Schwanger mit Freundschaft Plus »Uns gibt es nur als Familie«

Freundschaft plus Baby: Was, wenn die Unverbindlichkeit ein jähes Ende nimmt? (Symbolbild)
Foto: Alexander Grumeth / EyeEm / Getty ImagesMaria*, 28, erzählt: »Als ich Arvid* vor acht Jahren traf, war es Freundschaft auf den ersten Blick. Wir lernten uns während des Studiums in Berlin kennen und verstanden uns sofort. Unsere Wohnungen waren bloß 500 Meter voneinander entfernt. Mal hatten wir häufiger Kontakt, mal seltener.
Im September 2019 traf ich ihn zufällig auf einer Party. Ein paar Monate zuvor hatte ich mich von meiner damaligen Freundin getrennt, der Liebeskummer tat immer noch weh. Ich hatte nicht vor, schon wieder etwas Neues anzufangen. Aber das Gespräch mit Arvid machte Spaß, zum ersten Mal seit Langem wollte ich wirklich wissen, was im Leben meines Gegenübers los war.
Freundschaft Plus
Nach diesem Abend sahen wir uns wieder öfter. Aus den Umarmungen zur Begrüßung und zum Abschied wurden Küsse, irgendwann schliefen wir miteinander. Wir redeten nie darüber, was das zwischen uns war.
Maria
Für eine feste Beziehung fühlte ich mich noch nicht bereit. Eigentlich wusste ich nicht einmal, ob ich mit einer Frau oder mit einem Mann zusammen sein wollte.
Einmal gingen wir in einem Restaurant zusammen essen. Das kam mir total seltsam vor. Sonst immer Döner, jetzt etwas, das sich anfühlte wie ein Date. Wir machten Witze darüber.
»Friends with benefits«, »Mingles« oder »Freundschaft Plus« – sexuelle Beziehungen unter guten Freunden bringen keine partnerschaftliche Verpflichtung der anderen Person gegenüber mit sich, aber mehr Vertrauen als ein One-Night-Stand. In einer Umfrage von 2018 gaben vor allem 18- bis 24-Jährige an, dass sie eine sexuelle Beziehung unter Freunden in Ordnung finden.
Mein Job forderte mich in dieser Zeit sehr, sowohl psychisch als auch körperlich. Ich arbeitete als verdeckte Ermittlerin bei der Kriminalpolizei und wechselte gerade die Abteilung. Ich hatte verrückte Arbeitszeiten, schlief unregelmäßig. Als meine Periode ausblieb, wunderte ich mich nicht – das kannte ich aus stressigen Zeiten.
Plötzlich schwanger
Als ich meine Tage nach zwei Monaten immer noch nicht bekam, ging ich zum Arzt. Arvid und ich schliefen zu dem Zeitpunkt seit etwa drei Monaten miteinander. Als der Arzt mich fragte, ob ich vielleicht schwanger sei, war mein erster Gedanke trotzdem: schwanger? Von wem denn?
Maria
Als der Arzt mir den positiven Test zeigte, war ich geschockt. Er machte einen Ultraschall. Das Bild haute mich um: Ich sah ein Wesen in menschlicher Form, das aussah, als würde es am Daumen lutschen. Ich war seit zehn Wochen schwanger.
Der Arzt merkte wohl, dass ich überfordert war. Er ließ mich noch eine halbe Stunde auf einer Liege liegen. Und er sagte, falls ich über eine Abtreibung nachdenke, könne ich zu ihm kommen.
Abtreibungen sind in Deutschland grundsätzlich nur bis zur vierzehnten Schwangerschaftswoche möglich. Wenn ein medizinisch schwerwiegender Grund vorliegt ist ein Abbruch auch danach möglich .
Entscheidet sich eine Frau für den Eingriff, muss sie zuvor eine staatlich anerkannte Beratungsstelle wie zum Beispiel die von profamilia besuchen. Erst dann darf sie mit einer Beratungsbescheinigung zu einem Arzt, der den Eingriff durchführt. Seit 2019 gibt es eine offizielle Liste der Bundesärztekammer, in der sich deutschlandweit alle Ärztinnen eintragen lassen können, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Nachdem ich die Praxis verlassen hatte, schrieb ich eine SMS an meinen Chef, dass ich drei Tage lang nicht arbeiten könne. Dann kaufte ich noch drei Schwangerschaftstests, obwohl ich den Embryo schon gesehen hatte, und schloss mich in meiner Wohnung ein. Es war, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen. Da sollte ein Kind in mir sein? Aber ich spürte doch gar nichts!
