Berufseinstieg als Jazztrompeter »Ich werde lebenslang unterbezahlt, das ist der Preis meines Berufs«

Pascal Klewer: »Jazz ist so frei, das begeistert mich«
Foto: Florian FriesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Start ins Arbeitsleben ist aufregend, anstrengend – und oft ganz anders als geplant. In der Serie »Mein erstes Jahr im Job« erzählen Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger, wie sie diese Zeit erlebt haben. Diesmal: Pascal Klewer, 23, hat im Frühjahr 2020 sein Studium beendet und ist mit dem ersten Shutdown als Jazzmusiker in die Selbstständigkeit gestartet.
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»Dass Jazzmusik mein Beruf werden muss, wurde mir während meines Highschool-Jahrs in Texas klar. Dort leitete ein professioneller Jazzsaxofonist unsere Schulbigband, seine Energie hat mich umgehauen. Jazz ist so frei, das begeistert mich. Ich wusste zwar damals schon, dass ich damit nicht reich werde. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen.
Schon als Grundschüler hatte ich Trompetenunterricht bekommen. Ich übte fast jeden Tag. Wenn das Radio an war, spielte ich frei mit. Heute weiß ich, dass das eine Art des Jazz und der Improvisation war. Im Gymnasium spielte ich in der Schulbigband, später auch in der städtischen Big Band und den Landesjugendjazzorchestern von Hessen und Rheinland-Pfalz, mit denen ich auf Tourneen nach Bolivien, Kanada und China ging. Nach dem Jahr in Texas gründete ich mit Freunden meine erste eigene Jazz-Combo.
Schon während des Studiums eine eigene Big Band
2015 begann ich meinen Bachelor in Jazztrompete mit Nebenfach Klavier an der Musikhochschule in Köln . Neben dem Studium spielte ich in Jazzklubs, ging mit Ensembles und Bands auf Tourneen, und sprang hier und da bei Studioaufnahmen oder Auftritten spontan als Trompeter ein. Der Tagessatz schwankte zwischen 100 und 400 Euro, je nachdem, wie erfolgreich das Ensemble war. Außerdem gab ich für 19 Euro pro Stunde Trompetenunterricht. Das Geld nutzte ich, um meine eigenen Projekte zu finanzieren.
2017, im vierten Semester, gründete ich meine eigene Big Band, mit der ich bis heute experimentellen Jazz mache. Der klingt zuerst sehr chaotisch, dissonant und ungewohnt. Das spricht oft nur Leute an, die sich intensiv mit Jazz auseinandersetzen, und könnte sich nur schwer über Konzerte finanzieren. Ich will aber auch künstlerisch hinter meiner Arbeit stehen. Deshalb war ich bereit, selbst Geld zu investieren. Ich lernte außerdem schnell, dass die meisten Projekte über Fördermittel finanziert werden, recherchierte und begann, selbst Anträge zu stellen. Jazz ist einfach eine Kunstmusik. Ohne Fördermittel würde die Szene sterben.
Auch das Abschlussprojekt meines Bachelors finanzierte ich über Fördermittel: Im März 2020 organisierte ich ein zweitägiges Festival im Jazzklub LOFT in Köln. Das war superviel Organisationsaufwand, aber ich wollte das unbedingt mal üben und auch in der Szene auf mich aufmerksam machen. Ich hatte großes Glück, dass das Event eine Woche vor dem ersten Shutdown noch stattfinden konnte.
Festanstellungen sind im Jazz rar
Nach dem Studium machte ich mich selbstständig, Festanstellungen gibt es im Jazz kaum. Eigentlich sollte mein erstes Jahr im Job genauso weitergehen wie die Arbeit während des Studiums: Tourneen, Konzerte und viele Projekte. Doch wegen der Coronapandemie fiel das allermeiste aus oder wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. 2019 war ich mit der Band Mozah in China gewesen, für 2020 hatten wir circa 50 Konzerte geplant. Auch für eine Japantournee mit meinem Trio hatte ich schon Locations gebucht und wartete nur noch auf die letzten Fördergelder.
