Silvester im Shutdown »Selbst gewählte Einsamkeit hat einen besonderen Geschmack«

Hat schon vor Corona allein Silvester gefeiert: Sebastian Hotz alias »El Hotzo«
Foto:Diana Pfammatter
SPIEGEL: Wegen der Corona-Pandemie fallen große Silvesterpartys dieses Jahr aus. Herr Hotz, für Sie ist das nichts Neues: Auf Instagram offenbarten Sie vor Kurzem, dass Sie schon seit 2018 allein Silvester feiern. Wie kam es dazu?
Hotz: Ich habe keinen tief verwurzelten Freundeskreis in meinem Heimatdorf und hatte auch keinen Bock auf ein komisches Kreisliga-Mannschafts-Besäufnis. Also beschloss ich, allein zu feiern. Nicht bei meinen Eltern, nicht bei irgendwelchen Freunden und nicht auf irgendeiner Silvesterparty, zu der ich mich selbst eingeladen hatte. Ich dachte, das hätte seinen Charme, ich keinen Planungsstress und etwas zu erzählen.
SPIEGEL: Wie war der Jahreswechsel dann wirklich?
Hotz: Er war absolut seltsam. Ich war erst in der Sauna. Dort genoss ich, dass ich schwitzen konnte, ohne verurteilt zu werden, und dass ich nicht der verfallenste Körper war. Es waren Paare da, die wohl ihr erstes Silvester allein verbringen mussten, weil ihre Kinder in irgendwelchen Waldhütten tranken. Außerdem hatte ich mir Essen besorgt, das man normalerweise in Gesellschaft isst: ein Raclette.
Mit Raclette und Champagner, ohne Menschen
SPIEGEL: Haben Sie alle Pfannen genutzt?
Hotz: Das wäre ein abendfüllendes Programm gewesen. Nein, ich hatte nur zwei Pfannen, und mit ihnen saß ich in meiner leeren WG-Küche. Ich aß Unmengen von Käse und Dosengemüse und hörte meinen Nachbarn dabei zu, wie sie richtig viel Spaß hatten. Das hatte ich auch.
SPIEGEL: Nur eben allein – und das war ein schönes Gefühl?
Hotz: Raclette wärmt von innen, danach stieg ich in die heiße Badewanne, die mich von außen aufwärmte, und trank wie im Film Champagner, den teuersten aus dem Discounter. Selbst gewählte Einsamkeit hat eben einen besonderen Geschmack.
SPIEGEL: Eigentlich klingt Einsamkeit bitter.
Hotz: Ich war in meinem Leben schon oft allein. Ausgegrenzt zu sein, das kenne ich – obwohl das meist unfreiwillig war. Das klingt dramatisch, aber ich habe einfach den klassischen Werdegang eines seltsamen Kindes in der Schule durchlaufen, also ohne große Beliebtheit.
SPIEGEL: Sie hatten um Mitternacht, allein in der WG-Küche, also keine trüben Gedanken?
Hotz: Natürlich war mir um zwölf bewusst, dass sich sonst alle gegenseitig in die Arme fallen und ich nur mich habe. In diesem Moment bin ich kurz zerfallen. Gleichzeitig konnte ich mit dieser Abgeschiedenheit meine pubertäre, toxische Schriftsteller-Romantik befriedigen.
SPIEGEL: Mittlerweile haben Sie zwei Solo-Silvester Vorsprung, denn Sie haben auch ins Jahr 2020 allein hineingefeiert. Welche Vorteile hatte das für Sie?
Hotz: Ich musste mir um Mitternacht niemanden zum klischeehaften Küssen suchen, den ich nüchtern betrachtet dann doch lieber nicht geküsst hätte. Und ich hatte am nächsten Tag keinen Schädel, sondern ging freiwillig an die frische Luft. Zwar hatte ich auch in beiden Jahren einen schalen Magen, nach dem ganzen Aldi-Sekt und wegen meiner Laktoseintoleranz, die nach dem Käse zuschlug, aber sonst war alles gut.
Lieber kein Post vom einsamen Silvester
SPIEGEL: Dieses Jahr werden viele allein feiern. Haben Sie Tipps für einen gelungenen Abend?
