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Helene Flachsenberg

Berufswahl mit Sinn Warum wir nicht alle Umweltingenieure werden müssen (oder sollten)

Helene Flachsenberg
Ein Essay von Helene Flachsenberg
Bei der Suche nach Sinn im Job liegt der Gedanke ans Klima nahe. Doch um Frust zu vermeiden, sollte man sich nicht darauf beschränken. Denn zu einer nachhaltigen Entwicklung gehört mehr als Windräder und Wärmepumpen.
aus SPIEGEL Start 1/2023
Einsatz für eine bessere Welt: Nachhaltige Jobs gibt es in vielen Branchen (Symbolbild)

Einsatz für eine bessere Welt: Nachhaltige Jobs gibt es in vielen Branchen (Symbolbild)

Foto: Nikola Stojadinovic / Getty Images

Auf der Berufswahl lastete schon immer jede Menge Druck. Womit will ich die nächsten Jahrzehnte meines Lebens verbringen? Welches gesellschaftliche Ansehen geht mit einem Job einher? Und lässt sich damit überhaupt genügend Geld verdienen? Zudem wollen oft andere mitreden. Allen voran: die Eltern, die sich wünschen, dass ihr Kind Ärzt:in wird. Oder das Familienunternehmen weiterführt.

Zu diesem ohnehin schon aufgeladenen Gemisch von Erwartungen gesellt sich bei vielen jungen Menschen heute noch eine weitere: Der Job soll einen Sinn haben, nicht einfach nur die sprichwörtlichen Brötchen einbringen, sondern im besten Fall die Welt verbessern. In der Shell-Jugendstudie von 2019 gaben 59 Prozent der 12- bis 25-Jährigen an, ihnen sei »sehr wichtig«, im Job etwas Sinnvolles zu tun. Bei der Befragung vier Jahre zuvor waren es noch 51 Prozent gewesen.

Die Fridays for Future-Bewegung prägt das Bild dieser Generation. Und tatsächlich machen sich die Jungen extreme Sorgen wegen der Klimakrise. Eine Langzeitstudie von Klaus Hurrelmann, der auch die Shell-Studie mit verantwortet, zeigt, wie sehr das Thema sie beschäftigt: Bevor der Krieg in der Ukraine übernahm, nannten die Befragten den Klimawandel durchgehend als ihre größte Sorge.

Klima-Fokus bei der Berufswahl kann kontraproduktiv sein

Was also ist naheliegender, als auch die Berufswahl nach der Klimafrage auszurichten? Nicht nur nach Feierabend und am Wochenende, sondern auch in der Arbeitszeit alles dafür tun zu wollen, den Planeten zu retten?

Ein Klima-Fokus bei der Berufswahl kann auch kontraproduktiv sein. Weil er junge Menschen bei dieser ohnehin schon anstrengenden Entscheidung zusätzlich belasten kann. Aber auch, weil es für eine nachhaltige Entwicklung nicht nur Klima-Spezialist:innen braucht.

Nun, erstens muss man sich das leisten können. Wenn ein grüner Job ein langes Studium voraussetzt oder nicht schnell genug genügend Geld einbringt, dann bezahlt der Idealismus nicht die Rechnungen. Hurrelmanns Untersuchungen zeigen, dass es gerade die besser gestellten Jugendlichen sind, die sich fürs Klima einsetzen wollen.

Und zweitens kann ein Klima-Fokus bei der Berufswahl auch kontraproduktiv sein. Weil er junge Menschen bei dieser ohnehin schon anstrengenden Entscheidung zusätzlich belasten kann. Aber auch, weil es für eine nachhaltige Entwicklung nicht nur Klima-Spezialist:innen braucht.

Dass die Klimakrise aktuell so präsent ist, hat gute Gründe. Beim Blick aus dem Fenster sieht man Parks, die vor Dürre schon im August nach Oktober aussehen; in manchen Gegenden Deutschlands sogar Waldbrände, wie man sie so sonst nur aus Griechenland oder Kalifornien kennt. Niemand, der bei Trost ist, wird heutzutage mehr leugnen, was auch die jungen Menschen spüren: Die Klimakrise ist die größte Herausforderung der Menschheit – und sie wird alles verändern. Auch den Arbeitsmarkt.

Das lässt sich schon jetzt beobachten. Es gibt immer mehr sogenannte grüne Berufsbilder, hat der Soziologe Markus Janser vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ermittelt. In einer Langzeitstudie hat er die Beschreibungen von über 4000 Berufsprofilen in der Datenbank der Bundesagentur für Arbeit untersucht. Und festgestellt: Zwischen 2012 und 2020 hat die Anzahl von Berufen, die einen Klimabezug aufweisen, um fast 19 Prozent zugenommen.

Allerdings zeigen Jansers Zahlen  auch: Klimabezug gibt es nicht in allen Fachrichtungen gleichermaßen. Stattdessen sind es vor allem einzelne Branchen, in denen sich die grünen Jobs ballen – allen voran der Energiesektor, Entsorgungsbetriebe und Logistik. So kann sich der Eindruck aufdrängen: Wer der Welt etwas Gutes tun will, muss eigentlich Umweltingenieur:in werden. Oder zumindest Kfz-Mechatroniker:in für Elektroautos.

Der Arbeitsmarkt ändert sich, Menschen aber nur bedingt. Wer mit Naturwissenschaften wenig anfangen kann, wird nicht mit einem Mal Geoökologie studieren wollen.

