surfen GENERATION DOWNLOAD
Jason, bist du ein Dieb? Jason G., 26, denkt kurz nach. »Jemand hat mit viel Mühe etwas erschaffen, und ich nehme es einfach, ohne zu bezahlen. Ich vermute also, ich bin ein Dieb.« Hast du deswegen ein schlechtes Gewissen? »Nein.« Und warum nicht? Pause. »Es ist doch einfach nicht dasselbe, wie wenn ich im Laden eine DVD klauen würde.«
Jason - rote Sonnenbrille, Cowboyboots - studiert an der berühmten University of California in Berkeley, jener Uni, an der einst die Blumenkinder auf Sit-ins Haschisch rauchten und gegen den Vietnamkrieg protestierten. Blumenkinder gibt es dort nicht mehr - aber viele Jungs wie Jason: technisch versiert und ohne Lust, viel Geld zu zahlen für all die schönen Dinge, die es im Internet auch umsonst gibt.
Fast alle der 15 Millionen US-Studenten besitzen moderne Computer, Laptops zumeist. Von ihren kargen Wohnheimzimmern, die sie sich oft zu zweit teilen müssen, surfen sie auf den schnellsten Leitungen der Nation im Internet. Und dort sind sie meist nicht studienhalber unterwegs: Dank ihrer T1- und T3-Hochgeschwindigkeitsanschlüsse, kostenlos von den Unis zur Verfügung gestellt, dank großer Festplatten und neuer, simpler Software holen sie sich mehr als nur Musik auf ihre Rechner - sie laden ganze Spielfilme herunter; bargeldlos.
Jason hat im Augenblick »Der Herr der Ringe« auf seinem Computer liegen, »Die Royal Tenenbaums«, »Zoolander« und noch einige andere. Es sammelt doch jeder was, sagt er, und digitale Filme seien einfach schön, »denn die muss man nicht wieder zurückgeben«.
Mehr als 40 Filme hat einer von Jasons Kommilitonen schon »gerippt«. Er holt sich DVDs aus der Videothek, knackt den Kopierschutz mit einfachen Programmen, die im Internet verfügbar sind, und legt den Film als perfekte Kopie auf seiner Festplatte ab. Auf dem Monitor kann er ihn in voller Größe und Pracht betrachten, wann immer er will. Und wenn er seine Filme in komprimierter Form über Tauschbörsen wie Kazaa, Bearshare, Morpheus oder Limewire im Internet verfügbar macht, dann kann das theoretisch der ganze verkabelte Teil der Menschheit auch.
Im Mai kamen gleich zwei Hollywood-Kassenschlager in die Kinos - »Star Wars: Episode II - Angriff der Klonkrieger« und »Spider-Man«. Von beiden Filmen waren illegale Kopien schon Tage vor der Premiere online zu sehen. Eine Million Menschen weltweit, so wird geschätzt, haben »Star Wars« vor dem offiziellen Kinostart am Rechner angeschaut.
Die Download-Generation räumt ab. Nie zuvor wurden so viele Spielfilme aus dem Internet heruntergeladen, konstatiert eine Studie der New Yorker Unternehmensberatung Viant. Ein Film, der am Freitag in den Kinos anläuft, taucht typischerweise Samstag nachmittag im Netz auf, oft in hervorragender Qualität. Bei den so genannten Screeners oder Telesyncs ist die Qualität hingegen eher dürftig: Der Video-Pirat hat sich eine Kinokarte gekauft und die Vorstellung mit dem Camcorder auf einem Stativ heimlich mitgefilmt.
Tag für Tag, so Viant, sausen jetzt schon bis zu 600 000 Filme durch das Datennetz. Und mit jedem Tag wird die Miene der Hollywood-Bosse dunkler: »Dies ist eine entsetzliche Bedrohung«, sagt Jack Valenti, 81.
Seit 1966 ist Valenti der Präsident der Motion Picture Association of America (MPAA), Hollywoods mächtigster Lobbyisten-Truppe in Washington. Trotz seines gediegenen Alters ist Valenti ein agiler Mann, charmant, wenn es sein muss, mit allen Wassern gewaschen. In diesen Tagen hat er nur ein Ziel: In Washington, vor dem US-Kongress und in Gesprächen mit den Größen der Bush-Administration, will er den Downloadern das Handwerk legen. »Wir kämpfen«, dröhnt er, »unseren eigenen Krieg gegen den Terrorismus.«
Dabei hält sich der Schaden für Hollywood bislang sehr in Grenzen. In den USA hat das Kino Hochkonjunktur, und das boomende DVD-Geschäft lässt das Geld nur so in die Kassen fließen. Noch niemals hat sich ein neues Produkt der Unterhaltungselektronik so schnell und umfassend am Markt durchgesetzt wie dieses.
