Mein Dozent belästigt mich – was tun?

Wie du reagieren kannst und wo du an der Uni Hilfe findest
Von Korinna Kurze
Foto: Andrey Popov / Imago

Dieser Beitrag wurde am 09.02.2020 auf bento.de veröffentlicht.

Studierende sind von ihren Professorinnen und Dozenten abhängig – von ihrer Benotung, ihrer Gunst (SPIEGEL).

Doch was, wenn eine Lehrperson eine Studentin oder einen Studenten belästigt?

Egal, ob es nur um eine vermeintlich harmlose Anmache geht oder dir jemand körperlich zu nahe kommt: Wenn du es nicht willst, ist es unangenehm und falsch.

"Von sexueller Belästigung sind alle Geschlechter betroffen, also sowohl weibliche als auch männliche und trans*- sowie intergeschlechtliche Menschen", heißt es in einem Gutachten zu sexueller Belästigung im Hochschulkontext  der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die meisten Betroffenen sind Frauen, da sind sich Expertinnen und Forscher einig. Doch gerade bei Männern wird eine hohe Dunkelziffer vermutet.

Genaue Zahlen sind schwer zu erheben: Viele Studierende melden die Situation nicht, sondern weichen dem Problem aus, indem sie das Seminar oder gar die Uni wechseln.

Aber was, wenn ein Wechsel nicht möglich ist? Wenn das Seminar zum Beispiel verpflichtend ist und nur dieser Dozent es anbietet? Und überhaupt: Warum muss denn die Betroffene oder der Betroffene die Person sein, die Konsequenzen zieht?

Wie kann ich reagieren, wenn mich der Dozent an der Uni belästigt?

Campus Coach

In der ersten Woche deines Studiums, der Orientierungswoche, lernst du allerlei Nützliches: Wie du deinen Stundenplan zusammenstellst, wo die Mensa ist oder wie du dir Bücher in der Bibliothek ausleihst. 

Am Campus findest du dich schnell zurecht, aber dann warten erst die richtigen Herausforderungen auf dich: Wie löst du Konflikte mit Dozentinnen oder Kommilitonen? Wie motivierst du dich über mehrere Wochen für die Hausarbeit? 

Wir unterstützen dich in deinem Studien-Alltag und reden mit Expertinnen und Experten über Tipps für jede noch so verfahrene Situation an der Uni.

Darüber haben wir mit zwei Expertinnen gesprochen:

  • Ursel Gerdes ist Beraterin bei der Arbeitsstelle gegen Diskriminierung und Gewalt an der Uni Bremen . Sie berät seit 26 Jahren Beschäftigte und Studierende der Uni Bremen, die sexuelle Belästigung oder andere diskriminierende Erfahrungen im Hochschulkontext gemacht haben.
  • Navina Nicke ist Türsteherin in Hamburg und aktiv bei Safe Night e.V. , einem Verein, der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Partyszene im Umgang mit Sexismus und sexualisierter Gewalt schult und Awareness-Teams auf Partys organisiert. Als Türsteherin weiß sie, wie man deeskalierend reagiert – und wie, wenn das nicht mehr geht.

Zwei wichtige Gedanken vorweg

1 Du bist nicht schuld!

Viele Betroffene suchen die Schuld bei sich: Habe ich etwas gesagt, was als Flirten missverstanden werden kann? Bin ich zu aufreizend angezogen? Wirke ich schwach?

"Der Kontakt zwischen lehrender und lernender Person ist hierarchisch. Lehrpersonen müssen sich dem Machtgefälle bewusst sein und damit verantwortungsvoll umgehen, Näheangebote zurückweisen und ihre Position nicht missbrauchen", betont Ursel. Und auch Navina ist es wichtig, dass Betroffene sich aus der Verantwortung nehmen. Belästigung habe ausschließlich mit dem Täter oder der Täterin zu tun, nicht mit den Opfern: "Selbst wenn du das Büro nackt betrittst, ist das noch keine Rechtfertigung, sich unangemessen zu verhalten."

Weder bist du schwach – noch schuld. "Unsere Gesellschaft neigt leider noch immer dazu, gerade Frauen zu unterteilen in 'die, denen so etwas passiert' und 'die, denen so etwas nicht passiert'. Es kann jedem und jeder passieren", sagt Ursel. 

2 Du bist nicht allein.

"Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich immens", sagt Ursel. Doch viel zu wenige reden darüber. Statistische Untersuchungen und die Beratungsstatistik aus ihrer eigenen Arbeit zeigen, dass sexuelle Belästigungen und Gewalt eine "erschreckend normale" Erfahrung an Hochschulen seien, insbesondere für Frauen und LGBTQ-Personen, aber auch für Männer, denen "Unmännlichkeit" oder Homosexualität zugeschrieben werden. Diese Menschen machen laut Ursel Erfahrungen mit körperlicher Distanzlosigkeit und unpassenden Bemerkungen, bis hin zu rassistischen Kommentaren gegenüber People of Color ("so schön exotisch").

