studieren EMPFANG MIT KÄNGURU
Die Universität von Adelaide sieht aus, als wäre sie eigens für eine Werbebroschüre erbaut worden. Ein imposantes Hauptgebäude mit Säuleneingang und ein paar Häuser aus rotem Backstein und Holz gruppieren sich ganz im Stil angelsächsischer Campus-Unis malerisch um eine Wiese. Erkennbar glückliche Studenten lagern in Grüppchen in der Abendsonne. Gleich dahinter führt die University Bridge über den Torrens-Fluss. Auf der anderen Seite liegen die riesigen Sportplätze und die Wohnheime der Universität.
Die Bibliothek ist jeden Tag bis 22 Uhr geöffnet, und wer so lange über den Büchern gesessen hat, darf sich vom campuseigenen Security-Dienst nach Hause fahren lassen. Das Studienangebot ist gut, die Professoren verraten jedem Studenten ihre Handynummer und geben ausländischen Gästen auch schon mal Tipps für den Lebensmitteleinkauf. Adelaide University, so die einhellige Meinung der deutschen Austauschstudenten, ist uneingeschränkt großartig.
Aber deswegen kommt keiner her.
Adelaide ist die Hauptstadt des Bundesstaats South Australia, und Australien ist ein klassischer Fernreise-Traum. Australien, das ist Outback, Ayers Rock und Great Barrier Reef, das ist Foster''s Beer und Aussie-Football, das ist die Heimat von Schnabeltier, Känguru, Wombat und Koala. In Australien ist Sommer, wenn bei uns Winter ist, und selbst der australische Winter nimmt es vielerorts noch locker mit dem Hamburger Sommer auf.
Frühmorgens vor der ersten Vorlesung mal eben zum West Beach am Golf von St. Vincent radeln und bei Sonnenaufgang Pelikane gucken, nachmittags vielleicht noch mit der historischen Straßenbahn zum Strand von Glenelg fahren, wo einst die ersten Siedler landeten und die Stadt Adelaide gründeten: Für Annika Feltens aus Mainz war das ein Semester lang der Studentenalltag.
Von Februar bis August lebte Annika, 24, mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Adelaide. »Australien hat mich schon immer gereizt«, sagt die BWL-Studentin. Vom Lehrangebot war sie genauso angetan wie von ihrer Uni-Stadt. »So praxisnahe Marketingkurse, wie ich sie in Adelaide hatte, werden in Mainz gar nicht angeboten«, resümiert sie. Der Arbeitsaufwand sei höher gewesen als zu Hause an der Fachhochschule. Der Freizeitwert auch.
Ähnlich wie an amerikanischen Hochschulen gibt es an australischen Unis eine kaum überschaubare Menge von Clubs und Societies. Ein echtes Muss für deutsche Studenten ist der »Mountain Club«, der am Wochenende Wandertouren in die Umgebung organisiert. Annika wurde sofort Mitglied, »um die Gegend zu erkunden«, außerdem schrieb sie sich für den Windsurfing-Club ein. Weil wochenends und in den Semesterferien sowieso alle zum »Hiking« in die Wälder ziehen, bieten die Outdoor-Läden zehn Prozent Studentenrabatt.
Die ganz große Reise steht für die meisten deutschen Gaststudenten am Schluss des Australien-Aufenthalts auf dem Programm. Annika ließ am Semesterende ihren Freund einfliegen, dann ging es mit dem Auto 4000 Kilometer weit durchs Land, von Cairns nach Sydney, fünf Wochen lang durch Regenwald und Wüste, mit Tauchkurs im Great Barrier Reef und Zwischenstopps auf den Inseln Fraser Island und Magnetic Island. »Das Allerbeeindruckendste sind die vielen landschaftlichen Kontraste«, erzählt Annika. Noch archiviert sie ihre mehr als 600 Fotos.
