Gehalt online verhandeln »Egal welches Argument kommt, ich würde niemals klein beigeben«

Überhaupt nach einer Gehaltserhöhung zu fragen, ist der erste Schritt (Symbolbild)
Foto:VALENTINA BARRETO STUDIO
SPIEGEL: Frau Chaikevitch, Sie beraten Frauen vor Gehaltsverhandlungen. Warum befassen Sie sich ausgerechnet mit Berufseinsteigerinnen – die haben doch besonders wenig Handlungsspielraum?
Chaikevitch: Der Berufseinstieg ist ein zentraler Moment, denn mit dem ersten Gehalt legt man die Basis für alle weiteren. Außerdem machen auch 200 Euro im Monat einen großen Unterschied. Angenommen, man gibt sie nicht aus, sondern investiert sie – dann bekommt man zur Rente unter Umständen bis zu 200.000 Euro raus.
SPIEGEL: Sie haben selbst früher im Personalbereich gearbeitet und auch Gehaltsverhandlungen mit Mitarbeitenden geführt. Welche typischen Verhaltensmuster haben Sie bei Berufseinsteigerinnen beobachtet?
Chaikevitch: Sie machen sich unnötig klein, im Sinne von: Ach, ich komme aus der Ausbildung oder dem Studium, ich kann doch noch nichts. Das ist überhaupt nicht notwendig! Erworbene Fähigkeiten aus Praktika und Werkstudentenjobs können sehr relevant für den künftigen Arbeitgeber sein. Einmal habe ich erlebt, wie eine Bewerberin mit super Qualitäten und passenden Nebenjobs im Einstellungsgespräch die Hälfte von dem verlangt hat, was wir eigentlich für sie angedacht hatten. So etwas darf nicht passieren.
SPIEGEL: Seit bald zwei Jahren müssen viele ihre ersten Bewerbungs- oder Gehaltsgespräche online führen. Dabei kommt es doch oft auf die persönliche Chemie an. Ist das Verhandeln im Internet schwerer?
Chaikevitch: Nicht unbedingt. In digitalen Bewerbungs- und Gehaltsgesprächen haben wir viele Möglichkeiten, den Eindruck unseres Gegenübers positiv zu beeinflussen. Wichtig ist, gut ausgeleuchtet zu sein und sich ebenso passend anzuziehen wie bei einem Gespräch vor Ort. Außerdem kann man zum Beispiel eine Präsentation zu seinem bisherigen Werdegang vorbereiten oder darin Ideen und Verbesserungsvorschläge aufzeigen.
SPIEGEL: Ist es vielleicht sogar einfacher, ein Gespräch aus der Komfortzone der eigenen Wohnung heraus zu führen?
Chaikevitch: Dazu habe ich bislang kein Feedback aus der Community. Aber ja, vielleicht ist es einfacher, sich zu Hause zu konzentrieren und wohlzufühlen. Wichtig ist, dass man für Ruhe sorgt, den Raum abschließt oder Mitbewohner:innen bittet, nicht während des Gesprächs reinzustolpern. Ansonsten sollte jede:r für sich herausfinden, was sie oder ihn selbstsicherer und ruhiger macht. Das kann zum Beispiel motivierende Musik, eine Meditation oder ein Spaziergang sein.
SPIEGEL: Was lässt Sie selbstsicherer und ruhiger werden?
Chaikevitch: Ich mag einen leeren Schreibtisch, damit mich nichts ablenkt – und etwas zum Schreiben sowie ein Getränk in der Nähe. In Momenten der Unsicherheit kann man einen Schluck nehmen, um sich Zeit zu verschaffen. Egal ob im Homeoffice oder vor Ort: Das A und O ist aber die Vorbereitung vor einem Gehaltsgespräch.
SPIEGEL: Wie sollte die aussehen?
Chaikevitch: Dazu habe ich einen Fünf-Punkte-Plan entwickelt.
Zunächst sollte man seinen Marktwert kennen. Dazu empfehle ich, sich auf Portalen wie Glassdoor, Kununu oder Gehalt.de zu informieren. Manchmal gibt es auch Tarifverträge, die man sich genau anschauen sollte: Nebenjobs und Praktika etwa können mitunter angerechnet werden, sodass man gar nicht bei Stufe eins einsteigen muss. Außerdem hilft es, sich Gehaltsvorbilder zu suchen, zum Beispiel Bekannte, die schon länger in der Branche aktiv sind und verraten können, was man verlangen kann.
Im nächsten Schritt geht es darum, sich bewusst zu machen, was man schon alles erreicht hat – auch wenn man erst frisch aus dem Studium kommt. Man sollte sich immer wieder sagen: Ich kann schon eine Menge.
Anschließend sollte man diese Erfolgsgeschichten und die eigenen Stärken genau ausarbeiten. Was habe ich im Studium gemacht, das für den Arbeitgeber relevant ist? Welchen Mehrwert bringe ich für die Firma? Wo habe ich schon einmal bewiesen, dass ich mich gut und schnell in neue Kontexte einarbeiten kann?
Im vierten Schritt sollte man die magischen drei Zahlen ausarbeiten: eine Mindestgrenze, unter der man auf keinen Fall anfängt; eine Juhu-Zahl, die dem Marktwert entspricht; und einen Wert dazwischen, bei dem man noch einmal über weitere Punkte verhandeln kann. Im Gespräch selbst sollte man immer die Juhu-Zahl als Gehaltsvorstellung nennen und niemals eine Spanne angeben. Außerdem sollte man sich einen Plan B überlegen, wenn es mit dem Wunschgehalt nicht klappt. Kann ich beispielsweise mehr Urlaubstage oder eine Weiterbildung fordern?
Zuletzt rate ich dazu, einen Gesprächsleitfaden zu entwickeln, ähnlich wie eine Theaterinszenierung. Wie könnte das Gespräch verlaufen? Das Ganze sollte man dann mit einer vertrauten Person üben, die kritisches Feedback gibt.
SPIEGEL: Haben Sie auch noch einen Tipp, wie man an seinem Selbstbewusstsein arbeiten kann?
Chaikevitch: Ich bin ein Fan von Powerposen vor dem Gespräch, also: die Schultern breit machen, die Arme wie ein Bodybuilder formen. Und ich höre zum Beispiel zur Motivation ›Eye of the tiger‹ . Auch hier kann die Onlineverhandlung ein Plus sein: Solche Übungen lassen sich zu Hause besser machen als vor dem Badspiegel im Bürogebäude.
SPIEGEL: Ein Totschlagargument bei Gehaltsverhandlungen lautet aktuell: Die Lage ist wegen der Pandemie ungewiss, wir können nicht mehr zahlen. Wie reagiert man darauf?
Chaikevitch: Egal welches Argument kommt, ich würde niemals klein beigeben, sondern Rückfragen stellen: Warum genau ist das so? Man sollte darüber informiert sein, wie es dem Arbeitgeber tatsächlich gerade geht, so lässt sich besser argumentieren. Und wenn die wirtschaftliche Lage wirklich schwierig ist, kann man immer noch nach anderen Benefits fragen. Außerdem rate ich immer dazu, sich auch anderswo zu bewerben. So bekommt man ein besseres Gefühl für den Marktwert und kann gegebenenfalls sagen, dass die Konkurrenz mehr bietet.