Berufseinstieg als Psychologin »Ich dachte, ich ertrage das nicht«

Die Arbeit mit Menschen in Krisensituationen kann belasten – aber auch erfüllen (Symbolbild)
Foto: Oscar Wong / Moment RF / Getty ImagesDer Start ins Arbeitsleben ist aufregend, anstrengend – und oft ganz anders als geplant. In der Serie »Mein erstes Jahr im Job« erzählen Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger, wie sie diese Zeit erlebt haben. Diesmal: Felicitas*, 26, hat Psychologie studiert und arbeitet jetzt in einer Jugend- und Familienberatungsstelle.
Alle bisherigen Folgen von »Mein erstes Jahr im Job« finden Sie auf unserer Serienseite. Sie haben Ihren Berufseinstieg selbst gerade hinter sich und möchten uns davon erzählen? Dann schreiben Sie uns an SPIEGEL-Start@spiegel.de.
»Ins Psychologiestudium bin ich mit dem klaren Vorsatz gegangen, niemals Therapeutin zu werden. Ich konnte mich schon immer gut in meine Mitmenschen hineinfühlen; wenn es anderen schlecht geht, leide ich mit. Deshalb war ich überzeugt, dass ich für einen beratenden Job nicht geeignet wäre: Ich hatte Angst, dass mir die Schicksale der Klientinnen und Klienten zu nahegehen würden. Ich dachte, ich ertrage das nicht.
Bei meiner Arbeit in einer städtischen Familienberatungsstelle begegne ich nun jeden Tag Menschen, die unter unterschiedlich starkem seelischem Druck stehen; die mit Suizidgedanken kämpfen oder deren Ehe gescheitert ist. Doch ich habe gelernt, dass mein Einfühlungsvermögen dabei kein Hindernis ist, sondern eine Stärke.
Psychologin in einer Beratungsstelle
Unsere Beratungsstelle richtet sich an Eltern, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis etwa 27 Jahre, die Unterstützung suchen. Wir bieten ihnen keine Psychotherapie, sondern – je nach Bedarf – eine flexible Anzahl von freiwilligen Beratungsgesprächen. Der Inhalt der Beratungen variiert: Häufiger kommen Eltern zu uns, die unter Stress stehen, sich Sorgen um ihre Kinder machen oder mit dem Ex-Partner streiten. Jugendliche oder junge Erwachsene wenden sich zum Beispiel an uns, weil sie Sorgen in der Schule haben oder es häufig Konflikte zu Hause gibt.
In der Beratungsstelle bekomme ich ein Tarifgehalt von monatlich etwa 4000 Euro brutto bei einer 39-Stunden-Woche. In der freien Wirtschaft könnte ich als Psychologin vermutlich deutlich mehr verdienen. Allerdings war ich schon froh, wenige Monate nach meinem Abschluss eine Stelle gefunden zu haben, bei der ich direkt Geld verdiene – während Kommilitoninnen, die Therapeutin werden wollen, zunächst oft nur ein winziges Ausbildungsgehalt bekommen.
Mein beruflicher Werdegang verlief ziemlich geradlinig. Nach dem Abitur fing ich an, Psychologie zu studieren, erst den Bachelor, dann einen Master. Zu Beginn meines Studiums wollte ich unbedingt in die Neuropsychologie, das ist eine Schnittstelle zwischen Medizin und Psychologie und primär ein Forschungsbereich. Überhaupt ist der Studiengang Psychologie an den meisten deutschen Unis stark forschungslastig aufgebaut. Meine Kommilitoninnen und ich lernten vor allem, Studien kritisch zu hinterfragen und auseinanderzunehmen.
In den höheren Semestern hatten wir dann auch Seminare zu Gesprächsführung oder klinischer Psychologie, wo wir verschiedene psychische Erkrankungen und unterschiedliche therapeutischen Ansätze kennenlernten. Außerdem absolvierte ich Praktika und arbeitete in Projekten an der Universität mit, bei denen ich unter anderem mit Kindern mit Lernstörungen oder ADHS zu tun hatte. Langsam änderte sich mein Vorsatz. Denn ich merkte erneut, dass ich sehr gut darin bin, Mitgefühl zu transportieren – dass es mir aber ebenso gut gelingt, nicht in diesem Gefühl verhaftet zu bleiben, sondern gemeinsam mit der anderen Person eine Lösung zu finden.
Begleiten statt befehlen
Das ist eines der größten Missverständnisse über Psychologinnen: dass wir vor unseren Patienten als Expertinnen auftreten, die sagen, wo es langgeht. Tatsächlich arbeitet in unserem Bereich fast niemand mehr so. Ich sehe mich vielmehr als Begleiterin, die Menschen hilft, einen Weg aus ihrer schwierigen Situation zu finden. Nicht indem ich Ansagen mache, sondern indem ich in Zusammenarbeit mit dem Klienten herausfinde, welche Ressourcen, Stärken und Ideen er ohnehin hat und wie man sie nutzen kann.
