Männer dominieren die Führungsetagen in der Medizin. Wie Tharshika helfen will, das zu ändern
Dieser Beitrag wurde am 06.10.2019 auf bento.de veröffentlicht.
Die Frau macht die Betten und nimmt das Blut ab, der Mann operiert und rettet Leben. Das Geschlechterbild in der Medizin glich lange einer ARD-Vorabendserie. Das ist längst nicht mehr so, aber die wichtigen Entscheidungen treffen noch immer Männer.
In den Vorständen der großen Verbände sitzen kaum Frauen, wenn überhaupt. Sogar die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bekam erst 2016 ihre erste Präsidentin. Ein Mann hat sie mittlerweile wieder abgelöst.
Und während zwei Drittel der Studierenden in der Medizin weiblich sind, hielten Frauen 2017 nur 18 Prozent der Professuren in Humanmedizin und Gesundheitswissenschaften (Statistisches Bundesamt, S. 113 ) Initiativen wie "ProQuote Medizin" kämpfen daher seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen und Chancen für Frauen in medizinischen Führungspositionen.
Mit "LEAP Women" hat eine kleine Gruppe Nachwuchsmedizinerinnen nun ihr eigenes Netzwerk gegründet.
Wir haben mit Initiatorin Tharshika Thava, 27, über Ungleichheit, Opferrollen und die Notwendigkeit von weiblichen Vorbildern für junge Nachwuchskräfte gesprochen.
Tharshika Thava
Initiatorin Tharshika Thava, 27, arbeitet als Assistenzärztin im Bereich Hämatologie und Onkologie in Zürich. Sie hat mit "LEAP Women" nun ein Netzwerk gegründet, in dem sich Frauen gegenseitig unterstützen und Karrieren fördern sollen.
bento: Du hast für deine Promotion unter anderem in Israel geforscht und deine Ergebnisse auf renommierten Kongressen in den USA, Israel, Spanien und Deutschland vorgestellt. Du bist Stipendiatin des Medical-Excellence-Programms. Das sieht nicht aus, als bräuchtest du Karrierehilfe. Wieso setzt gerade du dich für mehr Frauenförderung in der Medizin ein?
Tharshika Thava: Ich habe viel erreicht, aber ich hatte immer das Gefühl, ich muss extra hart kämpfen. Ich musste mir häufig anhören: 'Bist du sicher, dass du das machen willst?' Männer fragt man das nicht, ist mein Eindruck. Es gibt noch andere Beispiele, die ich erlebt habe: Da schreibt der Doktorvater den Forschungsbericht für ein Fachjournal und setzt den Namen seines Schützlings mit auf die Liste der Erstautoren. Im Normalfall ist es super schwierig in solchen Journals zu veröffentlichen und wichtig für die Habilitation.
Ich habe auch beobachtet, wie männliche Kollegen zum Ende des Studiums Rotationsstellen in der Forschung angeboten oder sogar Oberarztstellen in Aussicht gestellt bekommen haben.
Diese Art der Unterstützung hatte ich nicht. Über Netzwerke anderer Organisationen fand ich Frauen, die mir Ratschläge gaben. So habe ich mich selbst für große Kongresse beworben, zu denen ich dann auch eingeladen wurde.
bento: Was macht dich so sicher, dass dieser Eindruck mehr als ein individueller Fall ist?
Tharshika: Die Zahlen: Etwa zwei Drittel der Medizin-Absolventinnen und Absolventen sind weiblich. Aber nur ein Drittel von ihnen wird Oberärztin. Noch weniger sind es in der Führungsebene darüber – bei Klinikdirektorinnen etwa.
Vor allem in der experimentellen Forschung sind Frauen unterrepräsentiert. Dabei wird im Labor und an Grundlagen geforscht. Das ist sehr aufwendig, vor allem neben dem Studium oder der Arbeit. Das machen mehr Männer als Frauen. (Beiträge zur Hochschulforschung, S. 171 )
Wir bekommen nicht vorgelebt, dass wir das auch können. Auf wissenschaftlichen Kongressen sprechen deutlich mehr Männer.
bento: Es wird immer wieder damit argumentiert, dass Frauen sich weniger zutrauen, zu selbstkritisch sind oder schlicht kein Interesse an aufwendiger Forschung haben.
Tharshika: Das erste stimmt. Ich habe das Gefühl, Frauen hinterfragen sich ständig. Männliche Kollegen wirken selbstbewusster und werden deshalb eher als kompetent wahrgenommen.
Dass Frauen kein Interesse an Forschung und Verantwortung haben, halte ich für ein Gerücht. Sie verlieren höchstens die Energie, weil es ihnen so schwer gemacht wird.
Ich habe auch eine Umfrage zur Arbeitszufriedenheit und Förderung von Frauen in Medizin und Forschung durchgeführt. Viele haben Ähnliches berichtet: Dass sie in ihrer Forschung kaum Unterstützung bekämen. Besonders schwierig sei es mit Familie.
