streiten »OFFEN FÜR ALLE«
UniSPIEGEL:
Herr Frankenberg, Sie würden die ZVS am liebsten abschaffen und den Hochschulen erlauben, ihre Studenten selbst auszuwählen. Was ist so schlecht an der zentralen Verteilung?
Frankenberg:
Ich will die ZVS in der gegenwärtigen Form abschaffen und sie umwidmen zu einer Stelle, die nach der Selbstauswahl der Studierenden durch die Hochschulen diejenigen Bewerber verteilt, die noch keine Plätze gefunden haben. Studierende haben das Recht, sich ihre Hochschule auszuwählen - umgekehrt sollten die Hochschulen entscheiden, welche Studenten sie haben möchten.
UniSPIEGEL:
Frau Behler, spricht überhaupt etwas für die von vielen als »planwirtschaftlichen Dinosaurier« bezeichnete ZVS?
Behler:
Die ZVS gewährleistet bei einem Mangel an Studienplätzen oder einer Überzahl an Bewerbungen ein gerechtes Auswahlverfahren, das sich an Leistung und Chancengleichheit orientiert. Eine Auswahl, die allein von den Hochschulen organisiert wird, würde entweder den rechtsstaatlichen Prinzipien nicht mehr Rechnung tragen oder aber den bürokratischen Aufwand vervielfachen. Die Abiturienten müssten sich bei einer Vielzahl von Hochschulen gleichzeitig bewerben, und bei der Zusage durch eine wüssten sie noch lange nicht, wie das Ergebnis bei den anderen aussieht. All das ist nicht im Interesse der Studierenden.
Frankenberg:
Dass die ZVS die Studienplätze leistungsorientiert verteilt, ist so schon einmal nicht richtig. Ich habe während meiner Zeit als Rektor der Universität Mannheim und sogar am Beispiel meiner eigenen Tochter erlebt, dass eben nicht überwiegend die Leistung zählt. Abiturienten mit einem Notendurchschnitt von 1,0 oder 1,2 bekommen nicht ihre Wunschhochschule, schlechtere Abiturienten aber, die in der Nähe ihrer Uni wohnen, kriegen einen Platz an ihrer lokalen Hochschule. Außerdem ist das Abitur inzwischen bundesweit und in Europa so wenig vergleichbar, dass mit der Abiturnote ohnehin keine hinreichende Eignung für einen spezifischen Studiengang mehr festgestellt werden kann.
Behler:
Ich muss Ihnen widersprechen. Gerade die Abiturienten mit den besten Notendurchschnitten kommen doch an die Hochschule ihrer Wahl. Insgesamt sorgt das ZVS-Verfahren dafür, dass etwa 75 Prozent der Bewerber einen Studienplatz an einer Hochschule ihrer Wahl bekommen. Ich finde, das ist eine sehr gute Leistung. Bleiben wir aber bei der Auswahl und bei der Abiturnote. Die ZVS geht nach Landesquoten vor, sie setzt also keineswegs pauschal bundesweit alle Abiturnoten gleich. Wenn Ihre Unterstellung stimmen würde, hieße das auch eher: Man müsste sich mehr um die Gleichwertigkeit des Abiturs bemühen und sollte nicht im Gegenzug das Abitur als Hochschulzugangsberechtigung abwerten.
UniSPIEGEL:
Beweist denn das Abitur überhaupt, dass jemand für ein Studium geeignet ist?
Behler:
Wir sprechen hier über die allgemeine Hochschulreife, nicht über eine fachgebundene. Und die allgemeine Hochschulreife befähigt in der Tat zum Studium. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass die Abiturnote der sicherste Indikator für den späteren Studienerfolg ist. Die Hochschulen dürfen ja schon jetzt 20 Prozent der Plätze in ZVS-Fächern selbst vergeben. Die meisten machen aber von ihrem Recht keinen Gebrauch und beauftragen die ZVS mit der Verteilung - nach der Abiturnote.
