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arbeiten EIN KLEINER, FEINER CLUB

DIE PAPIERINDUSTRIE ZÄHLT LÄNGST ZU DEN HIGHTECH-BRANCHEN - DOCH DIE INGENIEURE VON MORGEN ZEIGEN WENIG INTERESSE.
aus UNI SPIEGEL 5/2001

An den Konferenztisch in der Papierfabrik tritt ein junger Mann in bunt gemustertem Sakko. »Hi, nochmals herzlich willkommen«, sagt Christian Dietershagen, 33, »am besten erzähle ich mal ein paar Stationen aus meiner Laufbahn.«

In den wenigen Jahren ging es immer nur nach oben. Nach dem Maschinenbaustudium in Darmstadt Ausbildung zum Papieringenieur, Praktika in Australien, Projektbetreuung zur Faseroptimierung und Umwelttechnik im Stockstädter Werk des finnischen Papierkonzerns M-Real. Und dann schon Leiter der so genannten Ausrüstung, des größten Werksbereichs, wo die haushohen Papierrollen zu passenden Paketen für die Kunden zugeschnitten werden.

Die steile Karriere soll die Besucher, 30 Maschinenbau- und Wirtschaftsingenieurstudenten der TU Darmstadt, beeindrucken. »Wo sonst hat man die Chance, so schnell in die Führungscrew aufzusteigen«, sagt Dietershagen, der für 230 Mitarbeiter verantwortlich ist. Auch seine Kollegen vom »Customer Service« oder von der Technik sind gerade mal Anfang dreißig. Nur der Werksleiter ist »40 plus, da wir auf die Erfahrung der Älteren«, so der Jungmanager, »nicht verzichten können«.

Geschäftsführer Wolfgang Czirnich, 59, nimmt es mit Humor. »Das ist doch eine ganz brauchbare Branche«, sagt der Werksleiter zu den Studenten, »und von Ihrer Spezies gibt es nur sehr wenige.«

Die Papierherstellung ist der heimliche Riese unter den Industriebranchen - und zu wenig Nachwuchskräfte wissen von den Jobchancen. Weltweit erreicht die Papier- und Forstindustrie nach Zahlen der Morgan Stanley Capital International einen Unternehmensmarktwert von rund 85 Milliarden Euro mit einem Umsatz von gut 230 Milliarden. Allein in Deutschland beschäftigt die Papierindustrie bei einem Umsatz von 13 Milliarden Euro über 47 000 Menschen.

Bundesweit kann der Industriezweig jährlich rund 50 frisch ausgebildete Papieringenieure gebrauchen. »Aber nur halb so viele Absolventen kommen von den Unis«, sagt Lothar Göttsching, 62, Leiter des Instituts für Papierfabrikation an der TU Darmstadt. Seit Jahren trommelt der Lehrstuhlinhaber für den Studiengang, der nach seiner Einschätzung eine »gute Zukunft durch Globalisierung und Europäisierung« der Papierbranche verspricht.

Nach dem Verkauf eines der größten deutschen Familienunternehmen, des Augsburger Papierherstellers Haindl, an die finnische Gruppe UPM-Kymmene beherrschen skandinavische Großkonzerne den heimischen Markt. »Das zeigt, wie attraktiv die deutsche Papierindustrie für ausländisches Kapital ist«, meint Göttsching.

Die Kunst des Papiermachens, seit dem 2. Jahrhundert aus China bekannt, hat sich zu einem technologisch anspruchsvollen Berufsbild gewandelt. Einst vergifteten die Zellstoffkocher beim Verarbeiten von Lumpen oder Holzschnitzeln Luft und Wasser. Nun ist daraus eine weitgehend saubere Industrie mit geschlossenen Materialkreisläufen geworden.

Ausgangsstoff für die weltweit rund 450 verschiedenen Papiersorten - vom Auftragsblock bis zum Zeitungspapier - sind immer noch die unter ohrenbetäubendem Lärm zerkleinerten und eingekochten Holzschnitzel.

Doch Informationstechnologie und Internet stellen neue Anforderungen an die Papierexperten. Datenträger der Digitalfotografie, Druckpapiere für die Laserkopierer, Verpackungspappen für den E-Commerce sind kräftig wachsende Absatzmärkte für den knisternden Klassiker. Rund 200 Kilogramm Papier in jeder Form verbraucht der Bundesbürger jährlich (USA: 350 Kilogramm).

Der Bedarf an Hygiene-, Verpackungs- oder Zeitschriftenpapieren in Schwellenländern wie Brasilien, China oder Indien wächst zweistellig.