Die medizinische Karriere orientiert sich an Männern. Frauen haben seltener Nobelpreise gewonnen und das ist immer noch so.
bento: Das Problem gilt für die meisten Branchen und ist seit langem bekannt. Warum ändert sich nichts?
Tharshika: Aus Gewohnheit. Es braucht Menschen, die es nicht nur hinnehmen, sondern ändern wollen. Ich glaube, dass unsere Generation sich nicht mehr damit abfindet.
Um für etwas zu kämpfen, braucht man außerdem Zeit, und der Arzt-Beruf leidet unter chronischer Überlastung. 24-Stunden-Schichten sind keine Seltenheit.
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bento: Du hast die Organisation LEAP gegründet. Zu euren Mentorinnen gehört unter anderem die bekannte Herzchirurgin – und Medizinerin des Jahres 2019 – Dilek Gürsoy. Was habt ihr vor?
Tharshika: 'LEAP Women' steht für Leadership, Empathy, Ambition und Passion. Das Herzstück ist ein einjähriges Mentorenprogramm für Nachwuchsmedizinerinnen und -wissenschaftlerinnen.
Wir wollen junge Frauen in Medizin und Forschung mit erfahrenen Mentorinnen und Mentoren zusammenbringen. Gerade am Ende des Studiums und im ersten Arbeitsjahr ist das entscheidend. Zu Beginn können sie Ratschläge und Empfehlungen geben: An welcher Klinik fange ich an? Welcher Fachbereich passt zu mir? Später können sie dabei helfen, die richtige Forschungsrotation oder Kontakte im Ausland zu vermitteln.
Es wird auch eine Plattform wie LinkedIn oder Xing geben, die das Argument entkräften soll, es gäbe nicht genug qualifizierte Frauen.
Ein Mal im Jahr wollen wir fünf Tage zusammenkommen und lernen, was Führung bedeutet: Wie setze ich mich durch, wie löse ich Konflikte? In Medizin und Forschung wird fast nie über solche Themen gesprochen. Wir wollen Persönlichkeitsentwicklung fördern, Denkanstöße geben und Vorbilder wie Politiker und Klinikdirektoren einladen.
bento: Wer steckt hinter LEAP?
Tharshika: Wir sind elf Frauen und ein Mann, unser Webdesigner. Die meisten habe ich über Facebook gefunden. Im März hatte ich in einer Stipendiaten-Gruppe einen Post abgesetzt, darauf haben sich Dutzende Frauen gemeldet. Sie arbeiten als Ärztinnen und forschen unter anderem an Elite-Unis wie Harvard oder Yale.
bento: Welche Reaktionen habt ihr bisher bekommen?
Tharshika: Einerseits sehr positive: Zum Beispiel haben sich schon jetzt die ersten Teilnehmerinnen beworben. Andererseits gab es auch Kritik.
Die Ergebnisse meiner Umfrage über die Arbeitszufriedenheit und Förderung von Frauen in der Medizin habe ich auf einem Kongress vorgetragen. Danach entgegneten mir viele, ich müsse aufpassen, dass ich nicht zu negativ rüber komme.
bento: Kam diese Kritik auch von Frauen?
Tharshika: Ja. Manche sagen, das alles sei zu feministisch. Wir würden uns in eine Opferrolle begeben. Man müsse halt härter arbeiten. Ich glaube, diese Frauen sind sehr naiv. Ich argumentiere dann mit Zahlen.
bento: Überrascht dich diese Haltung? Wie soll sich dann etwas ändern, wenn noch nicht mal viele Frauen euch Rückhalt geben?
Tharshika:
Überrascht hat es mich nicht. Schon als Studentin hatte ich das Gefühl, dass ältere Kommilitoninnen oder Professorinnen es nicht gerade begrüßt haben, wenn ich zu engagiert aufgetreten bin.
Es gibt natürlich auch unter Frauen jene, die mit Ellenbogen vorangehen. Aber es gibt auch die freundlichen, die dann häufig diese toxische Umgebung verlassen. Da kommt LEAP ins Spiel. Wir wollen eine Community schaffen, in der wir einander unterstützen und nicht gegeneinander arbeiten.
Deine Eltern waren Flüchtlinge aus Sri Lanka. Hat dein Hintergrund dich auf diesem Weg beeinflusst?
Tharshika: Ich denke schon. Meine Eltern haben viel Wert auf meine Bildung gelegt. Ich wollte Ärztin werden und habe mich in der Schule besonders angestrengt. Irgendwann war ich Jahrgangsbeste. Das hat einigen nicht gefallen. Sie haben mich wegen meiner Hautfarbe und meinem Ehrgeiz diskriminiert. Bis dahin hatte ich nie darüber nachgedacht, dass ich anders wahrgenommen werde. Sicher ist das auch ein Grund, warum ich mich so stark für Gerechtigkeit einsetze.