Frankenberg:
Das ist ja auch eine beschränkte Auswahl. Die Hochschulrektoren beklagen fast alle, dass sie damit nur diejenigen aussuchen können, die noch nicht auf Grund etwa der Note von der ZVS verteilt worden sind. Wegen dieser 20 Prozent lohnt es sich überhaupt nicht, ein eigenes, fundiertes Auswahlverfahren einzuführen. Ich glaube auch nicht, dass die Abiturnote genug über den möglichen Studienerfolg aussagt. Wir haben an deutschen Hochschulen Abbrecherquoten von durchschnittlich 30 Prozent. In vielen Fächern fallen bis zu 50 Prozent der Studierenden durchs Vordiplom. Da frage ich mich schon, ob wir denn die Richtigen für diese Studienplätze ausgewählt haben.
UniSPIEGEL:
Herr Frankenberg, verliert nach Ihrer Argumentation das Abitur nicht seine Funktion als Zugangsberechtigung zum Studium?
Frankenberg:
Die Abiturienten wollen doch heute nur eine möglichst gute Durchschnittsnote. Da werden dann Fächer gewählt, von denen die Schüler sich die besten Noten versprechen. Auf Allgemeinbildung und eine möglichst breite Studierfähigkeit achtet dabei kaum noch jemand.
Behler:
Offenbar haben Sie die Diskussionen und Entscheidungen der letzten sechs Jahre im Schulbereich nicht mitbekommen. Es ist längst nicht mehr möglich, alle Fächer beliebig miteinander zu kombinieren. Und was die Qualität des Abiturs angeht - ich werbe seit Jahren dafür, Maßnahmen zur Qualitätssicherung zu entwickeln und setze sie in Nordrhein-Westfalen um. Aber Ihr Modell läuft doch darauf hinaus, dass das Abitur keine Bedeutung mehr hat. Es wäre dann nicht mehr wert als ein beliebiges Zeugnis. Das halte ich für falsch. Es hieße übrigens auch, dass sich die Hochschulen in allen Fächern ihre Studenten selbst aussuchen müssten, nicht mehr nur in den ZVS-Fächern.
Frankenberg:
Natürlich müssen wir auch in Studiengängen, die nicht zentral verteilt werden, die Auswahl den Universitäten überlassen. In Baden-Württemberg tun wir das schon in Fächern mit lokalem Numerus clausus und in den meisten neuen Studiengängen.
UniSPIEGEL:
Nach welchen Kriterien sollten denn die Bewerber ausgesucht werden?
Frankenberg:
Zunächst einmal sollte eine Vorauswahl stattfinden, die sich an den schulischen Leistungen orientiert, bei der aber auch außerschulisches Engagement berücksichtigt werden kann. Wenn jemand Informatik studieren möchte, kann man zum Beispiel schauen, ob er schon praktische Erfahrungen im Computerbereich gesammelt hat. Ein zweites wichtiges Kriterium sollte die Motivation für das Studium sein; der Bewerber sollte sein Studienvorhaben schriftlich begründen können. Und schließlich könnten noch Auswahlgespräche geführt werden.
UniSPIEGEL:
So ein Auswahlverfahren kostet Zeit, Geld und Arbeitskraft. Wie sollen die Hochschulen das leisten? Bekommen sie zusätzliche Mittel?
Frankenberg:
Nach der gegenwärtigen Rechtslage kann dieses Verfahren ja nicht überall angewendet werden, weil wir an vielen Universitäten gar keinen Bewerber-Überhang haben. Alle Professoren in Baden-Württemberg, die schon Erfahrung mit der Selbstauswahl haben, sagen mir aber, dass sich der Aufwand lohnt. Auch wenn sie keine zusätzliche Unterstützung bekommen.
Behler:
Dann ist es für mich aber völlig unverständlich, dass so wenig Hochschulen die Möglichkeit der Selbstauswahl nutzen. So interessant kann das offenbar nicht sein, denn die Zahl derjenigen, die auf die ZVS zurückgreifen, ist im Laufe der letzten drei Semester gestiegen.
Frankenberg:
Das liegt an der derzeitigen Regelung, nach der man nur 20 Prozent der Studenten selbst aussuchen darf. Wir haben in Baden-Württemberg eine 40-prozentige Selbstauswahl, und zwar eine vorrangige. Die wird von den Hochschulen sehr wohl in Anspruch genommen. Die Hochschulen wollen allerdings nicht, dass jemand, den sie selbst abweisen, trotzdem einen Studienplatz bei ihnen zugewiesen bekommt - und das ist nach dem ZVS-Verfahren im Moment möglich.
