Kind und Beruf »Ich hatte meine Zukunft darauf aufgebaut, nur für mich sorgen zu müssen«

Welcher Job lässt sich mit einer Familie vereinbaren – und ab wann sollten Frauen sich diese Frage stellen?
Foto: Treasures & Travels / Stocksy UnitedEin Baby. In ihrem Bauch. Das war so nicht geplant. »Ich wollte nie Kinder«, sagt Theda*, 26. Doch dann wurde sie schwanger. Theda arbeitete damals als freie Musikjournalistin. Ein Job, der ihr großen Spaß machte – aber auch viel Flexibilität forderte. »Ich hatte meine Zukunft darauf aufgebaut, nur für mich sorgen zu müssen und unabhängig in einer schnellen Branche zu sein«, sagt sie.
Mittlerweile ist ihr Sohn zwei Jahre alt und Thedas größtes Glück – gleichzeitig hat er alles verändert. Mit einem Kind kann Theda nicht bis spätabends auf Konzerte gehen. Mit einem Kind kann sie nicht von Monat zu Monat leben.
Ihre Mutterschaft ließ Theda alles infrage stellen. Hätte sie einen anderen Beruf gewählt, wenn sie früher darüber nachgedacht hätte, wie der sich mit einer Familie vereinbaren lässt?
Inzwischen ist sie sicher: Ja. »Und zwar nicht nur wegen des Sicherheitsgefühls und der Arbeitszeiten. Ich wünsche mir mittlerweile auch einen Beruf, der mir die Möglichkeit gibt, aufs Land zu ziehen«, sagt Theda, die ihre eigene Kindheit auf dem Land verbracht hat.
Wann Kinder einplanen?
Ragnhild Struss kennt solche Überlegungen. Sie ist Organisationspsychologin, ihr Unternehmen Struss & Claussen Personal Development zählt zu den führenden Studien- und Berufsberatungen in Deutschland. Struss' Beratung baut auf dem Grundsatz auf, dass Karriereplanung auch Lebensplanung ist. »Das bedeutet aber nicht, alles durchzuplanen, was in den nächsten zwanzig Jahren passiert. Es meint, dass jede berufliche Entscheidung in Gesamtbetrachtung der aktuellen Lebenssituation getroffen werden sollte«, sagt sie. Theda habe daher genau richtig gehandelt und eine Entscheidung getroffen, die ihrer neuen Lebensphase entspreche.
In ihrer Beratung treffe sie manchmal auf Frauen, die ihr ganzes Leben auf den Kinderwunsch ausgerichtet hätten, erzählt Struss. »Oft kommt es aus unterschiedlichen Gründen aber nie zu Kindern. Und dann?«
Sie beobachte manchmal auch, wie hoch qualifizierte Frauen sich frühzeitig aus dem Geschehen nähmen, weil sie in ferner Zukunft eine Familie gründen wollten. Dagegen habe Struss noch nie erlebt, dass ein Mann in einem Beratungsgespräch die Familienplanung thematisiert, wenn noch gar keine Kinder auf dem Weg sind.
Struss rät Frauen stattdessen, bei jeder beruflichen Entscheidung erst einmal die Selbstverwirklichung zu fokussieren – also die Entfaltung der eigenen Stärken, Interessen und Persönlichkeit. »Denn nichts ist schlimmer als Bedauern oder ein Gefühl der verpassten Selbstverwirklichung.« Theda hat das gemacht, als sie sich – damals noch kinderlos – für den Musikjournalismus entschied.
Mutterschaft und finanzielle Abhängigkeit
Nicht nur ihr Job, auch Thedas Partnerschaft hat sich mit dem gemeinsamen Sohn verändert. Ihr Partner arbeitet ebenfalls selbstständig in der Musikbranche, verdient aber deutlich mehr als sie – also entschied das Paar: Sie würde die Elternzeit übernehmen, er lediglich im Beruf kürzertreten.