Einfach nur einen grünen Job zu machen, weil er gesellschaftlich einen Sinn ergibt, macht jedoch auch nicht glücklich. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass es eine Mischung aus unterschiedlichen Faktoren ist, die uns zu zufriedenen Arbeitnehmer:innen macht. Ein Gefühl von Sinnhaftigkeit ist zwar einer davon. Mindestens ebenso wichtig ist jedoch, dass man einen Job hat, der zu den eigenen Begabungen und Fähigkeiten passt .

Und hier steckt das Kernproblem: Der Arbeitsmarkt ändert sich, Menschen aber nur bedingt. Und Begabungen und Interessen sind naturgemäß unterschiedlich verteilt. Wer gut in Sprachen ist, mit Naturwissenschaften aber wenig anfangen kann, wird nicht mit einem Mal Geoökologie studieren wollen. Oder Umweltingenieurwesen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass all diese Menschen keinen Job mit Sinn finden können – oder sich gegen ihre eigenen Neigungen entscheiden müssen. Im Gegenteil. Auch ihre Fähigkeiten und ihr Einsatz werden dringend gebraucht.

Nachhaltigkeit hat viele Dimensionen

Die Vereinten Nationen haben 2015 Ziele für eine weltweite nachhaltige Entwicklung beschlossen, auf die alle Mitgliedstaaten hinarbeiten wollen. Auf Deutsch ist das Projekt mit »Transformation unserer Welt« überschrieben, und um nicht weniger geht es: Die Welt so zu verändern, dass langfristig gutes Leben möglich ist.

Unter den Zielen  findet sich vieles, was sich klassisch grün anhört: bezahlbare und saubere Energie etwa, Maßnahmen zum Klimaschutz oder nachhaltige Städte und Gemeinden. Aber daneben gibt es eben auch etliche andere Ziele: hochwertige Bildung zum Beispiel, Geschlechtergleichheit oder menschenwürdige Arbeit.

Im Alltag wird »nachhaltig« inzwischen häufig als Synonym benutzt für alles, was irgendwie umweltfreundlich oder grün sein soll. Dabei hat der Begriff Nachhaltigkeit seiner wissenschaftlichen Definition zufolge drei Dimensionen: eine ökologische, ja – aber eben auch eine ökonomische und eine soziale.

Das Drei-Dimensionen-Modell ist inzwischen zwar vielfach ergänzt und überarbeitet worden, unumstritten ist jedoch: Ohne ökonomische und soziale Veränderungen wird gutes Leben auf diesem Planeten langfristig nicht gelingen. Das heißt auch, dass die Bekämpfung von sozialen Ungleichheiten oder der Zugang zu Bildung genauso wichtig ist, wie Städte klimaresistent zu machen und Autos auf Elektromotoren umzustellen. Und es heißt, dass die Arbeit einer Lehrerin genauso sinnvoll ist wie die einer Klimaforscherin.

Nicht zuletzt ist die Klimakrise immer auch ein ökonomisches und soziales Thema. Wenn die aktuelle Wirtschaftsordnung zu viele Ressourcen verbraucht und zu viel CO₂ produziert, muss sie sich ändern. Das wiederum erfordert neue Geschäftsmodelle, Unternehmen, die Produktion und Dienstleistungen anders denken. Auch die soziale Ordnung wird noch weiter ins Wanken geraten. Manche Gegenden bekommen die Auswirkungen der Klimakrise deutlich früher zu spüren, ganze Landstriche könnten in der näheren Zukunft unbewohnbar werden. Diese neuen Ungleichheiten abzufedern, ist eine enorme soziale Herausforderung.

Viele Herausforderungen, viele berufliche Möglichkeiten

Man kann sich leicht erschlagen fühlen von diesen immensen Herausforderungen. Doch gerade da kann es helfen, ins Tun zu kommen – etwa bei der Wahl eines Berufs.

Jungen Menschen auf der Suche nach einem Job mit Sinn kann das Wissen um die vielen Dimensionen von Nachhaltigkeit die Perspektive öffnen. Denn es bedeutet, dass sich ihnen auf fast der gesamten Breite der Berufswelt Möglichkeiten bieten, sich für eine bessere Welt einzusetzen. Und dass es für jede Person Möglichkeiten gibt, sich mit ihren Begabungen und Fähigkeiten einzubringen.

Da ist die junge BWLerin, die den Familienbetrieb übernommen hat, einen Bettdecken-Hersteller, und jetzt nur noch recycelte Daunen für ihre Produkte verwendet. Da ist die Grafikdesignerin, die mit ihren Designs dazu beiträgt, über Sexismus und Homophobie aufzuklären. Und da ist der Web-Developer, der die Seite einer Bank programmiert, die auf unmoralische Spekulationen mit Waffen oder Lebensmitteln verzichtet. Sie alle machen die Welt mit ihrem Job ein bisschen besser, nicht selten auch ein bisschen grüner.

Auf die eigenen Begabungen und das eigene Können zu schauen, ist ein solider Wegweiser für die Berufswahl. Wer tut, was er oder sie gut kann, kommt schneller voran, hat mehr Erfolgserlebnisse – und kann letztlich auch mehr erreichen. Nicht die schlechteste Voraussetzung, wenn man die Welt verändern möchte.

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