arbeiten FRÄULEIN, ZAHLEN!
Diese Augen. Groß und geheimnisvoll blicken sie in das Gesicht des Mannes, der gerade zur Tür hereingekommen ist. »Kaffee?«, fragt Amélie Poulain ihren ersten Gast an diesem Morgen. Vorher hat sie mit einem Stift »Plat du jour« in Spiegelschrift an die Fensterscheibe des kleinen Cafés am Montmartre geschrieben. Wie gebannt starre ich auf die Leinwand und will nur eins: Kellnerin werden wie Audrey Tautou in dem Film »Die fabelhafte Welt der Amélie«. Ein Studentenjob neben meinem Anglistikstudium.
Denn gehört das nicht zusammen: Literatur und Cafés? Sartre, Simone de Beauvoir und Hemingway verbrachten doch Tage und Wochen in Bistros und Kneipen. Jeder weiß, bedeutende Werke der Weltliteratur wurden bei dampfendem schwarzem Bohnenextrakt, Zigarettenrauch und Jazzmusik verfasst. Okay, ich werde vielleicht nicht im Pariser »Les Deux Magots« servieren, aber ein Laden in einem Hamburger Szeneviertel findet sich schon. Außerdem will die freundliche Sparkassenberaterin mittlerweile im Wochentakt wissen, wann ich das Loch auf meinem Konto stopfen werde.
An meinem ersten Arbeitstag in meinem Lieblingscafé »Grüneberg« gehe ich um 8.30 Uhr aus dem Haus. Nicht gerade meine Zeit. Als ich ankomme, stehen die Stühle noch auf den Tischen. »Der Putzmann ist krank geworden«, brummelt mein Chef, Udo, 37, ein ehemaliger Seemann mit Dreitagebart. Während ich Tische und Stühle aufstelle und den Boden wische, werfe ich sehnsüchtige Blicke in Richtung Kaffeemaschine. Noch ist es nicht so weit. Die ersten Aufträge: Markise rausfahren, Karten und Aschenbecher verteilen, 20mal die Kellertreppe rauf und runter klettern und Vorräte auffüllen. Als sich um 10 Uhr zwei türkische Bauarbeiter mit neonorangefarbenen Leuchtwesten an den Tresen setzen, schmiere ich Brötchen und kämpfe in der Küche mit der steinharten Butter. »Komme gleich«, flöte ich geschäftig in den Raum. Ob mein Lächeln wohl genauso frostig war wie dieser verdammte gelbe Quader?
Dann ist es endlich so weit: Ich darf an die Maschine. Die Produktion des ersten Milchkaffees dauert sagenhafte sieben Minuten. Der Milchaufschäumer entpuppt sich als mein natürlicher Feind. Die weiße Flüssigkeit in der Metallkanne sieht alles andere als schaumig aus und ist so heiß, dass ich mir die Finger verbrenne.
Die beiden tapferen Männer verbringen die nächsten zehn Minuten mit Pusten vor ihren Gläsern. Der Blick meines Chefs sagt alles. Im Chrom der Kaffeemaschine spiegelt sich mein hochrotes Gesicht.
Um 11.30 Uhr kommt eine Gruppe von acht Leuten, dann ein turtelndes Pärchen und zwei kichernde Freundinnen herein. Ich bin allein, Udo murmelt, dass er »was erledigen muss«, und legt die ganze Verantwortung für das Portemonnaie in meine zittrigen Hände. Eine Kasse existiert nicht. Alle Preise werden im Kopf zusammengerechnet - Mathe war leider noch nie meine Stärke. Plötzlich blafft mich ein augenbrauengepiercter Fitnesstrainer von der Gruppe am Nebentisch an: »Ey, ich hatte fettreduzierten Käse zu meinem Frühstück >Paris< bestellt!«
Mühsam gelingt es mir, den Vulkanausbruch in meinem Inneren unter Kontrolle zu kriegen. Soll der Kalorienzähler doch ins Öko-Café gegenüber gehen. »Sorry, wir haben leider nur vier verschiedene Sorten«, presse ich hervor.
In der kurzen Verschnaufpause zwischen 14 und 15 Uhr fällt mir plötzlich auf, dass alle Milchkaffeegläser dreckig sind, genauso Teelöffel und Untertassen. In der Küche stapeln sich verkrustete Teller. »Für eine Spülmaschine ist hier kein Platz.« Diese Bemerkung Udos zu Beginn meines Engagements hatte ich irgendwie verdrängt. Wo bleibt der eigentlich?
Als die Nachmittags-Kaffeetrinker einfallen, verteile ich gerade Feuchtigkeitscreme auf meinen schrumpeligen Händen.
Ein graumelierte Anzugträger an Tisch 12 wirft missmutige Blicke in meine Richtung und fragt, wo seine Käsesahnetorte bleibt. Da könnte was gehen, der Kerl sieht nach Geld aus. In Rekordzeit steht die Schnitte auf dem Tisch, garniert mit Breitband-Lächeln und Augenaufschlag. Er will auch gleich zahlen - und gibt keinen Cent Trinkgeld. Langsam bekomme ich Rückenschmerzen.
Doch die ignoriere ich besser: Ab 17 Uhr fallen die Biertrinker ein. Alle Tische drinnen und draußen sind besetzt. Im Vorbeihasten versuche ich die Kommentare zu überhören, wie dass man »hier ja ewig warten muss«. Türme von dreckigem Geschirr stehen auf dem Tresen, als ein Mädchen mit rosa Schlaghose und Siebziger-Jahre-Blümchenbluse aufkreuzt. Sie will eine Tüte Erdnüsse und eine Cola mit einem 50-Euro-Schein bezahlen. Vor lauter Stress übersehe ich, dass sie nicht nur das Wechselgeld, sondern auch die 50 Euro einsteckt. Toll, dass Udo gerade gekommen ist; er versucht sogar noch die miese Hippie-Braut zu erwischen. Aber keine Chance. Trinkgeld ade!
Als sich kurz darauf herausstellt, dass Tisch acht kein Weizenbier, sondern ein großes Pils bestellt hatte, will ich nur noch weinen. Oder jemanden schlagen. »Is schon in Ordnung«, lächelt der Typ mit den braunen Augen. »Ganz schön stressig hier, was?« Ich könnte ihn auf der Stelle umarmen.
Endlich ist es geschafft: 18 Uhr. Seit einer Viertelstunde ist meine Schicht zu Ende - und ich erkenne die bittere Wahrheit: Amélie Poulain hatte keine Schweißflecken unter den Armen, ihre Wimperntusche war nicht verschmiert, und sie redete mit ihren Gästen über Poesie und den Sinn des Lebens - und nie, nie, nie diskutierte sie mit Leuten, die sich die Augenbrauen zutackern, über Käsefettstufen.
Ich starre teilnahmslos in mein zweites Glas spanischen Rotweins und frage mich, wann dieser Tag aufhörte, so zu laufen, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Um die Antwort darauf zu finden, brauchte ich noch vier weitere Anläufe. Dann beschloss ich, Cafés nur noch als Gast zu betreten und mein Konto notfalls mit Putzen zu sanieren. Schließlich wurde der Mythos der Cafés von jenen gemacht, die Zeit genug hatten, ihn bei einer Tasse Kaffee zu beschreiben.