Ökonomin über Anlagestrategien »Wie man in Aktien investiert, sollte an Schulen gelehrt werden«

Noch immer investieren Frauen deutlich seltener an der Börse als Männer. Die Ökonomin Alexandra Niessen-Ruenzi weiß, woran das liegt – und verrät, wieso sie bei jungen Frauen mehr Hoffnung hat.
Ein Interview von Benjamin Ansari
Ökonomin Niessen-Ruenzi: Es fehle an Vorbildern, gerade für Frauen

Ökonomin Niessen-Ruenzi: Es fehle an Vorbildern, gerade für Frauen

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Anna Logue

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SPIEGEL: Frau Niessen-Ruenzi, Aktien galten lange als reines Männerthema. 2022 aber haben sich laut Deutschem Aktieninstitut deutlich mehr Frauen als Männer neu für Aktien, Fonds oder ETFs entschieden. Kann man schon von einem Trend sprechen?

Niessen-Ruenzi: Das fände ich verfrüht. Es ist natürlich ein erfreulicher Ausreißer, doch wenn man sich die Zahlenreihe des Aktieninstituts anschaut, sieht man, dass 2012 auch schon mal mehr Frauen als Männer neu zur Börse gestoßen sind. Außerdem sind trotz des Anstiegs immer noch nur ein Drittel aller Aktiensparer in Deutschland Frauen. Und nur 13,3 Prozent aller Frauen besitzen überhaupt Aktien – verglichen mit 23,4 Prozent der Männer.

SPIEGEL: Wenn Frauen seltener investieren, was stellen sie dann mit ihrem Geld an?

Niessen-Ruenzi: Sie sparen sogar mehr als Männer, legen das Geld aber eher in festverzinslichen, risikoärmeren Produkten an, etwa auf Tagesgeldkonten, in Sparbüchern oder Unternehmensanleihen. Wenn sie doch investieren, setzen sie meist auf breit diversifizierte ETFs. Und ihnen ist deutlich wichtiger, wie genau sie ihr Geld anlegen, viele bevorzugen nachhaltige Anlagen. Männern investieren dagegen öfter in Einzelaktien.

»Sprechen Freunde, Familie und andere im eigenen Umfeld über Finanzen, investiert man selbst auch viel eher.«

SPIEGEL: Wieso unterscheidet sich das Anlageverhalten von Männern und Frauen so stark?

Niessen-Ruenzi: Dafür gibt es vor allem drei Gründe. Erstens sind Frauen im Schnitt deutlich risikoaverser. Sie zögern länger, bevor sie investieren, warten mit dem Einstieg oder lassen es ganz. Zweitens haben Frauen in allen industrialisierten Ländern weniger Finanzwissen – und sie schätzen ihr Wissen zum Teil auch geringer ein, als es tatsächlich ist. Sie trauen es sich also schlicht oft nicht zu, in Aktien zu investieren. Drittens haben Frauen auch einfach weniger Geld übrig. Sie verdienen weniger als Männer, der unbereinigte Gender Pay Gap liegt in Deutschland bei 18 Prozent.

SPIEGEL: Welche Faktoren beeinflussen noch, ob sich jemand dazu entschließt, Aktien zu kaufen?

Niessen-Ruenzi: Die Peergroup macht da sehr viel aus, bei Frauen und bei Männern. Sprechen Freunde, Familie und andere im eigenen Umfeld über Finanzen, investiert man selbst auch viel eher. Leider fehlte es gerade für Frauen sehr lange an geschützten Austauschräumen – und an Vorbildern.

SPIEGEL: Ändert sich das nicht gerade, gerade bei den Jüngeren? Immer mehr Finfluencerinnen wie »Madame Moneypenny«, »Aktiengram« oder »Fortunalista« bieten im Netz Finanzinhalte speziell für Frauen an. 

