leben DIE DANDY-BEATLES
Was ist von einem Linguistikstudenten zu halten, der Textzeilen singt wie »Manchmal möchte ich, dass sie Rilke liest oder wenigstens so tut. Manchmal möchte ich, dass sie schreit: >Uh Baby, du machst es mir so gut!<«?
Was soll man von einem angehenden Lehrer denken, dessen Lieblingskneipe »Mutter« heißt und der einmal im Monat im so genannten »Revolver Club« in Hamburg Platten auflegt? Und mein Gott, was ist das für ein Theologiestudent, der Koteletten bis unter das Kinn und eine Mir-hängen-immermeine-Haare-ins-Gesicht-Frisur trägt?
Martin Hilpert, 24, der Linguist, Anglist und Skandinavist, Benedikt Ruess, 28, der Erziehungswissenschaftler mit Berufsziel Pädagoge, und Benjamin Schadow, 25, der Theologe, sind ganz normale Menschen, die höchstens mal das Pils in der Kneipe zurückgehen lassen, wenn eine Fliege drin schwimmt (Ruess: »Tut mir Leid. Wären Sie so freundlich? Danke, das ist ja nett.").
Sie haben nur eine kleine Schwäche: Zusammen mit einem Werbegrafiker treten sie als »Les Garçons« auf und behaupten, eine Musik namens »Dandy-Beat« zu spielen.
Sie eint die Leidenschaft für die sechziger Jahre, für Mersey-Beat und Northern Soul, für die Gitarrenriffs von The Who, die Harmonien der Beatles und den Chorus der Beachboys; dazu die Freude an engen Anzügen; die Lust am Motorrollerfahren; die Liebe zu schrägen Kneipen und kleinen Clubs. Und vor allem der Traum von einem kleinen Platz im großen Pop-Himmel.
Vor zwei Jahren liefen sich Sven Beeck, 32, der Werbegrafiker, und Theologiestudent Schadow zum ersten Mal über den Weg - an einer Tankstelle im Hamburger Stadtteil Barmbek. Benjamin, der sich etwas zum Abendbrot kaufen wollte, bewunderte Svens aufgemotzten Lambretta-Roller. Die beiden kamen ins Gespräch, landeten schnell beim Thema Musik, und schon drei Tage später saßen sie mit Martin und Benedikt in der ebenso angesagten wie angegammelten Meanie Bar auf der Reeperbahn - eine Tankstellenband war geboren.
»Das war ein richtiger Glücksfall«, erinnert sich Martin. Schon nach einigen wenigen Drinks sei damals klar gewesen: Sie wollten zusammen Beat-Musik spielen. Aber nicht die Nostalgie-Variante für 50-jährige Bierbauchträger und toupierte Versicherungskauffrauen, die auf Oldie-Feten ihrer angeblich so wilden Jugend nachheulen. Sondern zeitgemäßen Beat mit einem Schuss Britpop für Schüler, Studis, Szenegänger. Deutsche Texte sollten es sein, Alltagspoesie. Und live wollten sie spielen, live und laut.
»Wir brauchten nie untereinander Kompromisse zu machen, weil wir von Anfang an die gleiche Musik mochten«, sagt Martin. Nicht einmal ein Jahr lang probten, komponierten, texteten die vier Garçons, dann folgten die ersten Konzerte. Für schlappe 2500 Mark nahmen sie selbst ihre erste CD auf, teils in ihrem Probekeller, teils im Studio.
Der entscheidende Coup: Grafiker Sven entwarf das Corporate Design - Plakate, Web-Auftritt, CD-Cover, alles in einem Stil, wie das in Zeiten von Viva und MTV üblich ist. Die vier Garçons als Comic-Figuren, deren Aussehen an die Sechziger erinnert, so aber nur Ende der neunziger Jahre an einem Computer gestaltet sein konnte.
Dass Design nicht alles, aber wichtig ist, das wussten schon die Beatles, weshalb sie sich von einer Hamburger Friseuse Topffrisuren aufschwatzen ließen und damit die Welt eroberten. Bei Les Garçons fielen deren Plakate einem Typen von einer Plattenfirma auf, der Sound gefiel den Musikmanagern ebenfalls, und schon lag ein Vertrag auf dem Tisch.
»Wenn die Band ein paar Jahre läuft, dann ist das Klassenziel erreicht«, sagt Martin. 5000 bis 6000 Alben würden sie gern verkaufen, ein kleiner Radiohit wäre auch nicht schlecht. Die nächste CD soll »breiter angelegt« sein, nicht nur Liebeslieder, sondern womöglich auch politische Songs enthalten.
Weil die vier noch nicht die Beatles, aber Studenten sind, darf natürlich der kulturgeschichtliche Überbau nicht fehlen. Während Benedikt sich sein fliegenfreies Bier schmecken lässt, redet er davon, dass die Garçons so etwas wie »Postmods« seien. »Mods« waren Jugendliche in England in den sechziger Jahren, die Beat und Soul liebten, gepflegte Outfits trugen und sich gern mit den »Rockers« prügelten, bevorzugt in südenglischen Badeorten wie Brighton.
Da sich die Garçons jedoch nicht mit anderen Menschen schlagen und auch keine Kids aus der Unterschicht sind, wie damals die Mods, sondern akademisch gebildet Karriere machen werden, seien sie so etwas wie Postmods. Behauptet zumindest Benedikt.
Ob Musik- und Gesellschaftswissenschaftler späterer Generationen diese Analyse eher dialektisch oder dilettantisch finden, wird die Zukunft zeigen. Wie in der ganzen Pop-Geschichte geht es auch bei den Garçons im Grunde nur um eines: »Ruhm«, sagt Benedikt, »das Schöne ist der Ruhm.« Es mache süchtig, 300 Zuschauer in einem kleinen Club zum Tanzen, Johlen, Schwitzen und Toben zu bringen.
Es gebe wenig Bewegenderes, als auf Tournee zu sein, »zwei Wochen Hardcore-Klassenfahrt« nennt das Martin. Tagsüber mit dem Bus auf der Straße unterwegs, am Nachmittag die Anlage aufbauen und Soundcheck. Essen, abhängen. Zwischen 22 Uhr und Mitternacht das Konzert. Anschließend abbauen, dann noch mit Fans und Freunden bis zum nächsten Morgen umherziehen. Sex & Drugs & Rock'n'Roll? Martin grinst: »Manchmal sind es schon glamouröse Nächte.« JOACHIM MOHR
Die aktuelle CD von Les Garçons »Von uns zu Dir« ist bei Apricot Records erschienen; Infos und Konzertdaten: www.lesgarcons.de