,10 für ein Bier und 5 Euro für einen halb voll eingeschenkten Cocktail müssen die Studis berappen, zusätzlich zum Preis von 14 Euro für die Eintrittskarte. Die haben Sonja und Silke bei einer Verlosung gewonnen. »Weil wir schon welche im Vorverkauf ergattert haben, konnten wir die für 25 Euro weiterverticken«, sagt Sonja. Denn die Tickets für den Uni-Ball sind innerhalb weniger Stunden ausverkauft - und werden zu hohen Preisen auf dem Schwarzmarkt gehandelt.

Etwa zehn Prozent der Gäste brauchen sich um Karten- und Getränkepreise keine Sorgen zu machen. Sie gehören nach Unverferths Statistik zu den Ehemaligen und halten »ihrem« Ball auch nach der Exmatrikulation die Treue. Die Rechtsanwältin Anke Norda, 30, kommt wegen des »festlichen Rahmens« zum Uni-Ball. Im Übrigen gilt: »Party ist Party« und das unvermeidliche »Sehen und gesehen werden«. Mit einer »Probe für den gesellschaftlichen Auftritt«, so Norda, habe das überhaupt nichts zu tun. Sagt sie, und prostet ihren drei Freundinnen in schwarzem Abendkleid, Perlenkette und Handschuhen zu.

Später, als die vier wohl schon gegangen sind, verwandelt sich der Ball in eine Mensa-Party. Gegen 5.30 Uhr haben die letzten Gäste das Ziel erreicht und müssen auf die wirkliche Welt keine Rücksicht mehr nehmen. In den Sälen sieht es jetzt aus wie im Zelt eines Schützenfestes: Zerbrochene Gläser, Bierlachen, Zigarettenkippen und Papiermüll liegen überall herum.

Die Schminke der Frauen verläuft zusehends, kaum eine Frisur sitzt noch. Wer jetzt noch tanzt, bewegt sich merkwürdig langsam, wie in Zeitlupe aufgenommen. Hinter Pfeilern knutscht ein Pärchen, am Mauerwerk Halt suchend. Ein anderes liegt quer über einem Tisch, mit den Beinen rudernd. Es wird noch Bier ausgeschenkt. Sehen und gesehen werden. Auf den Treppen sitzen Mädchen mit Ringen unter den Augen, die sich die Füße reiben. Die feinen Damen verwandeln sich allmählich in junge Frauen zurück, die sich wieder Alltagsproblemen zuwenden, wie der Jagd nach einem Taxi.

Einhelliger Tenor der letzten Gäste: Es war noch besser als im vergangenen Jahr. Bessere Musik, bessere Stimmung, bessere Mädchen, bessere Jungs. In einem Jahr erst wird der nächste Uni-Ball gefeiert. Wer bis dahin nicht abwarten will, kann ja zum nächsten großen Ereignis Osnabrücks gehen, der Stadthallenfete am 10. Januar. Die Stargäste: Roberto Blanco und die Modern Talking Double Show.

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