Chemikerin in der Sanierungsbranche »Ich wusste gar nicht, dass es meinen Job überhaupt gibt«

Nach Überschwemmungen oder Bränden bleiben Schäden zurück. Nina Simon hilft dabei, sie zu beseitigen. Sie mag ihren Job – auch wenn sie ursprünglich etwas ganz anderes machen wollte.
Aufgezeichnet von Helene Flachsenberg
Chemikerin Nina Simon: »Lebensmittelchemie vereinte Chemie mit Essen – meiner zweiten großen Leidenschaft«

Chemikerin Nina Simon: »Lebensmittelchemie vereinte Chemie mit Essen – meiner zweiten großen Leidenschaft«

Foto: Studio Belichtungswert

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Der Start ins Arbeitsleben ist aufregend, anstrengend – und oft ganz anders als geplant. In der Serie »Mein erstes Jahr im Job« erzählen Berufseinsteiger:innen, wie sie diese Zeit erlebt haben. Diesmal: Nina Simon, 26, hat Lebensmittelchemie studiert. Nun arbeitet sie bei einer Sanierungsfirma, die etwa nach Brand- oder Staubschäden Gebäude, Maschinen und Elektronik instand setzt.

Mein erstes Jahr im Job

Alle bisherigen Folgen von »Mein erstes Jahr im Job« finden Sie auf unserer Serienseite. Sie haben Ihren Berufseinstieg selbst gerade hinter sich und möchten davon erzählen? Dann schreiben Sie uns an SPIEGEL-Start@spiegel.de .

Zur Serie

»Bis ich die Stellenanzeige las, wusste ich gar nicht, dass es meinen jetzigen Job überhaupt gibt. Klar, man hört in den Nachrichten von Ereignissen wie der Flutkatastrophe in Westdeutschland oder von Wohnungsbränden. Aber dass man danach nicht einfach alles abreißt und wegwirft – das war mir irgendwie nie in den Sinn gekommen. Dabei ist es total erfüllend, Menschen nach so einem Unglücksfall zu helfen.

In der Schule war ich sehr gut in Chemie, habe auch mein Abitur darin geschrieben. Allerdings schreckte mich ab, wie lang man bei einem reinen Chemiestudium an der Uni bleiben muss: Nur mit einem Bachelor hat man auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen, sogar mit einem Masterabschluss ist es manchmal schwer. Eine Promotion dauert aber gut und gern vier bis fünf Jahre. Das kam für mich nicht infrage.

Deshalb schaute ich mich nach verwandten Studiengängen um und entdeckte Lebensmittelchemie mit Staatsexamen an der Universität Erlangen-Nürnberg. Das vereinte die Chemie mit dem Essen – meiner zweiten großen Leidenschaft.

Das Studium Lebensmittelchemie

Das Grundstudium hat viele Überschneidungen mit anderen Naturwissenschaften, ich hatte Kurse in organischer und anorganischer Chemie, in Physik und Biologie. Ab dem fünften Semester begann das Hauptstudium, darin beschäftigten wir uns schwerpunktmäßig mit der chemischen Zusammensetzung von Lebensmitteln, Lebensmitteltechnologie und Chemosensorik, also der Lehre vom Riechen und Schmecken.

Dieser Teil des Studiums war sehr familiär: In meinem Jahrgang waren nur 18 Leute, die Professor:innen kannten jede und jeden beim Namen, in den Vorlesungen diskutierten wir viel. So habe ich es gut durchs Studium geschafft – auch wenn es anspruchsvoll ist.

»Wir sind nicht nur auf Essen beschränkt.«

Lebensmittelchemiker:innen werden vor allem für die Analyse ausgebildet. Wir lernen, bestimmte Stoffe in einem Lebensmittel, das aus vielen unterschiedlichen Substanzen besteht, präzise nachzuweisen. Viele Lebensmittelchemiker:innen arbeiten später in Laboren und untersuchen dort Proben. Ist das Leitungswasser mit Schadstoffen belastet? Entsprechen die Angaben auf der Packung den tatsächlichen Inhaltsstoffen? Trotz des Namens sind wir dabei nicht nur auf Essen beschränkt, sondern arbeiten auch mit Futtermitteln, Gebrauchsgegenständen wie Kleidung oder Spielzeug und Kosmetik.

