Reden über den Nachlass Es ist nie zu früh, sich ums Erbe zu kümmern

Wann sollte man sich mit dem Erben beschäftigen? So früh wie möglich, rät eine Anwältin. (Symbolbild)
Foto: Francesco Carta / Moment RF / Getty ImagesIch wische mit einem Stück Knödel durch den Rest Bratensoße auf meinem Teller, als mein Vater sagt: "Wir müssen das jetzt klären, bevor wir sterben." Er spricht vom Haus meiner Urgroßeltern. Das Haus, das heute ihm gehört, ein Mietshaus mit vier Wohnungen, in dem er und ich während des Studiums gelebt haben und das mehr als 600 Kilometer von meinem aktuellen Wohnort entfernt steht. Das Haus, das mein Bruder und ich einmal erben werden - aber bitte erst in 20 Jahren.
Es ist der zweite Weihnachtsfeiertag, gerade habe ich noch überlegt, ob ich nach dem Essen "Tatsächlich Liebe" oder "Harry Potter" anschaue, und plötzlich sprechen wir über den Tod meiner Eltern. Ich würge das Knödelstück hinunter und setze mich aufrecht hin. Ich bin 27 Jahre alt, meine Eltern sind Anfang 60 und gesund. Sind wir nicht viel zu jung, um über Testament und Erbschaft zu sprechen?
Ein Teil in mir - der Teil, der nach einem harmlosen Auffahrunfall zuerst die Festnetznummer von Mama und Papa wählt - sträubt sich gegen die Vorstellung, dass sie irgendwann nicht mehr da sein werden. Ein anderer Teil weiß natürlich, dass es so kommen wird. Und der will sich auf keinen Fall einmal um ein Erbe streiten.
Erbe - für viele Deutsche ein unangenehmes Thema
In Deutschland werden jedes Jahr bis zu 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt, schätzt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Die Summe ist riesig - trotzdem haben längst nicht alle Menschen, die irgendwann etwas vererben wollen, auch schon ein Testament gemacht. Überhaupt halten 60 Prozent der Deutschen Erbschaft für ein Thema, mit dem man sich nur ungern beschäftigt . Das ergab eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Deutschen Bank.
Bei mir ist das nicht anders. Und doch geht mir der Satz meines Vaters seit dem Weihnachtsessen nicht mehr aus dem Kopf. Muss ich mich wirklich jetzt schon mit meinem Erbe beschäftigen? Wie funktioniert Erben überhaupt?
Melina Maria Beu, Fachanwältin für Erbrecht
Ich recherchiere im Internet und rufe schließlich Melina Maria Beu an, Fachanwältin für Erbrecht. Sie sagt mir, dass meine Eltern den Moment für unser Gespräch sehr gut gewählt hätten. "Je jünger man ist, desto optimaler kann man das mit dem Vererben lösen." Denn wer in Deutschland etwas erbt, muss es versteuern - allerdings nur, wenn das Erbe einen gewissen Freibetrag übersteigt. Um unter diesem Freibetrag zu bleiben, könne man noch vor dem Tod einen Teil seines Vermögens an die Partnerin, den Partner oder die Kinder übertragen, sagt Beu. Bei einer solchen Schenkung unter Lebenden fallen zwar grundsätzlich die gleichen Steuern an, aber es gelten auch die gleichen Freibeträge - und zwar jeweils für einen Zeitraum von zehn Jahren.
Schenke mein Vater uns also 20 Jahre vor seinem Tod einen Teil des Hauses, dessen Wert den Freibetrag nicht übersteige, fielen darauf keine Steuern an, erklärt Beu. Zehn Jahre später könne er das wiederholen. So würde er den Wert des tatsächlichen Erbes Schritt für Schritt verringern - und damit auch die Höhe der Erbschaftsteuer. Wenn mein Vater also schon jetzt mit meinem Bruder und mir über das Haus reden will, hilft er damit vor allem uns.
Erbschaft- und Schenkungsteuer: Wer in Deutschland ein größeres Geschenk erhält oder ein Erbe antritt, muss dafür in der Regel Steuern zahlen. Die Steuer ist fällig, wenn Geschenk oder Erbe über dem jeweiligen Freibetrag liegen. Für die Berechnung des Steuersatzes sind der Wert des Geschenks oder Erbes und der Verwandtschaftsgrad entscheidend. Er liegt zwischen 7 und 50 Prozent.
Freibetrag: Liegt der Wert des Geschenks oder Erbes unter diesem Betrag, fallen keine Steuern an. Zwischen Eheleuten können bis zu 500.000 Euro steuerfrei vererbt werden, Kinder dürfen pro Erbschaft 400.000 Euro bekommen.
Pflichtteil: Der Anteil des Nachlasses, der nächsten Angehörigen zusteht - auch den Ehepartnern, Kindern oder Enkeln, die im Testament enterbt wurden.