So kannst du reagieren

Konkrete Handlungsempfehlungen kann man nur sehr schwer geben. Sowohl Ursel als auch Navina betonen, dass es kein Richtig oder Falsch gibt. Du kannst in so einem Moment nur reagieren, wie es dir in der Situation möglich ist. 

Die meisten haben in so einer Situation Angst: Angst um die eigene körperliche Unversehrtheit, aber auch Angst um das bisher gute Verhältnis mit dem Lehrenden und vor den Folgen, die aus der neuen Ebene entstehen. "Angst bewirkt ein Vermeidungsverhalten", sagt Navina. Das heißt, es stehen einem eigentlich gar keine spontanen Reaktionen zur Verfügung: "Wenn du erst mal unter Schock stehst und alle Schlagfertigkeit verflogen ist, dann ist das vollkommen normal und nichts, wofür du dich schämen musst", betont sie. Die einzige Person, die sich hier falsch verhält, ist die distanzlose Lehrperson, die dir ein ungutes Gefühl gibt. 

Darum sind diese Punkte nicht als "Muss" oder "Hätt' ich doch" zu verstehen – sondern als Denkanstöße für verschiedene Situationen.

a Auf Distanz gehen

Scheinbar unschuldige Berührungen am Arm, an der Schulter. Persönliche Komplimente, die dich verlegen machen. Nicht eindeutig, ja. Trotzdem ist da dieses Gefühl. Und ein ungutes Gefühl komme in solchen Momenten oft nicht ohne Grund auf, sagt Navina: "Meistens hat es eine Grundlage, weil die Betroffenen schon vorher unterbewusst wahrgenommen haben, dass irgendetwas anders ist."

In dem Moment könne man auf Distanz gehen und zum Beispiel freundlich darauf hinweisen, dass man nicht gerne berührt werden möchte, rät Ursel.

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b Arbeit und Privates trennen

"Wir können das Thema auch bei einem Abendessen besprechen": Wenn es um deutlichere Signale geht, rät Ursel dazu, klar zu machen, dass du die Ebenen nicht vermischen willst. Du kannst dich zwar erst einmal für die Einladung bedanken, aber dann zum Beispiel betonen, dass du ungern eine Arbeitsbesprechung in den privaten Bereich verlegen möchtest und dich lieber weiterhin im Hochschulkontext austauschst.

c Dem Täter sein Verhalten aufzeigen

Deine Dozentin oder dein Dozent zeigt deutliches Interesse, bedrängt dich vielleicht sogar körperlich. Aus ihren Club-Erfahrungen als Türsteherin rät Navina vor allem dazu, stark zu bleiben – oder zumindest so zu wirken. Den Blick halten, fest am Boden stehen und dem Gegenüber sein Verhalten aufzeigen und ansprechen: "Ihre Hand liegt auf meiner Hüfte." Eine Hand liege nie aus Versehen auf der Hüfte eines anderen Menschen. Dass man das weiß, könne man dem Täter so zeigen. Vielleicht fühle er sich dadurch ertappt, sagt Navina. Das Verhalten könne so begrenzt und beendet werden.

Ursel rät, das Interesse klar zurückzuweisen. Wenn es daraufhin eine schwierige Reaktion gibt, versuche das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden und zu gehen.

Bei entsprechenden Ansprechpartnern und Ansprechpartnerinnen in der Hochschule kannst du klären, wie du weiter mit der Situation umgehen kannst und willst und welche Unterstützung es dafür an der Hochschule gibt.

Hier findest du Hilfe

Zum Teil versuchen Außenstehende, Sexismus zu bagatellisieren. Selbst Betroffene spielen das Thema manchmal runter. Aber wenn jemand dich bedrängt und so dafür sorgt, dass du dich an deinem Arbeitsplatz, der Uni, nicht mehr wohl fühlst, dann ist das keine Bagatelle.

An vielen Hochschulen gibt es inzwischen Antidiskriminierungsstellen, zum Beispiel an der Uni Lübeck , der Uni Frankfurt  oder der Uni Marburg . Dort werden Beratungsgespräche angeboten und du kannst offizielle Beschwerden einreichen. "Leider sind diese Stellen häufig nicht sehr bekannt und auch zu gering ausgestattet, um ausreichend Öffentlichkeitsarbeit zu ihren Angeboten zu machen, sodass viele gar nicht wissen, dass es an ihrer Hochschule welche gibt", sagt Ursel von der Beratungsstelle ADE der Uni Bremen .

Wenn es eine solche Einrichtung an deiner Hochschule nicht gibt, rät sie, sich an die Frauenbeauftragten, Studierendenberatungen oder psychosoziale Beratungsstellen zu wenden. Auch Vertreterinnen und Vertreter im AStA oder andere Interessenvertretungen der Studierenden können wichtige Ansprechpartner sein.

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