KI und Recruiting Wie Tinder für Jobs

Einmal auf dem Smartphone nach rechts wischen, und schon hat man ihn, den Traumjob? Job-Matching soll es möglich machen, mittels künstlicher Intelligenz. Kann das gut gehen?
Paarungsmaschinen für Jobs: Die ersten Start-ups arbeiten an intelligenten Matchmaking-Plattformen (Symbolbild)

Paarungsmaschinen für Jobs: Die ersten Start-ups arbeiten an intelligenten Matchmaking-Plattformen (Symbolbild)

Foto: Qi Yang / Moment RF / Getty Images

Auf Tinder matchen Algorithmen Paare, auf dem Arbeitsmarkt bringen sie Menschen an passende Jobs. 70 bis 80 Prozent der deutschen Unternehmen nutzen laut einer Befragung des Institute for Competitive Recruiting sogenannte Bewerbermanagement-Systeme. Diese Systeme scannen eine Bewerbung auf Schlüsselqualifikationen und gleichen sie mit der Stellenanzeige ab. Ein Studienabschluss in BWL ist unbedingt erwünscht? Wer den nicht im Lebenslauf stehen hat, kommt wahrscheinlich auf die Absagenliste.

Um ein Bewerbermanagement-System zu überzeugen, gilt es, einige Regeln zu beachten. Von Tinder kennt man das – natürliches Licht, lächeln und so. Sucht man nicht den Traumpartner, sondern den Traumjob, ist die Formatierung wichtig. Die Schlüsselbegriffe der Stellenausschreibung sollte man in Lebenslauf und Anschreiben unterbringen. Sonst besteht die Gefahr, dass das System selbst gut qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten aussortiert.

Die Boss-Maschine

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz schon jetzt, wenn es darum geht, Jobs zu finden, Kandidaten auszuwählen oder Bewerbungsgespräche zu führen? In einem Themenschwerpunkt haben Journalisten und Coder vom SPIEGEL und dem Bayerischen Rundfunk diese Fragen recherchiert und Chancen und Risiken der neuen Technik beleuchtet. Begleitet wurde das Team von Applied AI vom Unternehmertum (TU München).

Das Team: Lennart Bedford-Strohm, Guido Grigat, Matthias Kremp, Katharina Kulzer, Chris Kurt, Christiane Miethge, Jens Radü, Patricia Stuchlik, Natascha Vostrovsky, Alexander Waldmann

Bewerben mit KI: Die Boss-Maschine – abrufbar in der BR-Mediathek 

Das klingt nach Suchmaschinenoptimierung für Lebensläufe – und nach ärgerlichen Fehlerquellen. Immer mehr Unternehmen versprechen daher ein smartes Job-Matching mit Datenanalyse und künstlicher Intelligenz. Große Anbieter wie IBM etwa arbeiten daran, Bewerbermanagement-Systeme mit selbstlernenden Algorithmen aufzubessern. Und die ersten Start-ups bauen schon an den Matchmaking-Plattformen von morgen.

Eine Paarungsmaschine für Jobs

Beim Berliner Unternehmen Truffls erinnert das tatsächlich an Tinder: Lebenslauf hochladen, Jobs ansehen und mit einem Wisch bewerten – nach rechts für »gefällt mir«, nach links für »gefällt mir nicht«. Eine Paarungsmaschine für Jobs. Weil auf der anderen Seite Personaler und Personalerinnen dasselbe tun, lernt die Maschine mit der Zeit, welche Kandidaten zu welchen Jobs am besten zu passen scheinen.

Etwas gehobeneres Matching mit Lebenslaufanalyse und Persönlichkeitstest verspricht das niederländische Start-up 8vance mit seiner Plattform Jobliebe. »Wir nutzen 39 Algorithmen, die anhand des Lebenslaufs analysieren, welche Fähigkeiten und Qualifikationen ein Mensch hat. Ein Algorithmus klassifiziert einen Jobtitel, ein anderer identifiziert Kompetenzen, ein weiterer gewichtet die Relevanz einer Fähigkeit«, erklärt Han Stoffels, einer der Gründer.

Das Ergebnis ist eine lebendige Sequenzierung der modernen Arbeitswelt mit über 31.000 Berufsbezeichnungen und Fähigkeiten. Zum Vergleich: Das Klassifizierungssystem der Europäischen Union ESCO  kennt nur knapp 3000 Berufe. Je mehr Berufe das System kennt, desto besser das Matching. KI braucht Masse. Allein der Trainingsdatensatz umfasste 80 Millionen Kandidatenprofile.