Noch droht Hollywood auch von den meisten Internet-Usern keine Gefahr: Wer sich mit einem 56K-Modem ins Netz einwählen muss, der braucht Tage für einen Film und fährt lieber zur Videothek. Selbst mit einem schnellen DSL-Anschluss dauert es noch eine Nacht, ehe der Film im Kasten ist.
Nur aus den Hochschulen kommt Ungemach. Dort gilt das Downloaden ganzer Hollywood-Streifen bereits als fester Bestandteil der Studentenkultur. Schon machen Raubkopien von Songs oder Filmen den größten Teil des Datenverkehrs zwischen den Unis und dem Rest der Welt aus. Und Valentis Leute sind sich sicher, dass diese Studentenbewegung erst am Anfang steht. Angefixt vom schnellen Internetzugang an der Uni, werden sich die meisten Studenten nach ihrem Abschluss DSL-Leitungen für daheim anschaffen.
Darauf freuen sich die DSL-Anbieter, die mit ihren Breitband-Angeboten bei der Bevölkerung insgesamt bisher wenig Resonanz gefunden haben. Für die Hollywood-Chefs aber ist die Aussicht auf eine Downloader-DSL-Gesellschaft nur ein weiterer Beleg dafür, dass sie kämpfen müssen - jetzt sofort und mit allen Mitteln. Gegen die Studenten - und gegen die Computerindustrie, die sie mit CD- und DVD-Brennern und all der Digitaltechnik erst in die Bredouille gebracht habe und damit auch noch Geld verdiene.
»Hollywood verfällt in einen Zustand der Hysterie«, klagt Tim Schaaff, Experte für interaktive Medien beim Computerhersteller Apple. Steve Jobs, der Apple-Chef, steht wie die anderen Computerbosse seit Monaten in einem regen, mitunter rüden Briefwechsel mit Valenti. Der alte Herr beschuldigt sie der Beihilfe zur Plünderung und sogar der Komplizenschaft. Bisher vergeblich verlangt Valenti von den Silicon-Valley-Baronen einen unknackbaren Kopierschutz schon in der Hardware.
Wird Hollywood also Pleite gehen, in den Ruin gestoßen von gut verkabelten Studenten und ihren Nachahmern? Oder belegt die Beliebtheit digitaler Spielfilme vor allem die Gegenthese, die in Washington gern von der Hightech-Industrie vertreten wird?
Demnach wünschen sich moderne Konsumenten nichts sehnlicher als einen Online-Zugang zu Spielfilmen. Weil es ein legales Angebot bisher nicht gibt, bleibe den Kunden nichts anderes übrig, als sich digitale Filme auf illegale Weise zu beschaffen. Die Mächtigen der Filmindustrie begriffen die Chancen des Digitalzeitalters nicht und begingen deshalb die gleichen Fehler wie zuvor ihre gerupften Kollegen aus der Musikbranche.
Wer hat recht? Berkeley-Student Jason sagt jedenfalls, er kaufe sich nach wie vor DVDs. Manchmal lade er einen Film nur herunter, um zu schauen, ob der was taugt. Sehr gute Filme hole er sich gern als DVD nach Haus, denn auf das Cover und die Zusatzinformationen auf der Scheibe wolle er nicht verzichten. Ohnehin gehe es ihm nicht darum, Geld zu sparen. Er nutze die Tauschbörsen, weil er Filme früh sehen wolle - bevor sie im Kino gespielt werden oder bevor sie auf DVD erscheinen. Kinos besuche er immer noch, denn für die große Leinwand, den Klang und das Gemeinschaftserlebnis gebe es daheim vor dem Computer keinen Ersatz.
Valenti überzeugt solches Gerede nicht. Er lamentiert über den moralischen Niedergang in seinem Land. »Es ist eine Frage von Benimm«, sagt er. »Wer einem rechtmäßigen Eigentümer etwas wegnimmt, der ist ein Dieb.«
Und Diebe müssen gestellt werden. Zum obersten Piratenjäger hat Valentis Organisation Ken Jacobsen bestellt, einen Mann, der Jahre als FBI-Agent zugebracht hat. Mit Computern, den Waffen seiner Feinde, suchen Jacobsens Leute nach Copyright-Verletzern. Sie nutzen ein Programm namens »Ranger«, das sich auf der Suche nach Piraten 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche durch das Internet frisst, durch Tauschbörsen, Webseiten, Chat-Rooms und Newsgroups.