So passierte etwas, was Theda nie gewollt hatte: »Ich wurde von meinem Freund finanziell abhängig.« Als die beiden später eine Beziehungskrise gehabt hätten, sei ihr bewusst geworden, dass sie sich kaum trennen könne: »Weil ich es mir schlichtweg nicht leisten kann.«
Das Paar überwand die Krise zwar, aber Thedas mulmiges Gefühl blieb. »Ich arbeite derzeit in der Firma meines Partners im Eventmarketing und verdiene in Teilzeit 1100 Euro netto. Davon könnte ich mir in einer Großstadt nicht einmal eine Wohnung leisten, geschweige denn meinem Kind und mir ein Leben finanzieren«, sagt sie.
Eine aktuelle Bertelsmann-Studie zeigt, dass die Entscheidung für ein Kind bei Frauen durchschnittlich zu finanziellen Einbußen von rund 40 Prozent führt. Bei drei oder mehr Kindern sind es sogar bis zu 70 Prozent. Diese massiven Einschnitte erklären sich vor allem dadurch, dass viele Mütter wie Theda nach der Geburt eines Kindes zeitweise pausieren und später in Teilzeit weiterarbeiten. Den meisten Frauen wird ihre finanzielle Abhängigkeit erst in der Rente oder während einer Krise in der Partnerschaft bewusst.
Berufliche Neuorientierung ist kein Scheitern
Theda sagt, ihr sei inzwischen klar, dass sie mit ihrem Partner zusammenleben wolle – weil sie ihn liebe. Nicht weil sie sich ein Leben ohne ihn nicht leisten könne. Also gab sie ihren Traumberuf auf, um ab diesem Wintersemester Lehramt zu studieren – ein sicherer Job mit geregelten Arbeitszeiten und einem regelmäßigen Einkommen. »Es klingt zwar hart, aber das Aufgeben meines Berufes war der erste Schritt, um mir meine Unabhängigkeit zurückzuholen. Auch wenn es sich anfangs wie eine kleine Lebenskrise angefühlt hat.«
Berufsberaterin Ragnhild Struss kennt das innere Wanken, wenn sich der Kurs ändert. »Pläne und Geradlinigkeit geben Sicherheit«, sagt sie. Immer wenn ein Plan aufgehe, erlebten wir die Illusion, alles unter Kontrolle zu haben. Wenn sich Dinge hingegen plötzlich änderten, würden wir zu mehr Flexibilität gezwungen. »Ich beobachte oft, dass Menschen während einer Veränderung ein Gefühl von Scheitern oder Krise empfinden. Diese Schwellensituationen können aber auch eine große Chance für die eigene Persönlichkeitsentwicklung sein.«
Wer Lebens- und Karriereplanung miteinander vereinen wolle, müsse immer wieder die eigenen Ziele, Werte und Prioritäten sortieren. Die Antwort auf die Frage »Was ist mir jetzt wichtig?« verändere sich in jeder Lebensphase. »Ziel ist es, uns so sehr im eigenen Selbstbewusstsein zu stärken, dass uns keine äußeren Umstände mehr zum Wanken bringen können«, sagt Struss.
Es muss sich etwas ändern
Theda sagt, sie sehe es als Privileg, noch ein Studium aufzunehmen und einen Partner zu haben, der sie darin unterstütze, in Zukunft unabhängig zu sein. Neben dem Studium möchte sie weiterhin ihren derzeitigen Teilzeitjob ausüben, um ein eigenes Einkommen zu haben.
Auch wenn sie damit privat eine gute Lösung gefunden hat, fordert Theda: »Es sollte das Ziel der Wirtschaft sein, eine Vereinbarung von Beruf und Familie in jeder Branche zu gewährleisten, unabhängig von der privaten Situation.«
Ragnhild Struss fügt hinzu, dass die Fähigkeiten, die durch eine Elternschaft erlernt werden, in der Arbeitswelt mehr geschätzt werden sollten: Organisation, Logistik, Durchsetzungsvermögen, Verantwortung. »Kinder sollten nicht als Karrierekiller, sondern als Karrierechance gesehen werden.«
An ihre Tage als Musikjournalistin denkt Theda mittlerweile nur noch selten zurück, und wenn, dann ohne Wehmut. Mittlerweile kann sie sich sogar weitere Kinder vorstellen.
*Name geändert. Die Protagonistin möchte anonym bleiben, ihr echter Name ist der Redaktion bekannt.