Carmen Wagner und Melanie Metzger, beide 23, sind noch mittendrin im australischen Studienspaß. Die beiden Studentinnen sitzen in einem Straßencafé in der Rundle Street, Adelaides Ausgehmeile, trinken australischen Rotwein aus dem nahe gelegenen Weinbaugebiet Barossa Valley und schwärmen von ihrem Gastland.
»Als ich im Flugzeug saß, wusste ich schon, jetzt kann nichts mehr schief gehen«, erzählt Carmen, die in Freiburg für Germanistik, Anglistik und Italienisch eingeschrieben ist. Denn die Uni Adelaide ist auch wegen ihres »Welcome Service« unter den Gaststudenten geschätzt. Eine Abordnung der »International Students« holt die Neuankömmlinge vom Flughafen ab, verteilt Kuchen und hilft bei der Wohnungssuche.
Nicht, dass es besonders schwierig wäre, in Adelaide eine Bleibe zu finden. Wegen der niedrigen Mieten machen viele Studenten eigene Haus-WGs auf. Annika Feltens etwa wohnte mit drei deutschen Kommilitonen in einem kleinen weißen Flachbau im Stadtteil Richmond - für 800 australische Dollar im Monat (etwa 450 Euro). Auch Carmen und Melanie sind mittlerweile vom Campus-Wohnheim in ein standesgemäßes Häuschen umgezogen.
Wenn etwas fehlt in Adelaide, dann wohl das wilde Nachtleben. »Das ist nicht gerade atemberaubend«, urteilt Melanie, die in Tübingen Politik, Englisch und Psychologie studiert. Dass mehr als eine Million Menschen in Adelaide leben, merkt man der beschaulichen Stadt nicht an, ein pulsierendes Szene-Leben wie in Sydney oder Melbourne sucht der ausgehfreudige Student vergebens. Dafür gibt es reichlich Partys, und zur Not trifft man in der »Uni-Bar« auf dem Campus immer ein paar Bekannte aus dem Mountain Club.
Feierlich begrüßt werden neu eingetroffene Gaststudenten auch von Adelaides Bürgermeister. »Wenn man diesen Aufwand sieht«, meint Carmen, »dann schämt man sich schon ein bisschen dafür, was an deutschen Unis abgeht - oder besser, was nicht abgeht.« Im Frühjahr schleppten die Marketingfachleute von Education Adelaide, einer Agentur, die den Studienstandort international bekannt machen soll, sogar ein paar Kängurus zum Empfang ins Rathaus. »Wir wollten für ein bisschen australische Atmosphäre sorgen«, sagt Manager Greg Saundry, »der Bürgermeister hat zuerst ziemlich komisch geschaut, als wir ihn gefragt haben, ob wir die Kängurus mitbringen können.«
Das Begrüßungszeremoniell leisten sich die Unis indes nicht allein zur Zerstreuung der Studenten. Längst haben die Verantwortlichen in Australien ihr Bildungssystem als Einnahmequelle entdeckt - ausländische Studenten bringen Geld und werden als Kunden betrachtet, die es zu umwerben gilt.
Vor allem in Asien werben australische Universitäten heftig um Kundschaft. Für ehrgeizige Jungakademiker aus Hongkong, Singapur oder Malaysia eröffnet das Auslandsstudium den Karrierestart. Ein Studium in Australien ist billiger als in den USA, außerdem liegt es näher an der Heimat. Die teilweise aggressiven Marketingmaßnahmen der Unis vom fünften Kontinent haben Erfolg: Im Jahr 2000 etwa waren knapp 58 000 Studenten aus Asien an australischen Universitäten eingeschrieben.
Für deutsche Studenten ist Australien attraktiver geworden, seit der DAAD seine Stipendienprogramme für Down Under geöffnet hat. »Wir hatten sehr schnell sehr viele Bewerber«, berichtet Thomas Pankau, beim Austauschdienst Sachbearbeiter für Australien, Neuseeland und Ozeanien. Für das Studienjahr 2003 hat Pankau mehr als 200 Bewerbungen gezählt.
