Berufseinstieg als Spieleentwicklerin »Meine Großeltern wundern sich, dass ich mit Videogames Geld verdiene«

Spieleentwicklerin Siems: »Ich zocke das Game, an dem ich arbeite, auch selbst«
Foto: InnoGames GmbHDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Start ins Arbeitsleben ist aufregend, anstrengend – und oft ganz anders als geplant. In der Serie »Mein erstes Jahr im Job« erzählen Berufseinsteiger:innen, wie sie diese Zeit erlebt haben. Diesmal: Madita Siems, 20, arbeitet als Softwareentwicklerin für Videospiele.
Alle bisherigen Folgen von »Mein erstes Jahr im Job« finden Sie auf unserer Serienseite. Sie haben Ihren Berufseinstieg selbst gerade hinter sich und möchten davon erzählen? Dann schreiben Sie uns an SPIEGEL-Start@spiegel.de .
»Dass wir Spielentwickler allein im Keller vorm Computer hocken, ist ein Klischee. Gerade arbeite ich zum Beispiel an einem Strategiespiel mit, das ziemlich detailreich ist. Da ist viel Teamarbeit gefragt.
Schon im Informatikunterricht in der Schule habe ich gemerkt, dass mir Coden Spaß bringt. Im Leistungskurs habe ich meine erste Programmiersprache gelernt, Java. In der Ausbildung kamen zwei weitere dazu, C# und Haxe. Wenn man den Dreh einmal raus hat, erschließen sich viele weitere Sprachen fast von allein.
Ich habe mich direkt nach dem Abi auf die Ausbildung bei einem der größten Spielentwicklerstudios in Deutschland beworben, InnoGames. Dort arbeiten etwa 400 Menschen. Bei der Bewerbung musste ich unter anderem kleine Code-Rätsel knacken. Das Vorstellungsgespräch wurde auf Englisch geführt, weil das die Unternehmenssprache ist. In der Gamesbranche arbeiten typischerweise viele internationale Mitarbeitende.
Erst Backend, dann Frontend
Während der Ausbildung bin ich durch mehrere Teams gewandert, erst mal war ich im sogenannten Backend. Das ist der Teil des Spiels, der für den User nicht sichtbar ist. Als Backend-Entwickler kümmert man sich um die richtige Verarbeitung der Daten und darum, dass alles im System fehlerfrei funktioniert. Ich habe aber gemerkt, dass mir die Arbeit im Frontend – also an der Benutzeroberfläche – mehr Spaß macht.
Nach zweieinhalb Jahren Ausbildung bin ich seit Januar 2023 nun hauptberuflich dabei. Meine offizielle Job-Bezeichnung lautet Fachinformatikerin für Anwendungsentwicklung. Einsteiger wie ich verdienen rund 4000 Euro brutto pro Monat. Die Spanne für Junior-Entwickler geht bis 58.000 Euro im Jahr, je nach Vorerfahrung und Aufgabe.
Eine Ausbildung ist ein guter Weg in die Gamesbranche, aber nicht der einzige. Viele meiner Kolleg:innen haben Informatik studiert, oder andere technische oder naturwissenschaftliche Fächer, Chemie zum Beispiel. Auch ein Quereinstieg ist möglich, wenn man eine Leidenschaft für Spiele hat, dazu ein Verständnis für Mathe, abstraktes Vorstellungsvermögen und ein gewisses technisches Verständnis.
Es passiert mir immer wieder, dass Menschen nicht verstehen, was ich in meinem Job genau mache. Wenn ich dann aufkläre, sind viele beeindruckt, was alles hinter einem Spiel steckt. Viele wissen auch nicht, dass die Gamesbranche die weltweit umsatzstärkste aller Unterhaltungsindustrien ist. Meine Großeltern zum Beispiel wundern sich, dass ich mit Videogames Geld verdiene.
Ich zocke das Game, an dem ich arbeite, auch selbst und schaue undercover, was andere Spieler davon halten. In Chats oder Foren gibt es manchmal Kritik oder Lob, das hilft uns sehr dabei, die Abläufe zu verbessern.
Viele arbeiten mit
An der Entwicklung eines Spiels arbeiten viele Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Im ersten Schritt denken sich Gamedesigner die Geschichte aus. Wenn man im Spiel eine Stadt baut, muss man auch Charaktere, Gesetze und eine Währung erfinden. Alle Details müssen logisch aufeinander abgestimmt sein. Dann gibt es noch die Produktmanager: Sie überwachen den gesamten Prozess und schauen auch, dass das Zusammenspiel zwischen Gamedesignern, Entwicklern und Artists funktioniert. Die sogenannten Artists, also Grafikdesigner und UX-Designer zeichnen alles für das Spiel, oft von Hand. Sie haben also einen künstlerischen Hintergrund.
Wir Softwareentwickler schreiben den Code für das, was sich die Gamedesigner ausgedacht haben, zum Beispiel dafür, wie sich die Figuren bewegen oder wie Gebäude platziert werden. Bei dem Strategiespiel kümmere ich mich um die Fenster, die aufploppen, wenn der Spieler oder die Spielerin eine Aufgabe bewältigen muss. Ich sage dem Computer ganz genau, welcher Text dort stehen soll, wie groß ein Knopf ist und was passiert, wenn man auf ihn drückt. Ich sorge also dafür, dass sich die User im Spiel intuitiv bewegen können und die Abläufe funktionieren.
Der Code für das Spiel ist so groß, dass niemand den kompletten Überblick darüber hat. Erst vor ein paar Tagen stand ich kurz vor der Verzweiflung, weil im Backend etwas geändert wurde und ich eine bestimmte Information nicht wiedergefunden habe. Die brauchte ich, um weiter zu programmieren. Ich musste ewig danach suchen, da braucht man schon sehr viel Geduld und Liebe zum Detail.
An einigen Spielentwicklerfirmen auf der ganzen Welt gibt es Kritik wegen zu langer Arbeitszeiten. Gerade in den Monaten vor Veröffentlichung eines Videospiels arbeiten Entwickler teilweise 65 bis 80 Stunde pro Woche. Das wird ›Crunch-Phase‹ genannt, also Phase des Zermalmens. Bei uns gibt es solche Extremphasen nicht. Pro Woche arbeite ich 40 Stunden, wenn ich mal Überstunden mache, kann ich sie schnell wieder ausgleichen.
Meine Hobbys – Zocken und Programmieren – zum Beruf zu machen, das war für mich die beste Entscheidung überhaupt.«
An der Entwicklung eines Videospiels arbeiten mehrere Berufsgruppen mit: Gamedesigner:innen übernehmen den kreativen Teil, entwerfen also die Geschichte hinter dem Spiel. Studiengänge wie »Game Design« oder »Game Development« werden vor allem an privaten Hochschulen angeboten und qualifizieren teils auch für andere Berufe in der Branche.
Softwareentwickler:innen sorgen dann dafür, dass die Visionen der anderen wahr werden. Dafür müssen sie vor allem eines: programmieren können. Das lernt man entweder autodidaktisch, im Informatikstudium oder in einer Ausbildung. Mit Haupt- oder Realschulabschluss dauert die drei Jahre, mit Abitur kann man auf zwei Jahre verkürzen. Häufig werden Vorerfahrungen mit Programmiersprachen und gute Englischkenntnisse vorausgesetzt.
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