Gesetzliche Erbfolge: Gibt es kein Testament, regelt das Gesetz, wer erbt. Dabei erben zuerst die Kinder oder Enkel sowie Ehegatten oder eingetragene Lebenspartnerinnen. Gibt es die nicht, erben Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen.
Quellen: Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e.V. , Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz , Bürgerliches Gesetzbuch
Abgesehen von steuerlichen Vorteilen sei so ein Gespräch auch wichtig, weil man ja nie wisse, wann man sterbe, sagt Beu. Außerdem gebe es Familienkonstellationen, die das Erben kompliziert machen, Patchwork-Familien zum Beispiel. Sie sind im gesetzlichen Erbrecht nicht vorgesehen . Wenn es kein Testament gebe, würden zwar leibliche Kinder aus früheren Beziehungen automatisch erben, wenn der Vater oder die Mutter sterben - nicht aber Stiefkinder. Gehöre dem Vater also zum Beispiel das Haus, in dem er mit seiner zweiten Frau und deren Kindern gelebt habe, seien nach seinem Tod nur die leiblichen Kinder aus seiner ersten Beziehung Miteigentümer - und könnten das Haus versteigern lassen.
Meine Eltern sind seit 30 Jahren verheiratet und haben nur meinen Bruder und mich bekommen. Müssen wir trotzdem auch jetzt schon über ihr Testament reden?
Melina Maria Beu, Fachanwältin für Erbrecht
Grundsätzlich sollte sich jeder, der Vermögen habe, Gedanken machen, wie er sein Erbe regeln möchte, sagt Beu. In einem Testament könne man mit eigenen Worten schildern, was man sich für den Fall des Todes wünscht. Zum Beispiel könne zuerst der Ehepartner oder die Ehepartnerin alles erben - oder die beste Freundin den Schmuck und das Taufpatenkind das Auto.
Inzwischen kann ich nachvollziehen, wieso meine Eltern sich einen ganzen Vortrag zum Thema Vererben angehört haben - auch das haben sie uns damals beim Weihnachtsessen erzählt. Dass sie sich jetzt schon damit auseinandersetzen und auch mit meinem Bruder und mir darüber sprechen, sei zwar gut, aber ungewöhnlich, sagt Beu. Ihre Klienten seien in der Regel Mitte 70 oder noch älter. "Viele schieben es bis zum Schluss auf, sich überhaupt mit dem Vererben auseinanderzusetzen."
Wie erbt man richtig?
Dass das keine gute Idee ist, habe ich jetzt verstanden. Aber wie erbe ich denn nun richtig? Zuerst sollte man sich einen Überblick über das Vermögen verschaffen, das vererbt werden könnte, sagt Beu. Dann könne man sich von einem Anwalt bei der Erstellung des Testaments beraten lassen; eine erste Beratung koste höchstens 250 Euro. Selbst ein Testament auf einem Bierdeckel sei gültig, solange es handschriftlich verfasst und mit Ort, Datum und Unterschrift versehen sei, sagt Beu. Sie empfehle aber, das Testament beim Nachlassgericht zu hinterlegen, laut Deutschem Forum für Erbrecht kostet das 75 Euro. So stelle man sicher, dass es nicht wegkomme - zum Beispiel, weil es jemand findet, der damit nicht einverstanden ist.
Um Streit unter den Erben zu verhindern, könne man auch einen Erbvertrag erstellen, sagt Beu. Anders als bei einem Testament handelt es sich dabei um einen Vertrag, den Erblasser und Erben gemeinsam unterschreiben und der auch nach dem Tod bindend ist. Darin könnten zum Beispiel Anforderungen an das Erbe geknüpft werden. Oder wir Kinder könnten zusichern, beim Tod eines Elternteils auf unseren Pflichtteil zu verzichten und den anderen Elternteil zuerst alles erben zu lassen. Auch bei einer Schenkung, wie sie mein Vater plant, könne man einen entsprechenden Vertrag machen, sagt Beu.
Wie den Dachboden aufzuräumen
Nach 45 Minuten lege ich auf und atme tief ein. Wir könnten also einen Erbvertrag schließen und einen Teil des Vermögens schon vor dem Tod meiner Eltern geschenkt bekommen. Ich merke, wie ich ruhiger werde. Es fühlt sich an, als hätte ich mich endlich daran gemacht, den Dachboden aufzuräumen. Dinge in Kisten gepackt, etikettiert und sorgfältig verstaut.
Mein Vater hat recht, wir müssen das klären, solange meine Eltern noch leben. Das hat nichts damit zu tun hat, dass sie bald sterben - sondern dass wir so Geld sparen können und uns später nicht streiten müssen.
Meine Eltern wollen jetzt einen Anwalt suchen. Und vielleicht haben wir bis zum nächsten Weihnachtsessen schon alles geregelt.