Das Studium selbst ist in zwei Bereiche aufgeteilt: den »Undergraduate«-Abschnitt, der nach zwei bis vier Jahren mit dem Bachelor endet, und den »Postgraduate«-Abschnitt mit dem Master als Abschluss. Für Australier ist es durchaus üblich, nach dem Bachelor erst mal ins Berufsleben zu starten und nach ein paar Jahren zur Uni zurückzukehren, um noch den Master draufzusetzen.
Seit Ende der achtziger Jahre müssen in Australien alle Studenten Gebühren zahlen; das große Geld bringen den Hochschulkassen aber verstärkt die ausländischen Gäste. Sie zahlen den vollen Satz - je nach Fach bis zu 18 000 australische Dollar pro Studienjahr -, während für die meisten australischen Studenten so genannte »HECS«-Plätze zur Verfügung stehen. Das »Higher Education Contribution Scheme« galt jahrelang als besonders soziale Möglichkeit, Studiengebühren zu kassieren - auch deutsche Gebührenbefürworter bemühten gern das australische Beispiel.
HECS-Gebühren liegen zwischen 3400 und 5500 australischen Dollar pro Jahr. Gezahlt wird erst, wenn die Absolventen ins Berufsleben eingetreten sind und ein Jahreseinkommen von mehr als 23 000 Dollar haben. Die Studienschulden werden dann über die Lohnsteuer eingezogen.
Inzwischen ist auch das viel gepriesene Modell in die Kritik geraten, denn die Differenzierung zwischen HECS- und »full fee«-Studienplätzen hat unerwünschte Nebeneffekte. Kritiker werfen den Hochschulen ein allzu zögerliches Vorgehen vor, wenn es darum geht, zahlende Kunden auch mal durch eine Prüfung fallen zu lassen. Zudem dürfen 25 Prozent der Vollzahler-Plätze von Australiern besetzt werden. Finanziell besser gestellte Schulabgänger, deren Notendurchschnitt nicht für einen regulären HECS-Platz ausreicht, können sich so in die Hochschule einkaufen und ihren ärmeren Landsleuten den Studienplatz wegschnappen.
Deutsche Studenten müssen sich häufig nicht um Gebühren kümmern: Entweder ihre Heimatuni unterhält ein Austauschprogramm mit der australischen Hochschule, so dass keine Gebühren anfallen, oder der DAAD trägt die Kosten im Rahmen eines Stipendiums.
Rafael Lang, 23, studiert eigentlich an der Universität Ulm. Über das Austauschprogramm seiner Hochschule kam er im Februar für ein Jahr an die Monash University in Melbourne. Vom Studienangebot ist der Astrophysiker begeistert: »Die Vorlesungen hier sind superinteressant - da macht das Studieren richtig Freude.«
»Den deutschen Studenten gefällt vor allem, dass die Professoren hier immer die Tür offen haben«, meint Heinz Kreutz, Deutschdozent an der Monash-Universität und seit Mitte der siebziger Jahre in Australien. »In Deutschland sieht man seinen Professor oft nur einmal in der Woche für eine Stunde - wir sind dagegen immer ansprechbar.«
Australiens größte Universität - rund 45 000 Studenten sind an der Monash eingeschrieben - liegt im Melbourner Vorort Clayton und hat wenig gemein mit dem idyllischen Innenstadt-Campus in Adelaide. Eine halbe Stunde fährt der Zug vom Melbourner Zentrum zum Campus, die Uni besteht aus einer Ansammlung von Sechziger-Jahre-Bauten mit Rolltreppen im Inneren und könnte auch in Bochum liegen.