In der Arbeit mit Klientinnen oder Klienten ist es unerlässlich, eine Balance zu finden zwischen Abstand und Nähe. Ist man zur sehr auf Distanz, fühlt sich der Mensch, der vor einem sitzt, nicht mehr aufgehoben. Fühlt man als Psychologin zu sehr mit, verfällt man schnell in eine Problem-Trance, in der beide den Horizont nicht mehr sehen. Mein erstes Berufsjahr hat mir gezeigt, dass ich diese Herausforderung sehr gut meistern kann.
Trotzdem gibt es manchmal Fälle, die mir nachhängen, und die auch nach der Arbeit in meinem Kopf auftauchen. Doch ich habe das Glück, in einem Team mit tollen Kolleginnen zu arbeiten, die genau in solchen Momenten für mich da sind und mit denen ich mich über besonders belastende Fälle austauschen kann. Außerdem haben wir wöchentliche Team-Interventionen, in denen wir schwierige Fälle besprechen. Einmal im Monat kommen zudem externe Supervisoren zu uns, mit denen wir die seelische Last teilen können.
Der Altersunterschied
Auch eine weitere Sorge hat sich als unbegründet erwiesen: In meinem Vorstellungsgespräch hatten mich meine Vorgesetzten noch gewarnt, dass ich mit meinen damals 25 Jahren manchmal Schwierigkeiten haben könnte, von Eltern ernst genommen zu werden. Ich selbst habe keine Kinder, und manchmal trauen Klienten wesentlich jüngeren, kinderlosen Beratern wohl nicht zu, ihre Anliegen wirklich zu verstehen.
Doch auch da hilft es, sich immer vor Augen zu führen, was meine Rolle in diesen Gesprächen ist: Ich sage niemandem, was er tun soll. Ich höre zu, stelle Fragen und begegne den Klientinnen auf Augenhöhe. So kann ich zu ihnen vordringen, auch wenn sich ihr Leben deutlich von meinem unterscheidet.
Insgesamt bin ich sehr glücklich über meine Arbeitsstelle. Das liegt an den Kolleginnen, aber auch an den vielen Freiheiten, die wir hier haben: Wir können die unterschiedlichsten Anliegen besprechen, und zwar so lange, wie wir es für nötig halten. Außerdem ist ein großer Vorteil, dass unsere Beratungen ein freiwilliges Angebot sind. Abgesehen von ein paar Ausnahmefällen kommen Menschen zu uns, weil sie selbst Hilfe wollen. Man muss deshalb nicht so sehr gegen Widerstände ankämpfen wie beispielsweise bei der Arbeit im Jugendamt.
Mein Ziel war immer, nach dem Studium einen Job zu finden, bei dem ich meine Fähigkeiten bestmöglich einsetzen kann, um Menschen zu helfen. Jetzt weiß ich, was diese Fähigkeiten sind – und habe das Gefühl, dass meine Arbeit wirklich etwas bewirkt.«
Um in Deutschland Psychologin zu werden, muss man studieren. Seit der Bologna-Reform ist das Psychologie-Studium im Bachelor- und Mastersystem organisiert. Ein Master ist in vielen Fällen notwendig, beispielsweise wenn man die Ausbildung zur Psychotherapeutin anschließen möchte. Neben dem reinen Psychologie-Studium gibt es auch Schwerpunkt-Studiengänge wie Sozialpsychologie oder Arbeits- und Organisationspsychologie.
Die Studienplätze in Psychologie sind sehr begehrt, deshalb gibt es an vielen Hochschulen einen Numerus Clausus (NC); einige Hochschulen haben zudem eigene Auswahlverfahren. Gute Englischkenntnisse sowie Fähigkeiten in Mathematik, Statistik, Biologie und Chemie werden Bewerbenden ebenso empfohlen wie die Bereitschaft, mit Menschen zu arbeiten. Einen Überblick über Studiengänge und Zulassungsbedingungen gibt es hier.
Hat man einen Studienplatz ergattert, lernt man die unterschiedlichen Teildisziplinen der Psychologie kennen, etwa Entwicklungs- oder Sozialpsychologie. Psychologie ist ein interdisziplinärer Studiengang, der natur-, geistes- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse vereint. Die Grundlage ist stets das empirisch-wissenschaftliche Arbeiten, also die Beschäftigung mit und Durchführung von Beobachtungen oder Experimenten. Außerdem absolvieren Psychologie-Studierende für gewöhnlich eine Reihe von Praktika, etwa in medizinischen oder sozialen Einrichtungen.
Nach dem Studium können Psychologinnen und Psychologen zum Beispiel als psychologischer Berater oder – nach Abschluss der entsprechenden Zusatzausbildung – als Psychotherapeutin arbeiten. Auch eine Beschäftigung im Personalwesen, der Weiterbildung oder in Marktforschungsinstituten ist möglich.
*Die Protagonistin möchte anonym bleiben, ihr Name ist der Redaktion bekannt.