Wer frei als Musiker oder Musikerin arbeitet, ist in der Regel Einzelunternehmer und muss seine freiberufliche Tätigkeit beim Finanzamt melden, eine Steuernummer beantragen und Steuererklärungen machen. Wer nur neben der Ausbildung oder dem Studium ab und an frei arbeitet, verdient oft nicht mehr als 22.000 Euro pro Jahr und kann daher von der sogenannten Kleinunternehmerregelung Gebrauch machen. Kleinunternehmer müssen keine Umsatzsteuer ans Finanzamt abführen.
Selbstständige Künstler müssen sich in der Regel ab 3900 Euro Arbeitseinkommen pro Jahr über die Künstlersozialkasse (KSK) versichern . Die KSK kümmert sich dann um die Beitragsabführung zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Da Bund und Unternehmen aufstocken, müssen Mitglieder nur die Hälfte der jeweils fälligen Beträge zahlen.
Es fällt mir schwer, jeden Tag zu proben, obwohl keine Konzerte stattfinden, zu planen, obwohl viel doch wieder abgesagt wird. Vor Corona habe ich tagsüber studiert und geübt und abends und am Wochenende Konzerte gespielt. Alles war durchgeplant. Jetzt muss ich jeden Tag neu überlegen, was ich machen könnte.
Glücklicherweise erhielt ich 2020 die Soforthilfen für Soloselbstständige, eine Förderung der GEMA als Ersatz für die ausgefallenen Konzerte und ein Stipendium des Landes Nordrhein-Westfalen. Pro Monat hatte ich um die 900 Euro zur Verfügung. Das Geld reichte gerade so für Miete und Essen, momentan habe ich zum Glück sonst kaum Ausgaben.
Der Traum: die Japantournee nachholen
Im Februar 2021 leitete ich eine Woche lang die Proben der WDR Big Band und komponierte für die anschließende Konzertaufnahme, bei der ich auch dirigierte und als Solist spielte. Das war mal ein relativ gut bezahlter Job. Im ersten Halbjahr 2021 bekomme ich außerdem monatlich 1000 Euro vom Musikfonds, um mit Saxofonist Viktor Fox an struktureller Improvisation im Duo zu arbeiten und Ideen für die Zeit nach der Pandemie zu entwickeln. Wenn wir unsere Arbeit veröffentlichen wollen, helfen die Stipendien: Ein Studiotag kostet an die 750 Euro plus 600 Euro fürs Mischen und 1500 Euro für das Pressen der 100 LPs, die wir bei künftigen Konzerten verkaufen wollen.
Ich werde lebenslang unterbezahlt, das ist der Preis meines Berufs. Dafür kann ich mit inspirierenden Menschen Musik machen, Konzerte geben und um die Welt reisen. Mein Leben ist einfach zu 100 Prozent die Musik. Meine Hoffnung ist, dass ich 2021 weiter zumindest mit kleinen Gruppen arbeiten kann. Und dass wir die Japantournee irgendwann nachholen können.«
Der klassische Weg führt über ein Studium an einer Musikhochschule, einer Universität oder einem Konservatorium. Innerhalb des Fachbereichs Musik gibt es ganz unterschiedliche Studiengänge – von Komposition und Jazz, über Kirchenmusik zu Konzertgesang. Zulassungsbedingung ist meist eine Eignungsprüfung , bei der Musikstücke auf dem jeweiligen Instrument vorgetragen werden müssen.
Jobs gibt es danach etwa an Opernhäusern, in Orchestern und Theatern, an Schulen oder im Journalismus. Laut Statistischem Bundesamt waren 2014 über die Hälfte der Erwerbstätigen in Musikberufen selbstständig. Das Deutsche Musikinformationszentrum prognostizierte vor der Coronapandemie ein durchschnittliches Jahreseinkommen von gut 15.000 Euro brutto für freiberufliche Musiker:innen.
Die Musikkultur in Deutschland wird von Bund, Ländern und Gemeinden mit über 2,4 Milliarden Euro jährlich gefördert . Dazu kommen um die 400 Millionen Euro private Förderungen, etwa von Stiftungen oder Unternehmen.
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