Hotz: Früh einkaufen gehen, also wenn möglich nicht am Silvestertag. Gerade dieses Jahr. Oder die Konserven aufbrauchen, die man sich im ersten Lockdown angeschafft hat. Es muss sehr warm sein – am besten zur Feier des Tages die Heizung aufdrehen, weil Wärme von außen irgendwann von innen wärmt. Und nicht so viel von dem Abend auf Social Media teilen, weil wir alle ein deprimierendes Silvester haben werden. Einen Einsamkeitspost kann man sich also sparen, das ist dieses Jahr total normal und überhaupt nicht besonders.
SPIEGEL: Haben Sie denn damals Storys von Ihrem ersten Silvesterfest allein gepostet?
Hotz: So sehr wollte ich es den anderen auch nicht auf die Nase binden, dass ich gerade allein in meiner Wohnung feiere. Und ich sage, wie es ist: Nach einem Tag Sauna und gefühlt einem Kilo Käse war mein Gesicht aufgedunsen und für Selfies nicht mehr geeignet.
SPIEGEL: Vergangenes Jahr schrieben Sie auf Twitter: »Ich möchte das ausdrücklich niemandem empfehlen, aber glaube, wenn wir uns deutschlandweit absprechen und gemeinsam mit Böllern auf Omas schießen, wird das Zeug ziemlich schnell verboten.« Das Feuerwerksverbot kam jetzt auch ohne das Abschießen von Großmüttern.
Hotz: Aus dem Böller-Thema lassen sich unglaublich viele Gags ableiten, weil es eine Konzentration des menschlichen Unvernünftigen ist. Es verpestet die Umwelt. Es ist gefährlich. Es ist gut, dass es dieses Jahr verboten ist, denn die Intensivstationen sind genug ausgelastet. Aber ich verstehe die Faszination von Feuer, Explosionen und bin großer Fan der Pyromanie.
SPIEGEL: Ihr Vorschlag damals: Wurst statt Böller auf die Straße werfen.
Hotz: Das wäre tierfreundlicher.
Erzfeinde und besonders gute Freunde
SPIEGEL: Lassen Sie uns über gute Vorsätze sprechen. In diesem Jahr wollten Sie sich einen Erzfeind zulegen. Hat das geklappt?
Hotz: Absolut sicher, ich habe diverse Erzfeinde. Allerdings ausschließlich auf Social Media. Wegen meiner doch recht eindeutigen politischen Positionierung gibt es nicht nur Menschen, die das, was ich sage, uneingeschränkt abfeiern, sondern auch solche, die ihre Kritik in Form von Morddrohungen äußern. Es ist halt das Internet.
SPIEGEL: Und für 2021, haben Sie da auch einen Vorsatz?
Hotz: Das ist ein schlimmes Gefühl, aber 2020 war das beste Jahr meines Lebens. Ich muss nicht mehr beim Bäcker jobben, sondern verdiene mit Buchstaben meine Miete. Im nächsten Jahr möchte ich die Grenze von 280 Zeichen brechen – die Tweets sollen nicht mehr mein einziger geistiger Output bleiben. Und ich habe 2020 Freundschaften vertieft mit Menschen, die ich richtig gern mag, und die nicht nur zufällig in der gleichen Region den gleichen Bildungsweg eingeschlagen haben. Mit diesem Freundeskreis will ich auch 2021 beenden.
SPIEGEL: Überlegen Sie schon dieses Jahr zumindest eine digitale Party mit diesen Freunden zu feiern? Oder lieber noch mal ein einsames Silvester?
Hotz: Ich entscheide mich spontan. Nach neun Monaten Pandemie war ich vor einer Woche bei meiner ersten Zoom-Party. Die war besser als gedacht. Wir waren etwa 20 Leute und spielten ein Song-Quiz, das hat uns, glaube ich, diese komische Chatroom-Atmosphäre erspart. Vor meinem Bildschirm trank ich abwechselnd Bier und Whiskey Sour. Es ist schon komisch, sich allein einen reinzustellen.
SPIEGEL: Kennen Sie dieses Gefühl nicht schon? An Silvester 2018 haben Sie allein Schampus getrunken...
Hotz: …damals habe ich mir absolut keine Gedanken darüber gemacht. Das hilft bei vielen Dingen im Leben.