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leben SPASS MIT SPIESSIG

DER OSTEN WIRD HOT: DIE STUDENTENCLUBS AUS DDR-ZEITEN SIND ZU ANGESAGTEN SZENE-TREFFS MUTIERT.
aus UNI SPIEGEL 5/2001

In Leipzig gibt es einen Schnaps, der heißt 007, und die Regeln besagen, dass er auf ex getrunken werden muss. Das hat einen einfachen Grund: Wer an dem Glas nur nippt, würde garantiert den Rest stehen lassen, eine Entschuldigung murmeln und die Kneipe wechseln. 007 schmeckt, als würde er blind machen.

Macht er aber nicht. 007 ist das Hausgetränk der »Destille«, eines Leipziger Studentenclubs. Traditionell verkehren hier überwiegend Chemiestudenten - und die bringen das nötige Fachwissen mit, um einen Schnaps von einer Körperverletzung unterscheiden zu können.

Das Rezept ist natürlich streng geheim und wird nur von Clubvorsitzendem zu Clubvorsitzendem weitergegeben. 007 dürfte zu 60 bis 70 Prozent aus reinem Alkohol bestehen. Leute, die schon mehr als einen getrunken haben, vermuten außerdem Pfeffer als zweiten Bestandteil.

»Nach einem guten 007«, sagt Immo, derzeitig Hüter der Mischung, »kannst du fünf Minuten lang nicht sprechen.«

Ein Glas kostet zwei Mark. Wer das Doppelte investiert, kann den Abend mit einem veritablen Vollrausch beenden. Vielleicht ist das der Grund, weshalb es den Studentenclub Destille schon seit 25 Jahren gibt. Weder die DDR noch die Wende oder der zwei Jahre dauernde Umbau des Studentenwohnheims, in dem die Destille liegt, konnten dem Club etwas anhaben.

Die Destille zählt zu den ganz kleinen Clubs in Leipzig. Der Verein, der die Destille trägt, hat nur zwölf Mitglieder und Nachwuchssorgen. Zweimal in der Woche wird geöffnet, es gibt keine Disco, keinen Glamour, keine Kulturdarbietung und keine bauchnabelgepiercte Blondine hinter der Theke.

Die Gäste spielen Doppelkopf, nach Destille-eigenen Regeln. Ab und zu veranstaltet der Club einen Liederabend. Dann wird aus dem eigenen Liederbuch gesungen, zum Beispiel »Bella Chemie«, ein selbst verfasstes Stück auf die Melodie von »Griechischer Wein«.

Man kann das spießig finden, und tatsächlich fehlt nur noch die Tischtennisplatte, damit die Destille so wirkt wie ein städtisches Jugendheim aus den siebziger Jahren. Aber der Club vermittelt ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit - und das braucht der studierende Mensch eben manchmal auch.

Hier lebt sie noch, die DDR at its best: miefig, aber gemütlich.

Im Westen gibt es keine Studentenclubs, sie sind eine Erfindung des real existierenden Sozialismus. Der Westen hatte immer schon genügend Kneipen, Kinos, Fachschaftsfeten und Kulturprogramme. Wer es muffig haben will, kann ja in eine Studentenverbindung gehen.

In der DDR sorgte keine industrialisierte Szene-Kultur für die Unterhaltungsbedürfnisse von Studenten. Es war einfach weniger los. Und so kam es, dass in allen ostdeutschen Uni-Städten Studenten und Studentinnen die Dinge selber in die Hand nahmen - zum Teil gefördert von der Uni, zum Teil kritisch beobachtet von der Stasi.

Manche Clubs bestanden nur aus einem größeren Raum im Wohnheim, andere breiteten sich in einer Kneipe aus oder auf dem Uni-Gelände. Es waren Treffpunkte, oft mit Tanzabenden oder Dichterlesungen.

Die Betreiber eines Clubs hatten in der Regel in den anderen Clubs der Stadt den Eintritt frei, mitunter auch die Getränke. Diese Tradition hat sich übrigens weitgehend gehalten.