Wenn Ranger einen Computer findet, auf dem geschützte Inhalte zum Downloaden bereitliegen, registriert es dessen IP-Adresse. Die MPAA meldet diese weiter an die betreffenden Internetprovider. Die Firmen sind dann gesetzlich verpflichtet, ihrem Kunden zu schreiben und ihm zu drohen: Entweder verschwindet der betreffende Film sofort aus dem Internet - oder der User wird aus dem Netz ausgesperrt.
Mehr als 100 000 solcher Briefe sind schon versandt worden, auch an viele Studenten. Aber in Berkeley ist davon wohl noch keiner angekommen. »Mich wundert, dass die Musik- und Filmindustrie hier nicht schärfer vorgeht«, sagt Clifford Frost, der Herr über die Internetdienste auf dem Campus. »Die Möglichkeiten dazu hätten sie.«
Die bösen Briefe sind ohnehin nur ein kleiner Teil von Hollywoods Fehde. Jetzt will die Branche von Washington die Lizenz bekommen, Online-Tauschbörsen direkt zu sabotieren. Gerüchteweise tut sie das jetzt schon: Im Geheimauftrag der Plattenfirmen und Studios sollen spezielle Betriebe eine Flut von Neppdateien ins Internet schleusen, die den Downloadern die Lust nehmen. Wer ewig suchen muss, bis er den gewünschten Film findet, so die Theorie, der geht lieber in die Videothek.
Aber Jack Valentis Leute planen noch ganz andere Dinge.
Howard Berman ist Abgeordneter der Demokraten und Hollywoods bester Freund im Parlament - wohl auch deswegen, weil er wie kein anderer von
der Unterhaltungsindustrie gesponsert wird. Berman hat einen umstrittenen, von der MPAA gepriesenen Gesetzentwurf vorgelegt. Er zielt nicht wie die bisherigen Bemühungen darauf ab, die Tauschbörsen zu verklagen. Berman will nun an die User selbst heran.
Mit Hackermethoden und einer Art Polizei-Software sollen die Studios in die Rechner jedes einzelnen Downloaders einbrechen dürfen. Es soll ihnen zustehen, strittige Dateien zu vernichten oder sonstwie zu deaktivieren. Bei besonders regen Tätern sollen sie sogar deren Internetzugang lahm legen dürfen.
Der User soll nicht einmal mitgeteilt bekommen, dass in seinem Computer gerade eine digitale Hausdurchsuchung stattfindet. Und er soll sich auch kaum wehren dürfen: Nur wenn er nachweisen kann, dass der entstandene Schaden größer ist als 250 Dollar, soll ihm überhaupt der mühevolle Klageweg offen stehen.
In Kürze soll das US-Parlament über Bermans Vorstoß beraten. Kritiker sagen, er legalisiere die übelsten Formen der Selbstjustiz für die Inhaber der Urheberrechte. Eine bisher unbekannte Form der digitalen Totalüberwachung drohe. Diese Kritiker fügen auch gern an, dass Hollywood sich schon einmal als innovationsfeindlicher Panikmacher blamiert habe.
Als die Videorekorder aufkamen, da hatten Valentis Leute auch schon ihre Muskeln spielen lassen. Damals forderten sie, dass die Aufnahmefunktion der Geräte wieder verschwinden müsse, denn sonst nähmen sich die Zuschauer ihre Filme einfach aus dem TV-Programm auf und fügten Hollywood einen womöglich tödlichen Milliardenschaden zu.
Der rote Aufnahmeknopf wurde nicht verboten. Videorekorder, VHS-Cassetten und später die DVDs haben Hollywood nicht ruiniert. Im Gegenteil: Mit dem Verkauf der Konserven verdienen die Studios mitunter mehr Geld als mit der Frischware an den Kinokassen.
Und mit dieser Lehre im Hinterkopf wollen fünf der größten Studios sich in diesem Winter nun doch an ein neues Geschäftsfeld wagen: Über Movie- Link.com möchten sie dem US-Publikum Filme zum Download anbieten, legal und gegen Geld.
* Tom Cruise, Samantha Morton im neuesten Steven-Spielberg-Film"Minority Report«.