Niessen-Ruenzi: Es stimmt, das Thema »Investieren als Frau« bekommt aktuell sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit – in den Medien, bei Banken, in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, und auch durch die vielen Finfluencerinnen im Netz. Social Media schafft Bewusstsein, senkt Eintrittsbarrieren, macht das Investieren und das Sprechen darüber salonfähiger. Das ist super – dennoch folgen immer noch viel weniger Frauen Finanzbloggerinnen als etwa Fashion-Influencerinnen. Diese Gruppe müsste stark wachsen, damit sich langfristig etwas ändert.

SPIEGEL: Was müsste sich noch ändern, damit künftig mehr Frauen am Aktienmarkt fürs Alter vorsorgen?

Niessen-Ruenzi: Die Finanzinstitute müssten Frauen stärker als Kundengruppe erkennen und ansprechen – bislang taten sie das selten. Um das zu zeigen, haben wir Werbeanzeigen von Banken von 1950 bis heute analysiert: In 70 Prozent der Anzeigen kamen Frauen überhaupt nicht vor – und wenn doch, dann als Hausfrauen, im Gegensatz zu ihren Ehepartnern, den Geschäftsmännern.

»Nach wie vor sind 80 Prozent aller Bankberater Männer, die gehen natürlich auch eher vom Standardfall des männlichen Kunden aus.«

SPIEGEL: Aber daran hat sich doch zumindest in den vergangenen Jahren sicher etwas geändert.

Niessen-Ruenzi: Nach wie vor sind 80 Prozent aller Bankberater Männer, die gehen natürlich auch eher vom Standardfall des männlichen Kunden aus. Im Beratungsgespräch suchen sie häufiger Augenkontakt zum Mann, sprechen die Frau seltener direkt als aktiven Part an. Das haben Feldstudien mit Schauspielern gezeigt. Die Finanzindustrie ist eben noch sehr männerdominiert, es müsste sich auch systemisch etwas ändern.

SPIEGEL: Sehen Sie die Politik da ebenfalls in der Pflicht?

Niessen-Ruenzi: Wie man in Aktien investiert, sollte an Schulen gelehrt werden. Damit alle davon profitieren. Noch zeigen etwa Umfragen unter Studierenden, dass Väter mit ihren Söhnen zu Hause öfter über Finanzen sprechen als mit ihren Töchtern. Aus Gleichstellungssicht wäre es dazu wünschenswert, dass Care-Arbeit gleich verteilt wird zwischen den Geschlechtern.

SPIEGEL: Damit Frauen mehr Geld verdienen und auch investieren können?

Niessen-Ruenzi: Genau. Viele Frauen gehen in Teilzeit, wenn sie eine Familie gründen – und bleiben dann dabei. Die Rentenansprüche mindert das enorm. Gleichzeitig leben sie im Schnitt etwa fünf Jahre länger. Das wenige Geld muss also für eine längere Zeit reichen. Wer da erst fünf Jahre vor der Rente mit dem Investieren anfängt, ist zu spät dran. Denn je früher man einsteigt, desto stärker profitiert man vom Zinseszinseffekt.

SPIEGEL: Vielen jungen Menschen ist das bewusst. Laut der Metallrente Jugendstudie von 2022 fürchten 75 Prozent der 17- bis 27-Jährigen Altersarmut. Bei den jungen Frauen sind es sogar 84 Prozent. Haben Sie bei dieser Generation mehr Hoffnung, dass die Frauen rechtzeitig aktiv werden?

Niessen-Ruenzi: Ja. Finanzinformationen sind endlich leicht und kostenfrei im Netz verfügbar, dadurch sollte sich etwas ändern – vor allem an der Informationsasymmetrie zwischen den Geschlechtern. Ich hoffe, dass die neue Aufmerksamkeit für Finanzthemen auf verschiedenen Kanälen – Medien, Finfluencer, Wirtschaft, Politik, Finanzindustrie – Wirkung zeigt und wir den Gender Investment Gap zumindest bei der jungen Generation schließen können. Das wäre ein wichtiger erster Schritt. Danach können wir uns die ganzen anderen Gender Gaps vornehmen.

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