Allerdings schrumpfte die Clubszene noch schneller als die DDR-Wirtschaft. In Leipzig waren es noch zur Wendezeit 27 Clubs, jetzt sind es 7. Aus der Moritzbastei, dem populärsten Club Leipzigs, ist ein kommerzielles Kulturzentrum geworden mit professionell betriebener Kneipe, Dance-Partys und Musikprogramm. Hier treffen sich die Jungen, Schönen, Tätowierten, Gepiercten. Längst sind es nicht mehr nur Studenten, die hier feiern gehen. Andere Clubs sind schlicht eingegangen. Im Leipziger Nachtleben gibt es genügend Alternativen zum Doppelkopfspiel.

In Greifswald wiederum entstand der heißeste Club erst drei Jahre nach der Wende. Die besten Feten und die beste Musik gibt es nach einhelliger Meinung im Mensaclub, geöffnet fünfmal in der Woche.

Greifswald ist ein ziemlich verschlafenes Örtchen in der Nähe der Ostseeküste, fernab jeglicher akzeptablen Verkehrsanbindung. In Stralsund, dem letzten größeren Bahnhof vor Greifswald, macht ein Schriftzug Reklame für den »Music World Tanzpalast« gleich hinter den Gleisen: »Tanz dir den Wolf«, heisst es da. Und: »Die schärfsten Go-Gos von die ganze Welt.« Was, so fragt sich bang der Reisende, mag hinter Stralsund noch kommen?

»In Greifswald weint man zweimal«, sagt Andrea Born, 23, gebürtige Greifswalderin. »Das erste Mal, wenn man kommt, und das zweite Mal, wenn man Greifswald verlässt.« Das soll wohl heißen, dass Greifswald ein liebenswerter Ort sein kann, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat. Und so ist es auch: die Innenstadt hübsch renoviert, die Uni fast familiär. Bei den Medizinern, so heißt es, hat jeder Student seine eigene Leiche. Wo gibt es das schon?

Die Zahl der Treffpunkte ist - wohlwollend geschätzt - überschaubar. Am Rande des Ortskerns liegt das »Mittendrin«, mit Happy Hour von sieben bis neun. Dazu zwei Kneipen am Marktplatz. Das war's.

Es ist neun Uhr abends, die Straßen sind leer. Der Mensaclub hat seit einer Stunde geöffnet. Vier Gäste sind schon da. Aus den Lautsprechern dröhnt Jimi Hendrix: »There must be some way out of here.« Einer geht, aber der ist betrunken. Die beiden Leute an der Kasse spielen »Vier gewinnt«.

»Vor zehn Uhr sind Studenten nicht unterwegs«, tröstet Silvio. 300 Leute sollen heute Abend kommen, so meint er. Während des Semesters sei es noch voller. Silvio ist 28, studiert BWL und hat 1993 den Club mitgegründet. Kultur wollten sie machen damals, Bands sollten auftreten, Schriftsteller aus ihren Werken lesen. Und natürlich Tanz.

Den gibt es nun zweimal die Woche, Kino läuft ebenfalls zweimal wöchentlich per Videoprojektor. Gezeigt werden Filme aus der Kategorie »Der Pferdeflüsterer«. Das mit den Dichterlesungen, sagt Silvio, habe etwas nachgelassen in letzter Zeit. Die Studenten wollen lieber Party.

Der Club liegt in einem abgeteilten Bereich der Mensa, hat Graffiti an den Wänden, und unter der Decke hängt - wie in Vatis Partykeller - ein Fischernetz. Dadurch wirke der Raum nicht so hoch, erklärt Silvio. Und außerdem sei das gar kein Fischernetz, sondern ein Tarnnetz der Bundeswehr, wie man es über einen Panzer legen kann. Feuerpolizeilich macht das mehr Sinn, es brennt nämlich schlechter.

Auch der Mensaclub wird von einem Verein geführt. Ein Verein kriegt die Räume günstiger als ein Privatveranstalter, er darf laut Vereinsgesetz keine Gewinne machen und kann deshalb alle Einnahmen in weitere Veranstaltungen stecken. Kino und Kultur sind Zuschussgeschäfte.

Die Satzung haben sie größtenteils vom Elternförderverein für einen Kindergarten in der Nähe übernommen. Es wusste ja niemand, wie man einen Verein betreibt.