Nicht mehr der Wald, sondern der »urban forest«, das in Europa massenhaft anfallende Altpapier, ist die wichtigste Rohstoffquelle für die Papierhersteller.

Die Ingenieure müssen mit Hightech-Geräten umgehen können. Die 100 Meter langen Maschinenmonster, die mit 900 Meter pro Minute mächtige Papierrollen ausspucken, sind teurer als ein Jumbo und bestehen auch aus mehr Einzelteilen. Die Leitzentrale im Papierwerk Stockstadt gleicht mit Monitoren und Displays dem Steuerstand eines Kraftwerks. Nur vier Mann, gelernte Papiermacher, überwachen das regelmäßige Stampfen der so genannten PM 1. Ohrenschutz und Helm sind obligatorisch in der großen Halle.

Die Studenten der Papierindustrie kommen meist aus Familien mit Vorkenntnissen. Tim Langenfeld, 23, viertes Semester Maschinenbau, hat sich von seinem Onkel begeistern lassen. Als Chemieingenieur kontrolliert er die Produktion von Fotopapieren bei einem großen Hersteller im niedersächsischen Osnabrück. »Klar«, sagt Langenfeld, »einen Sportwagen zu bauen hat mehr Image, aber Papier ist doch etwas Besonderes.« Langenfeld lockt auch die Aussicht, einen Teil seiner Ausbildung zum Papieringenieur bei skandinavischen Konzernen zu absolvieren.

Auch bei Caritina Mayer, 23, ist die Entscheidung für die Papierbranche zu Hause, im hessischen Wiesbaden, gefallen. Ihr Vater ist Manager in der Chemie, die die Papierindustrie mit Bleichmitteln, Füllstoffen oder Pigmenten beliefert. »Auch in der Zulieferindustrie gibt es bei uns attraktive Jobs«, weiß die zukünftige Papierfrau Mayer. Studienkollege Frank Bescherer, 24, ein Wirtschaftsingenieur im 4. Semester, kam »durch einen Freund in der WG« auf das Thema Papier.

Das Studium ist exotisch, aber attraktiv, bestätigt die Papieringenieurin Mareike Baus, 25, die inzwischen beim Feinpapier-Hersteller MD Papier im bayerischen Dachau arbeitet. Während des Studiums an der Fachhochschule München erlebte Baus »sehr engagierte und interessierte Professoren«. Die Betreuung in dem Fachbereich nennt sie »auf Grund der kleinen Semestergrößen outstanding«. Das Studium habe sie mit »viel Spaß absolviert«.

Jede ihrer Bewerbungen in Bayern sei »positiv beantwortet« worden. »Ich konnte mir glatt raussuchen, wohin ich gehe«, sagt die stellvertretende Abteilungsleiterin, die für 80 Mitarbeiter verantwortlich ist.

»Wir sind ein kleiner, aber feiner Club«, urteilt Christoph Müller-Mederer, 30, Assistent am Institut für Papierfabrikation der TU Darmstadt. Die Industrie buhlt schon auf dem Campus um die Neuabgänge. »Wir haben hier jedes Semester einen Haufen Anfragen«, sagt Institutschef Göttsching.

Selbst in den Papier- und Waldländern Kanada oder Schweden herrscht Mangel an den spezialisierten Fachkräften. Entsprechend liegen die Einstiegsgehälter mit rund 45 000 Euro im Jahr über dem Durchschnitt der Maschinenbauer.

»Wer zu uns kommt, tut es aber nicht in erster Linie wegen des Geldes«, sagt Doktorand Müller-Mederer, »sondern wegen der Herausforderungen.«

Wo viel gefordert wird, wird aber auch viel gefeiert, in diversen »Activitas Verbänden«. Zum Tag der offenen Tür auf dem Darmstädter Campus haben die Aktiven ein passendes Motto gewählt: »Schöpfen und Schöpfenlassen«.

SEBASTIAN KNAUER

NICHT VON PAPPE

Wer Papieringenieur werden will, muss zunächst Maschinenbau oder Wirtschaftsingenieurwesen studieren und sich dann spezialisieren. Im deutschsprachigen Raum bieten die Technische Universität Darmstadt, die TU Dresden, die Fachhochschule München sowie die TU Graz einen Abschluss als Papieringenieur an.

Berufs- und Studieninformationen:

Verband Deutscher Papierfabriken (VDP), Adenauerallee 55, 53113 Bonn, Telefon 0228/267 05-0,

Internet: www.vdp-online.de (mit Job-Börse) Neu: www.papering.de

Papier allgemein: www.papernews.de

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