Ausbildung zur Erzieherin statt Lehramtsstudium »Ich sehnte mich nach dem Gefühl, Feierabend zu haben«

Rebekka: »Immer gab es etwas, das ich noch hätte tun können«
Foto: PrivatLebensläufe müssen nicht geradlinig sein, Biografien haben Brüche – das macht sie so spannend. In der Serie »Und jetzt?« erzählen junge Menschen von Wendepunkten in ihrem Leben, von Momenten, in denen sie Entscheidungen getroffen und etwas Neues gemacht haben. Diesmal: Rebekka, 31, hat das Lehramtsstudium nach sieben Jahren abgebrochen, um Erzieherin zu werden.
Alle bisherigen Folgen von »Und jetzt?« finden Sie auf unserer Serienseite. Sie standen selbst schon mal an einem Wendepunkt und möchten uns davon erzählen? Dann schreiben Sie uns an SPIEGEL-Start@spiegel.de.
»Mir fehlten nur noch drei Vorbereitungskurse und ein Kurs in Mittelhochdeutsch, dann hätte ich mein Staatsexamen schreiben können. Stattdessen brach ich mein Lehramtsstudium kurz vor dem Ende ab und begann eine Ausbildung zur Erzieherin. Nach dem Abitur wäre mir das nicht im Traum eingefallen, ich wollte studieren, wie alle anderen. Dabei hätte ein anderer Weg mir und meiner psychischen Gesundheit wahrscheinlich viel besser getan.
Die Idee, Lehramt zu studieren, war mir während eines Auslandsjahres in Jerusalem gekommen. Nach dem Abitur arbeitete ich dort für eine deutsche Organisation und machte ein Praktikum an einer deutschen Schule. Die Kinder dabei zu unterstützen, wie sie lernen und verstehen – das machte mir großen Spaß. Zurück in Deutschland schrieb ich mich für Deutsch und Sozialkunde auf Gymnasiallehramt ein. Auf den Gedanken, eine Ausbildung zu machen, kam ich damals nicht.
Ich litt von Anfang an unter der Strukturlosigkeit des Studiums. Ständig hatte ich das Gefühl, mich aufraffen zu müssen, um für Klausuren zu lernen oder Hausarbeiten zu schreiben. Die Uni gab mir das Gefühl, immer mehr leisten zu müssen. Immer gab es etwas, das ich noch hätte tun können. Ich sehnte mich nach dem Gefühl, Feierabend zu haben.
Depressive Episoden
Schon vor dem Studium hatte ich psychische Probleme gehabt. Als ich 15 Jahre alt war, wurde die erste depressive Episode diagnostiziert. Mit 16 begann ich eine Therapie, die ich seitdem mit Unterbrechungen fortführe. Im Studium verstärkten sich die Episoden, sie traten meist nach der Prüfungsphase auf und dauerten mehrere Monate.
Während der Praktika konnte ich zwar mit Kindern arbeiten, das gab mir zwischenzeitlich wieder Kraft. Doch die meiste Zeit bestand mein Studium aus purer Theorie. Und die depressiven Episoden kamen immer wieder.
Weil Depressionen eine chronische Erkrankung sind, bekam ich mehr Zeit für mein Studium. Doch im 14. Semester musste auch ich mich dem Examen stellen. Das machte mir große Angst. Ich hatte viele Kommilitoninnen und Kommilitonen erlebt, die den Druck während der Examenssemester kaum aushielten. Zugleich beunruhigte mich die Aussicht auf das, was danach kommen würde: Als Referendarin hätte ich innerhalb meines Bundeslandes praktisch überall landen können, ich hätte meine Freunde und mein gewohntes Umfeld verlassen müssen.
Abbruch kurz vor Schluss
Sieben Jahre hatte ich mich schon durchs Studium gekämpft. Doch das Examen erschien mir wie der eine Kampf, den ich nicht überstehen würde. Noch mehr als zuvor hätte ich mich selbst motivieren, unablässig Theorie pauken müssen. Ich fürchtete, dass ich an all dem kaputtgehen würde – und dass, selbst wenn ich das Examen schaffte, danach statt dem Referendariat eine erneute Depression folgen würde.
Also traf ich eine Entscheidung: Ich brach das Studium ab. Ohne Examen, aber immerhin mit einem Bachelor, den Lehramtsstudierende in Bayern beantragen können, wenn sie gewisse Leistungen erbracht haben. Manche meiner Freunde versuchten dennoch, mir den Abbruch auszureden. Ich sei doch schon so weit gekommen, sagten sie. Und dass ich bestimmt eine tolle Lehrerin werden würde, weil ich die Arbeit mit Kindern so mag.
In diesem Punkt hatten sie recht. Doch gleichzeitig wusste ich nach den Erfahrungen im Studium: Ich muss auch auf mich selbst achten. Und zum Glück ist Lehramt nicht der einzige Weg, um mit Kindern zu arbeiten. Eine Freundin hatte mir kürzlich erzählt, dass ein Kumpel sein Studium abgebrochen und eine Erzieherausbildung begonnen hatte. Mir wurde klar: Das könnte die Lösung für mich sein. Schon drei Monate nach meinem Abbruch konnte ich meine Ausbildung beginnen.
Ausbildung gibt Struktur
Es fühlt sich komisch an, wieder in der Schule zu sein. Fast alle sind jünger als ich. Obwohl ich mich in der Uni oft nicht gut genug fühlte, merke ich jetzt, dass ich meinen Mitschülerinnen und Mitschülern einiges voraushabe. Ich habe Erfahrung darin, mir selbst Wissen anzueignen, kann wissenschaftlich arbeiten. Manchmal fällt es mir sogar schwer, nicht zu diskutieren, wie ich es in Uniseminaren getan habe. Gerade wenn ich merke, dass ich etwas besser weiß als meine Lehrerinnen. Aber hier hat der Lehrer immer recht.
Trotzdem bin ich froh über das verschulte Lernen und den festen Stundenplan. Alles ist überschaubarer und ich habe die Struktur, die mir im Studium gefehlt hat. Es geht zwar immer noch um Leistung und Noten, doch an der Berufsschule empfinde ich viel weniger Druck.
Mit Kindern im Hier und Jetzt
Inzwischen habe ich knapp die Hälfte meiner dreijährigen Ausbildung hinter mir. Den praktischen Teil absolviere ich in einem Kinderhaus mit einer Krippe, einem Kindergarten und einem Hort für Schulkinder. Ich betreue Kinder im Alter von zwei bis zwölf Jahren. Der Kontakt zu ihnen tut mir gut. Nicht nur, weil er mich immer wieder daran erinnert, warum ich diese Ausbildung angefangen habe. Sondern vor allem, weil Kinder so sehr im Hier und Jetzt leben.
Eine Depression nährt sich vor allem aus Sorgen vor der Zukunft und bösen Geistern aus der Vergangenheit. Wenn man mit Kindern zusammen ist, zählt nur, was gerade in diesem Moment passiert.
Ich glaube, das ist auch einer der Gründe, warum es mir jetzt psychisch viel besser geht. Seit etwa zwei Jahren hatte ich kaum mehr depressive Symptome. Zwei, drei kurze Tiefs konnte ich gut abfangen. Wenn die Ausbildung vorbei ist und ich im Berufsleben ankomme, wird es bestimmt noch etwas leichter für mich.
Ich bin aber auch Realistin. Ich weiß, dass diese Krankheit nicht endet. Aber ich weiß mittlerweile auch, dass jede depressive Episode vorbeigeht. Und dass meine Entscheidung für die Ausbildung die richtige war.«