Eine Ghostwriterin erzählt: "Ich weiß, dass das, was ich tue, nicht korrekt ist"

Dieser Beitrag wurde am 09.08.2016 auf bento.de veröffentlicht.

"Ich kann über alles schreiben. Gib mir Literatur, Philosophie, Biologie. Nur bei Arbeiten in Fremdsprachen und bei juristischen Gutachten muss ich passen."

Sie sieht sich in der Mensa um, sie spricht offensichtlich nicht gern in der Öffentlichkeit über ihre Arbeit. Verständlich: Seit mittlerweile drei Jahren hilft sie anderen Studenten dabei, ihren Abschluss zu meistern.

Lina, 28 Jahre, Biologie-Doktorandin, arbeitet als Ghostwriterin.

Deswegen nennen wir hier auch nicht ihren richtigen Namen.

"Angefangen hat das Ganze im Masterstudium: Ich hatte schon oft die Hausarbeiten von Kommilitonen korrigiert, irgendwie kann ich gut mit Formalia. Und plötzlich stand eine Freundin vor mir und fragte, ob ich die Hausarbeit für eine Bekannte von ihr nicht einfach komplett schreiben würde. Ich würde auch gut entlohnt werden, sagte sie mir."

Von da an sei sie immer wieder mal angefragt worden, erzählt Lina. Anfangs noch von Bekannten und Interessenten aus dem eigenen Fachbereich, aber der Kundenkreis habe sich recht schnell vergrößert:

"Plötzlich kannte ich meine Auftraggeber gar nicht mehr persönlich. Was ich früher im Café bei mir um die Ecke besprochen habe, läuft mittlerweile nur noch per E-Mail."

Zu Beginn habe sich alles noch locker, oft sogar freundschaftlich angefühlt.

"Als würde ich jemandem aus der Patsche helfen. Aber je professioneller ich wurde, desto anonymer lief die ganze Sache."
Ich weiß, dass es nicht korrekt ist, was ich tue.

Lina

Wieder sieht sich Lina nervös um. Sie trägt Jeanshemd, Röhrenhose, Sneakers. Dunkelblondes Haar, Pferdeschwanz, eine ganz normale Studentin. "Ich bin da irgendwie so reingerutscht", sagt sie fast entschuldigend.

Sie betrachtet ihre Arbeit als angenehmen Nebenjob: lukrativ, bequem, flexibel. Sie könne sich ihre Aufträge frei einteilen, von zu Hause arbeiten und sich nebenbei über neue, interessante Themen informieren.

"Ich weiß, dass es nicht korrekt ist, was ich tue. Aber ich will weder mich, noch meine Kunden verurteilen. Viele haben Probleme, sich auszudrücken, müssen nebenher arbeiten, manche haben mit Krankheiten zu kämpfen - es ist nicht immer nur Faulheit und ein großer Geldbeutel, die die Leute zu mir treiben."
Im Slider: Wie viel Hilfe bei der Uni-Hausarbeit ist erlaubt?

Wie viele Studenten ihre Arbeiten in Deutschland heimlich von einem Ghostwriter erstellen lassen, sei nicht bekannt, sagt Matthias Jaroch, Pressesprecher des Deutschen Hochschulverbands. Anders als bei Plagiaten könne man solche Arbeiten nicht mit einer speziellen Software entdecken: "Es sind ja immer Originale. Und zu beweisen, dass diese nicht vom Prüfling selbst stammen, ist quasi unmöglich."

Foto: dpa / Fredrik von Erichsen

Schon seit mehreren Jahren versucht der Hochschulverband, Ghostwriting zu bekämpfen. Bereits 2012 sprach er sich dafür aus, den Straftatbestand des "Wissenschaftsbetrugs" einzuführen und Ghostwriting dementsprechend zu ahnden.

Dabei wolle man gar nicht die Studenten überführen, sondern die Anbieter, sagt Jaroch. "Studenten riskieren auch bei aktueller Gesetzeslage die sofortige Exmatrikulation, wenn sie bei Betrug erwischt werden. Die andere Seite hat jedoch nie etwas zu befürchten." Das Bundesministerium für Bildung und Forschung lehnte jedoch bislang ab: Man sehe keinen Handlungsbedarf, hieß es im Antwortschreiben.

Eine der größten Agenturen im deutschsprachigen Raum ist Acad-Write, die um die 300 Ghostwriter beschäftigt. Bei jedem Auftrag lässt die Agentur schriftlich festhalten, dass die weitere Nutzung der Arbeit nicht in ihren Verantwortungsbereich fällt. So verhindern sie, wegen Betrugs angeklagt zu werden. Was im Anschluss mit dem Text geschieht, wo er eingereicht und wie er benotet wird – davon will der Ghostwriter nichts wissen, bestätigt auch Lina.

Bei Acad kostet eine Seite wissenschaftlichen Schreibens 80 Euro, eine mehrseitige Hausarbeit summiert sich auf mehr als 1000 Euro, für Doktorarbeiten zahlen Kunden um die 16.000 Euro.

Lina nimmt weniger: 700 Euro für eine Hausarbeit und 8000 Euro für eine Abschlussarbeit. Dabei richte sich der Preis nicht nur nach der Länge der Arbeit, sondern auch nach Rechercheaufwand und Fachbereich.

Meine Eltern denken, ich arbeite an der Uni. Und irgendwie stimmt das ja auch.

Lina

"Im Grunde ist akademisches Schreiben immer gleich. Aber wenn keine brauchbare Vorrecherche des Studenten vorliegt und ich komplett bei Null anfangen muss, dauert es natürlich länger und wird dementsprechend teurer." Auf mindestens 13 Euro Stundenlohn wolle sie bei all dem Risiko kommen: "Sonst könnte ich auch in einem Café arbeiten und mir den ganzen mentalen Stress ersparen."

Sie spreche eigentlich nur mit zwei befreundeten Kommilitonen über ihren Job, die ihr damals die ersten Aufträge verschafften. "Meine Eltern denken, ich arbeite an der Uni. Und irgendwie stimmt das ja auch."

Denn vor einem Jahr hat Lina mit ihrer Doktorarbeit in Molekularbiologie angefangen; eine akademische Laufbahn scheint nun wahrscheinlicher denn je. Deswegen hadert sie allmählich doch mit dem, was sie tut: "Je länger ich selbst in der Wissenschaft arbeite, je mehr schmerzt es mich, quasi meine eigenen Kollegen hinters Licht zu führen."

Deswegen werde sie auch sofort aufhören, sollte der Gesetzesentwurf des Hochschulverbandes jemals durchgehen, sagt sie entschlossen. Der Gedanke, ihre akademische Laufbahn aufs Spiel zu setzen, quäle sie schon genug. "Da will ich nicht auch noch straffällig werden."

Bei diesem Satz senkt Lina die Stimme. "Ich muss zurück in den Lehrstuhl", sagt sie. Es gebe viel zu tun.

"Schließlich schreibe ich meine Arbeiten immer noch selbst."

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