UniSPIEGEL:
Was soll mit jemandem passieren, der das Abitur bestanden hat, aber von allen Unis abgelehnt wird, bei denen er sich bewirbt?
Frankenberg:
Es wird natürlich Bewerber geben, die an ihrem Studienwunsch festhalten, auch wenn sie abgelehnt worden sind. Deshalb können wir die ZVS auch nicht völlig abschaffen. Für diejenigen, die noch keinen Platz gefunden haben, könnte sie freie Studienplätze suchen. Die Spitzenhochschulen, die auch heute schon besonders gefragt sind, werden dann allerdings dicht sein.
Behler:
Ich halte viel vom Wettbewerb zwischen den Hochschulen, der ist ganz unverzichtbar. Aber er muss zu einer beständigen Verbesserung der Qualität führen. So wie Sie es angehen, Herr Frankenberg, werden wir wie in den angelsächsischen Ländern einige wenige Spitzenhochschulen haben, und der Rest wird immer schlechter. Das ist doch die logische Konsequenz.
UniSPIEGEL:
Herr Frankenberg, würden Aufnahmeprüfungen und Eingangstests nicht die jungen Menschen abschrecken, die aus nichtakademischen Elternhäusern kommen?
Frankenberg:
Das glaube ich nicht, denn unabhängig vom Elternhaus haben ja alle Abiturienten eine ähnliche Schulbildung mit Tests und Prüfungen hinter sich.
Behler:
Es liegt doch auf der Hand, dass Ihr Modell soziale Ungleichheiten beim Zugang zur Hochschule verschärft. Wer von zu Hause aus finanziell nicht so gut ausgestattet ist, kann nicht so leicht an jeden beliebigen Studienort ziehen. Ihr Programm begünstigt eine bestimmte Gruppe von Studierenden aus dem bildungsbürgerlichen Milieu und führt zu einer Reduzierung der Bildungsbeteiligung unterer sozialer Schichten.
UniSPIEGEL:
Frau Behler, was halten Sie von der Position des niedersächsischen Wissenschaftsministers Thomas Oppermann, auch ein Sozialdemokrat, der in der Frage der Auswahl eher auf der Seite von Herrn Frankenberg steht?
Behler:
Er ist ja auch bei den Studiengebühren eher auf der Seite von Herrn Frankenberg, was uns so manche Gelegenheit zur Auseinandersetzung gibt. Unter den sozialdemokratischen Ministern aber ist er eine Ausnahme. Im Ziel sind wir uns einig: Wir müssen unser Hochschulsystem leistungsorientierter gestalten. Aber wir müssen zugleich den Zugang für alle offen halten und dürfen nicht zusätzliche soziale oder psychologische Barrieren aufbauen.
Frankenberg:
Wird denn die Selbstauswahl wirklich eine soziale Barriere darstellen? Ich glaube, die soziale Barriere kann nicht die ZVS beseitigen. Die müsste durch ein System beseitigt werden, welches das Bafög ersetzt und den sozial Schwächeren ausreichend Mittel zum Lebensunterhalt während des Studiums zur Verfügung stellt.
UniSPIEGEL:
Herr Frankenberg, werden Sie oder Ihr Ministerpräsident den Staatsvertrag über die ZVS zum nächstmöglichen Termin kündigen?
Frankenberg:
So ist es in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen, und daran werden wir uns halten.
UniSPIEGEL:
Was geschieht dann, Frau Behler?
Behler:
Eine solche Aufkündigung muss ja anschließend in allen anderen Ländern ratifiziert werden. Herr Frankenberg wird keine politische Mehrheit für seinen Weg bekommen.
Das Gespräch führten die Redakteure Julia Koch und Joachim Mohr.
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Peter Frankenberg
war Professor für Geografie und von 1994 an Rektor der Uni Mannheim. Seit Juni 2001 ist der 54-jährige Christdemokrat baden-württembergischer Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst.
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Gabriele Behler
studierte in Münster Germanistik und Geschichte. Seit 1995 ist die 50-jährige Sozialdemokratin Ministerin für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen, seit 1998 auch für Wissenschaft und Forschung.