Legendär ist das erste Konzert im Mensaclub: Mit punkähnlichen Geräuschen verstörten die »Börde-Brothers« ihr Publikum dermaßen, dass die Studenten mit den Papptellern warfen, auf denen die Würstchen serviert wurden.

Später wurde der Wurstverkauf dann eingestellt, nicht wegen der Wurfgeschosse, sondern weil beim Anbieten bierbegleitender Speisen jeder Mitarbeiter ein Gesundheitszeugnis vorlegen muss. Wer ausschließlich auf freiwillige Helfer angewiesen ist, kann das nicht leisten.

Um zehn ist der Mensaclub immer noch leer. Wo bleiben die alle? Die Happy Hour im Mittendrin ist seit einer Stunde vorbei, es gibt keinen Grund, jetzt noch irgendwo anders zu sein.

Der »Club 9«, das ist der mit den angeblich hübschesten Frauen, hat geschlossen. Der Geologenclub auch. Es gibt an einem Donnerstagabend in Greifswald keine andere Chance als die Mensa.

Ab halb elf geht es so langsam los. Der Saal füllt sich. Die zwei Security-Leute, die neben der Kassiererin saßen, als wären sie Wachsfiguren, leben anscheinend doch. Jedenfalls hat sich einer erhoben und blickt streng auf die Schlange vor der Kasse.

Security? Bei einer harmlosen Studentenparty? »Na ja«, sagt Silvio, es gebe in Mecklenburg-Vorpommern ja ein paar Rechte, und da sei es schon mal vorgekommen, dass welche Ärger machen wollten. Deshalb der Sicherheitsdienst. Die Besucher stören sich nicht daran.

Außerdem lehrt die Statistik: »Bei 300 Leuten gibt es eine Schlägerei am Abend, bei 700 drei«, sagt Silvio. Einmal pro Tanzabend kommt der Krankenwagen. Es sind meist Schnittwunden, weil jemand ins Bierglas gefallen ist, nichts Schlimmes. Klingt, als könnte es doch noch nett werden.

Um elf spielt der DJ die Red Hot Chili Peppers. Das ist Mädchenmusik, meint er. Mädchen tanzen immer als Erste.

Kurz danach ist die Tanzfläche voll. An der Bar stehen sie in Zweierreihen. Die Nebelmaschine produziert Nebel. Das Tarnnetz der Bundeswehr sieht auf einmal richtig gut aus. Sauerstoff wird knapp.

Die Musik: rockorientiert, hitorientiert. Nichts wirklich Modernes. »Studenten sind absolut trendverschlossen«, hat Silvio vorher gesagt. »Die wollen die Musik hören, mit der sie aufgewachsen sind: also mindestens fünf Jahre alt.« Ab Mitternacht macht die Party richtig Spaß. Zwei Juristinnen aus Mülheim an der Ruhr schwärmen vor, wie toll Greifswald ist, in der Ecke knutscht ein Pärchen, direkt unter dem Graffito »Kiss drunken Girls«.

Und Silvio sagt: »Wir machen hier anspruchslose Partys für anspruchslose Leute.« Das aber machen sie gut.

Ein paar hundert Kilometer weiter südlich, in Jena, ist das Schauspiel ganz ähnlich: Die ersten paar Stunden erscheinen nur die ganz Unentwegten - oder die, die tatsächlich am nächsten Tag Vorlesung haben und da auch hin wollen. Danach wird gefeiert, als gäbe es kein Morgen mehr.

Es ist, das muss fairerweise gesagt werden, der Tag des Attentats in den USA. Die Mannschaft des Rosenkellers in Jena hat kurz beraten, ob der Tanz stattfinden soll oder nicht. Sie entscheiden sich fürs Öffnen. Wer bis Mitternacht CNN geguckt hat, so das Argument, will danach was anderes haben. Das sind, so stellt sich im Lauf der Nacht heraus, dann doch nicht so viele.

Der Rosenkeller wird professioneller gemanagt als der Mensaclub. Auch hier ist ein Verein der Träger, aber der Verein hat fest angestellte Mitarbeiter, einen Programmchef und einen Geschäftsführer.