Trotzdem ist Physikstudent Rafael zufrieden mit seinem Wohnheimzimmer mitten auf dem Campus. »Sehr bequem«, findet er, »außerdem ist hier immer was los.« Etwa wenn die internationale Gemeinschaft der Wohnheim-Studenten reihum Nationalgerichte kocht. Der Mountain Club heißt hier »Bush Walking Club« und ist eine von rund hundert studentischen Freizeitvereinigungen - von der »Chocolate Eaters Society« über »Exploring Alternative Spiritualities« bis zum »German Club« für Heimatverbundene.
Abends locken in Melbournes City die vielen Bars und Kneipen in den In-Stadtteilen South Yarra oder St. Kilda, direkt an der Strandpromenade. Doch auch wenn die Millionenstadt im Bundesstaat Victoria mehr zu bieten hat als Adelaide: In den Ferien oder am Studienende zieht es doch wieder alle in die Wildnis.
Jan Holter, 23, angehender Jurist aus Passau und für ein Jahr Student des »International Law« in Melbourne, hat gerade seine ersten Windsurfing-Versuche in Australiens äußerstem Osten, dem Surfer- und Hippie-Mekka Byron Bay, hinter sich. »In jeder Kneipe sieht man auf Surf-Videos, dass das alles total easy ist«, erzählt Jan, »in Wirklichkeit ist es aber sauschwer!« Die wohlverdiente Erholung gab es dann am Strand von Cape Tribulation: »Der feinste Sand, den ich je gesehen habe«, schwärmt Jan, »und dahinter gleich dichter Regenwald.«
Das Wunschbild von unberührter Natur und einsamer Wildnis hat jedoch auch auf dem fünften Kontinent längst Risse bekommen. Rafaels Trip zum Ayers Rock, jenem gigantischen Sandstein-Monolithen mitten in der sandigen Ebene, der in der Sprache der Ureinwohner Uluru heißt und als heilige Stätte verehrt wird, verlief denn auch ein bisschen anders als geplant.
Tag für Tag wollen Tausende Touristen den Sonnenuntergang am Uluru sehen, wenn der Berg seine Farbe wechselt und plötzlich nicht mehr leuchtend gelb erscheint, sondern dunkelrot. Am »Sunset-Viewpoint« gibt es deswegen ein paar ziemlich große Parkplätze. »Wir haben trotzdem keinen Platz mehr gefunden und mussten uns den Sonnenuntergang vom Straßenrand anschauen«, erzählt Rafael. Der Ausflug zum Sonnenaufgangs-Viewpoint am nächsten Morgen verlief ähnlich enttäuschend - wieder kein Parkplatz am Uluru.
Ganz in der Nähe liegen zum Glück die Kata Tjuta, eine Ansammlung von 36 kleineren Felsblöcken, sehr eindrucksvoll und weit weniger überlaufen als der 348 Meter hohe Ayers Rock. Dort, 32 Kilometer vom Uluru entfernt, hat Rafael sein »Selbstbild vom Individualtouristen wieder geradegerückt«.
STUDIUM DOWN UNDERDas akademische Jahr in Australien startet im Februar und endetim November. Viele deutsche Hochschulen habenAustauschvereinbarungen mit australischen Universitäten, dadurchentfallen oftmals die Studiengebühren. Der DAAD vergibt zusätzlichStipendien für Studierende, die Flugkosten und einen monatlichenZuschuss von 375 Euro umfassen. Wenn die Heimatuni keinePartnerschaft mit einer australischen Hochschule unterhält, kannman sich direkt um ein DAAD-Stipendium bewerben, das auch Gebührenbis zu einer festgelegten Höhe abdeckt. www.daad.deDie renommiertesten Universitäten Australiens sind nach demVorbild der amerikanischen Ivy League in der »Group of Eight"organisiert. Dazu zählen Adelaide University, The AustralianNational University, The University of Melbourne, MonashUniversity, The University of New South Wales, The University ofQueensland, The University of Sydney und The University of WesternAustralia. www.go8.edu.auWebsite von »Education Adelaide": www.studyadelaide.comWebsite der Adelaide University:www.adelaide.edu.auWebsite der Monash University:www.monash.edu.au