Ich weinte um mein altes Leben. Es fühlte sich an, als würde ich meine Selbstbestimmung verlieren. Ich versuchte, über eine Abtreibung nachzudenken, aber merkte schnell, dass ich das nicht wollte. Das Kind in mir kann nichts dafür, dass ich mein Leben nicht im Griff habe, sagte ich mir. Ich würde es bekommen.
Welche Rolle soll der Vater spielen?
Dass Arvid der Vater war, daran bestand kein Zweifel. Dennoch war er bei meinen Überlegungen, wenn überhaupt, nur eine Nebenfigur. Es fühlte sich nicht so an, als würde meine Schwangerschaft uns beide betreffen. Es war schließlich mein Körper, meine Zukunft und mein Leben, um das es hier ging.
Arvid versuchte währenddessen immer wieder, mich zu erreichen, aber ich reagierte nicht. Nach den drei Tagen schrieb ich ihm, dass wir reden müssten, und fuhr zu ihm. Ich hatte wenig geschlafen und kaum gegessen. Als ich ihn in der Tür stehen sah, platzte es aus mir heraus: Ich bin schwanger.
Noch im Türrahmen sagte er, dass er das Kind mit mir bekommen würde. Aber dass es mein Körper sei und ich entscheiden solle, ob ich es möchte. Er sagte, er wolle mich nicht in ein Familienmodell drängen, aber er würde sich freuen, wenn wir uns das Sorgerecht teilen würden. Er fragte, ob ich mit ihm zusammenleben will.
Seine sichere und reife Reaktion traf mich völlig unerwartet. Arvid schien keine Sekunde zu zweifeln.
Ich war unglaublich erleichtert. Ja, ich hatte ohnehin beschlossen, das Kind zu bekommen. Trotzdem hatte ich Angst gehabt. Wie sollte ich das alles schaffen, wer würde mir zur Seite stehen? Jetzt wusste ich, dass diese Person Arvid war.
Die Turbofamilie
Was folgte, war ein Raketenstart in eine Beziehung. Wir suchten eine gemeinsame Wohnung, drei Monate vor dem Geburtstermin zogen wir ein. Wir hatten zwar schon einiges gemeinsam erlebt, merkten in dieser Zeit aber auch, dass uns etwas fehlte. Die Zeit, in der man frisch verliebt ist – das wurde alles durch diese Monster-Erwachsenen-Nachricht übertönt. Im August wurde unser Sohn geboren.
Arvid war bei der Geburt dabei. Rückblickend glaube ich, dass ich dafür noch nicht bereit war. Ich fühlte mich bei der Geburt schrecklich hilflos und schäme mich dafür noch immer vor ihm. Er hat mich im schwächsten Moment meines Lebens erlebt, ich kenne ihn nur als starken Mann. Das finde ich in einer gleichwertigen Beziehung problematisch.
Auch sonst merke ich manchmal noch, dass wir nicht aus einer Beziehung heraus eine Familie gegründet haben. Wir müssen mehr kommunizieren als andere Paare, weil wir uns noch gar nicht so gut kennen.
Andererseits hat unsere Situation auch Vorteile. Bei uns gibt es kein: Früher war das aber ganz anders. Uns gibt es nur als Familie. Das ist ein schönes Fundament, finde ich.
Wenn ich unsere Geschichte so erzähle, klingt sie fast wie ein Film. Manche meiner Freunde sind immer noch überrascht, wie schnell es mit unserer Familie ging. Manchmal finde ich es auch selbst ein bisschen krass. Aber irgendwie hat einfach alles gepasst. Manchmal ist das so im Leben.
Wenn ich nicht schwanger geworden wäre, wären wir heute vielleicht kein Paar. Nicht weil ich es nicht schön finde mit Arvid, sondern weil ich überhaupt nicht auf eine feste Beziehung aus war. Ein gemeinsames Kind ist aber natürlich keine Garantie dafür, dass eine Beziehung funktioniert. Wenn wir uns einfach nicht verstehen würden, würde auch kein Baby helfen.«
Gute Anlaufstellen sind profamilia oder die Hilfsangebote der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend .
*Hinweis: Die Personen in dieser Geschichte wollen unerkannt bleiben. Deshalb werden sie bei ihrem Zweitnamen genannt.