Nach dem ersten Examen in den Job

Ich habe mein Studium mit dem ersten Staatsexamen beendet. Es gibt die Möglichkeit, zusätzlich ein zweites Examen zu machen, für das man ein Jahr im Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit verbringen muss. Dort vertieft man Lebensmittelrecht, also etwa gesetzliche Vorgaben für Zutatenlisten oder wie man ein Gutachten ausstellt. Dieser Bereich hat mich jedoch im Studium am wenigsten interessiert, außerdem wollte ich endlich arbeiten. Deshalb habe ich schon nach dem ersten Examen aufgehört.

»Stellen explizit für Lebensmittel­chemiker:innen fand ich nur wenige.«

Ich begann noch während des Studiums, mich zu bewerben – und merkte schnell, dass ich ein bisschen ›out of the box‹ denken musste. Stellen explizit für Lebensmittelchemiker:innen fand ich in Jobbörsen nur wenige. Doch mit meinem Studium passte ich auch auf Stellenausschreibungen, in denen Chemiker:innen oder Analytiker:innen gesucht wurden.

So fand ich die Ausschreibung der Sanierungsfirma, bei der ich jetzt arbeite – dort hat es mit meinem Hintergrund direkt geklappt. Zwei Wochen nach meinem Abschluss trat ich die neue Stelle an. Mit meinem Gehalt bin ich sehr zufrieden. Die Spanne für Berufseinsteiger:innen liegt in der Lebensmittelchemie zwischen 37.000 und 50.000 im Jahr . Am oberen Ende liegen diejenigen mit einem höheren Abschluss oder Doktortitel.

Arbeit in einem Sanierungsunternehmen

Ich arbeite jetzt im Labor und analysiere Proben, die unsere Mitarbeiter:innen von Schadensstellen mitbringen. Wenn es in einem Gebäude etwa einen Brand gab, eine Überschwemmung oder ein geplatztes Abflussrohr, stelle ich fest: Wo sind Schäden aufgetreten, wo haben sich Schadstoffe oder Gerüche festgesetzt? Bestehen Gesundheitsgefahren durch krebserregende Brandprodukte? Darauf basierend gebe ich Empfehlungen ab, welche Bereiche zuerst behandelt werden sollten und auch, welche Chemikalien zur Reinigung geeignet sind. Obwohl meine Arbeit also wenig mit Lebensmitteln zu tun hat, hat mich mein Studium sehr gut darauf vorbereitet.

»Es ist jedes Mal wie ein neues Rätsel, das ich lösen muss.«

Die Schäden, um die wir uns kümmern, sind vielfältig, ebenso wie unsere Kund:innen. Oft haben wir in der Industrie zu tun, aber regelmäßig auch in Privathaushalten. In jedem Fall haben die Menschen unterschiedliche Bedürfnisse. Müssen giftige Stoffe beseitigt werden? Geht es vor allem darum, unangenehme Gerüche loszuwerden? Oder müssen teure Maschinen vor Korrosion bewahrt werden?

Dadurch ist jeder meiner Arbeitstage anders, das finde ich super. Es ist jedes Mal wie ein neues Rätsel, das ich lösen muss.

Außerdem habe ich gemerkt, wie wichtig unsere Arbeit ist. Wir werden von Menschen beauftragt, die einen Schaden erlitten haben, oft hängen da Existenzen dran. Brände oder Wasserschäden betreffen außerdem häufig Dinge, die vielleicht keinen hohen materiellen Wert haben, jemandem aber trotzdem wichtig sind. Diesen Menschen zu helfen und so viel wie möglich zu retten, ist ein schönes Gefühl.«

Lebensmittelchemie studieren

Lebensmittelchemiker:innen  beschäftigen sich mit der chemischen Zusammensetzung von Lebensmitteln und deren Inhaltsstoffen. Studieren kann man das Fach in Deutschland  entweder auf Staatsexamen (etwa in Erlangen ), oder als Bachelor bzw. Master of Science (etwa in Hamburg ). Auch das Zulassungsverfahren unterscheidet sich je nach Universität.

Gemein ist den Studiengängen, dass es vor allem um die chemische Analytik geht. Die Studierenden lernen unterschiedliche Methoden, um Lebensmittel und andere Gebrauchsgegenstände wie Kosmetika oder Waschmittel auf Veränderungen, Reinheit und Qualität zu überprüfen.

Es gibt etliche Überschneidungen zu anderen naturwissenschaftlichen Fächern, weshalb auch Veranstaltungen in Biologie, Physik und Mathematik belegt werden müssen. Ebenfalls verpflichtend sind diverse Praktika, bei denen die Arbeit im Labor geübt wird. Einen beispielhaften Studienverlaufsplan gibt es hier .

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