Andererseits pflegt der Verein ein klassisches Vereinsleben, mit Weihnachtsfeier und anderen Traditionen. Da wäre zum Beispiel das Ök-Fest, ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten. Ök steht für Ökonomie, das bedeutet, dass einmal im Jahr die erwirtschafteten Überschüsse versoffen werden. Der Rosenkeller ist einer der ältesten Clubs in Ostdeutschland. 1966 wurde er gegründet, damals galt er schnell als Rückzugsmöglichkeit vor der Allgegenwart der Funktionäre.

Dachten die Studenten jedenfalls und veralberten den sozialistischen Studienalltag mit selbst verfassten Liedern und Sketchen.

Doch nichts blieb geheim, die Stasi war Mitglied im Verein. Über dieses dunkle Kapitel gibt es in Jena schon wissenschaftliche Arbeiten.

Heute, nach mehreren Umzügen, hat der Rosenkeller eindeutig die schönste Lokation aller Clubs: Unter der alten Schankstube »Zur Rosen«, einem zentralen Touristenrestaurant mitten in Jena, geht es in ein Kellergewölbe. Die Stufen sind steil, man muss den Kopf einziehen, aber dann erreicht man ein Gewirr von Räumen, in denen man entweder reden, trinken oder tanzen kann. Die Ausgabe von belegten Broten und Kaffee hat sogar ein eigenes Gewölbezimmer.

Die Preise sind moderat: Bier zwei Mark, Jim Beam drei Mark. Die Musik ist dem alten Gemäuer angepasst: dunkler Rocksound, zu dem man am besten ganz in Schwarz gekleidet tanzt.

Etwas verstörend ist nur, dass anscheinend vor dem Rosenkeller eine Lkw-Ladung Henna umgefallen sein muss - anders ist die Häufung rot gefärbter Frauen kaum zu erklären. Auf den ersten Blick scheint der Rosenkeller ziemlich öko-verdächtig.

»Quatsch, Henna«, beruhigt Steffi, die an der Kasse sitzt und natürlich auch rote Haare trägt: »Das ist reine Chemie.« ANSBERT KNEIP

CLUB-STANDORTE

LEIPZIG

Einwohner: 494 000

Studierende: 25 500

Internet: www.uni-leipzig.de

Studentensekretariat: 0341 973 20 00

Zentrale Studienberatung: 0341 973 20 44

Wohnheimplätze: 4700, Zimmerpreise zwischen 200 und 560 Mark, Vermittlung über das Studentenwerk:

www.uni-leipzig.de/~swl/

Semesterticket: 101 Mark

Besondere Studienangebote: Kommunikations- und Medienwissenschaft, Zentralasienwissenschaft (Tibetologie und Mongolistik), Indologie, Arabistik, Ägyptologie

Freizeit: Erzgebirge, Kulkwitzer See, Dresden

Studentenclubs: www.destilleleipzig.de, www.moritzbastei.de

GREIFSWALD

Einwohner: 55 750

Studierende: 7300

Internet: www.uni-greifswald.de

Studentensekretariat: 03834 86 12 81

Zentrale Studienberatung: 03834 86 12 94

Wohnheimplätze: 840, die Zimmer kosten zwischen 230 und 330 Mark und werden über das Studentenwerk vermittelt:

www.uni-greifswald.de/~studwerk/

Semesterticket: nein; Fahrrad als Hauptverkehrsmittel

Besondere Studienangebote: Landschaftsökologie und Naturschutz,

Humanbiologie, Biomathematik,

Skandinavistik, Jüdische Studien

Freizeit: Rügen, Usedom,

Hiddensee, Stettin, Südschweden

Studentenclub: www.mensaclub.de

JENA Einwohner: 99 800

Studierende: 15 200

Internet: www.uni-jena.de

Studentensekretariat: 03641 93 11 00

Zentrale Studienberatung: 03641 93 11 20

Wohnheimplätze: 2850, die Zimmer kosten zwischen 96 und 547 Mark und werden über das Studentenwerk vermittelt: www.uni-jena.de/stw-jenaweimar/

Semesterticket: 59 Mark

Besondere Studienangebote: Islamwissenschaften, Kaukasiologie

Freizeit: Thüringisches Schiefergebirge, Naturpark Saale-Unstrut-Triasland, Weimar

Studentenclub: www.rosenkeller.org

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