Relevant ist aber auch die Menge der Daten zum einzelnen Job. »Bei Berufen, die ganz selten vorkommen, ist unser System einfach weniger gut«, sagt Stoffels. Aus der Reihe zu fallen, ist in der Jobwelt von morgen also nicht zwangsläufig gut.

Die Hoffnung hinter Truffls, Jobliebe und Co.: eine Jobvermittlung aufgrund von Fähigkeiten und ohne Diskriminierung. Im Algorithmus könnte eine Chance stecken. Doch nicht immer liefert Tinder den Traumpartner, und auch die smarten Matching-Plattformen sind keine Wundermaschinen. Sie können die Vorurteile und Denkmuster der Menschen replizieren, die an beiden Enden den Input geben.

Das Superman-Problem

Zum einen sind da die Kandidatinnen und ihr Selbstmarketing. Ganz ähnlich wie auf dem Datingmarkt gewinnt auch hier, wer sich am attraktivsten darstellt. »Wir haben das sogenannte Superman-Problem. 50 Prozent der Leute in unserer Datenbank überschätzen sich. Ungefähr 50 Prozent unterschätzen sich. Die eine Gruppe sind Männer, die andere Gruppe Frauen«, sagt Stoffels. 8vance gewichtet daher Profile, die zu viele Fähigkeiten enthalten, beim Matching systematisch herunter.

»Wenn ein System mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen und Eigenschaften arbeiten muss, kann es sogar gerechter sein , unterschiedliche Algorithmen zu bauen, zum Beispiel einen für weibliche und einen für männliche Bewerber«, sagt auch Tobias Krafft, der mit seinem Start-up Trusted AI politische Institutionen über den ethischen Einsatz von künstlicher Intelligenz berät. Das klingt kontraintuitiv, ergibt aber Sinn. Vor allem, wenn man neben dem Input der Kandidaten auch das Feedback der Unternehmen berücksichtigt. Der Jobmarkt ist alles andere als fair. Auch Personaler machen systematische Fehler. Zwei Forscherinnen der Universitäten Harvard und Princeton haben gezeigt, dass Symphonieorchester in den USA viel mehr Frauen anwerben, wenn die Musiker und Musikerinnen hinter einem Vorhang vorspielen . Eine Studie der Universität Konstanz ergab: Ein türkisch klingender Name in der Bewerbung senkt die Wahrscheinlichkeit, zum Gespräch eingeladen zu werden, von knapp 42 Prozent auf 33 Prozent .

Künstliche Intelligenz könne Vorurteile nur ausgleichen, wenn man diese explizit mache, sagt Krafft. Statt wegzulassen, ob sich ein Mann oder eine Frau, ein Mohammed oder ein Gert bewirbt, könnte ein Algorithmus Personalerinnen auf Vorurteile aufmerksam machen. »Wir könnten ja sagen: Lieber Personaler, in deinen letzten 60 Entscheidungen waren folgende Gruppen weniger vertreten. Wir haben dir in einer Liste Vorschläge vorbereitet, welche tollen Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund du vielleicht übersehen hast.«

Data Science zum Aufdecken von Vorurteilen. Wichtig dafür ist Transparenz. Davor aber scheuen sich die meisten Anbieter mit Verweis auf das Geschäftsgeheimnis.

Die Frage ist also nicht, ob wir künstliche Intelligenz bei der Bewerberauswahl einsetzen – sondern wie. Noch werden in Deutschland die wenigsten Kandidaten allein aufgrund ihrer Fähigkeiten eingestellt. Ein Problem, findet die Organisationsentwicklungs-Expertin Isabell Welpe von der TU München. Sie wünscht sich einen Matching-Algorithmus für Jobs, der nur aufgrund von Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften matcht. »Man könnte sich mit einem Chef matchen lassen, der so ist wie ein Bekannter. Man könnte wie bei Dating-Plattformen aufgrund von Werten, Persönlichkeitsmerkmalen und Vorlieben einen Job bekommen statt irgendwelcher Studienabschlüsse«, sagt Welpe.

Auch viele der Matching-Start-ups würden Lebensläufe und Stellenausschreibungen gern ganz weglassen. Immerhin sind es am Ende Menschen, die miteinander arbeiten – da geht es auch um Beziehung. Um den Vergleich mit den Datingplattformen einmal konsequent zu Ende zu denken: Wer würde sich schon bei der Wahl seiner neuen Liebe auf den Lebenslauf verlassen und nur diejenigen treffen, die die richtigen Schlüsselbegriffe haben?

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