Spitzname im Job Für Sie immer noch Leni

Unsere Autorin lässt sich von allen beim Spitznamen nennen - auch von Kollegen. Wird sie deshalb im Büro weniger ernst genommen? Ein SPIEGEL-Best-of-2020-Text.
Autorin Leni (Helene) Flachsenberg: Wirkt ein Kurzname kindlich?

Autorin Leni (Helene) Flachsenberg: Wirkt ein Kurzname kindlich?

Foto: Inken Dworak

He-le-ne. Seit drei Jahrzehnten trage ich diesen Namen, und trotzdem fühlt es sich immer noch fremd an, ihn zu schreiben.

Als Kind war ich die einzige Helene, egal, wo ich hinkam. Helene Fischer ging damals selbst noch zur Schule, andere prominente Helenes gab es nicht, und so sprachen mich meine Mitmenschen grundsätzlich entweder mit "Helena" oder "Helen" an. Also nannte ich mich irgendwann nur noch Leni, das klang ohnehin netter. Im Studium wussten die meisten meiner Freundinnen und Freunde nicht mal mehr, dass das nicht mein richtiger Vorname ist. 

Wie lasse ich mich von den Kollegen nennen?

Auch als ich meinen ersten Job anfing, stellte ich mich ganz selbstverständlich als Leni vor. Im Büro wurde ohnehin geduzt, mein Team war jung und locker, ich verwendete nicht als Einzige einen Spitznamen. Doch irgendwann wurde ich befördert und besuchte ein Führungskräfte-Training. Auf mein Namensschild schrieb ich "Leni", was sonst.

Einen älteren Kollegen irritierte das: "Du heißt Helene – warum um alles in der Welt nennst du dich Leni?" Wenn ich ernst genommen werden wolle, solle ich schleunigst zu meinem vollen Namen zurückkehren, riet er. Eine Abkürzung mit "i" am Ende sei fatal. Als Beweis führte er ein Beispiel aus der Sportwelt an: Der niedliche Name sei schuld, dass nie jemand "Berti" Vogts wirklich ernst genommen habe, während sein Teamkollege Franz Beckenbauer zum "Kaiser" des deutschen Fußballs aufgestiegen sei.

Das Feedback meines Kollegen verunsicherte mich. Habe ich tatsächlich den Punkt verpasst, an dem man seinen Spitznamen abstreifen sollte? Wirkt ein Kurzname kindlich – und ich verliere jegliche Autorität, sobald ich mich als Leni vorstelle?

Die Wirkung von Vornamen

Wie immer suche ich zuerst im Internet nach einer Antwort, dort stoße ich auf eine Studie . Ein Forscherinnenteam der TU Chemnitz hat im Jahr 2007 untersucht, welche Eigenschaften Versuchspersonen mit unterschiedlichen deutschen Vornamen verbinden. Ein Ergebnis: Menschen schätzen aufgrund des Vornamens einer Person, wie alt sie ist. Je jünger sie eine Person einschätzen, für desto attraktiver halten sie sie – und für je attraktiver sie eine Person halten, desto höher schätzen sie ihre Intelligenz ein. Letzteres ist eine Folge des gut erforschten Attraktivitätsstereotyps , demzufolge wir schönen Menschen grundsätzlich positive Eigenschaften zuschreiben.

Was bedeutet dieses Ergebnis für mich? "Leni" klingt eindeutig jünger als "Helene" – immerhin ist die Kurzform derzeit ein beliebter Vorname  bei Unter-5-Jährigen. Habe ich also sogar einen Vorteil, wenn ich im Job meinen Spitznamen verwende – weil mich die Kolleginnen und Kollegen dann für hübsch und fähig halten? Ich frage Udo Rudolph, Professor für Allgemeine und Biopsychologie an der TU Chemnitz, er hat die Vornamen-Studie damals geleitet. 

Doch der holt mich, typisch Wissenschaftler, auf den Boden der Tatsachen zurück. Denn offenbar haben sowohl ich als auch mein älterer Kollege der Wirkung des Vornamens viel zu viel Bedeutung beigemessen.

"Der Name hat allen einschlägigen Befunden zufolge nur dann einen Einfluss darauf, wie eine Person wahrgenommen wird, wenn ansonsten wenige oder gar keine Informationen vorhanden sind", sagt Rudolph. Heißt: Nur in minimalistischen Untersuchungsumgebungen, in denen Versuchspersonen einzelne Namen ohne weiteren Kontext vorgelegt würden, zeigten sich überhaupt Effekte. Und selbst die seien eher gering.

Im wahren Leben hingegen gebe es in der Regel eine Fülle von anderen Informationen, anhand derer wir jemanden beurteilen: Wie ist er gekleidet? Wie spricht sie? Wie selbstsicher tritt er oder sie auf? "Da tritt die Frage, ob Sie Leni oder Helene genannt werden, sehr rasch und sehr weit in den Hintergrund."

Authentisch bleiben

Rudolphs Antwort erleichtert mich. Denn ehrlich gesagt würde ich mich nur ungern von Leni trennen. Der Name gehört zu mir. Helene hingegen fühlt sich merkwürdig förmlich an, als würde ich mit einem Mal einen steifen Anzug tragen, obwohl ich sonst nur in Jeans unterwegs bin.

Auf dieses Gefühl, rät Psychologe Rudolph, dürfe ich ruhig hören. Es komme schließlich nicht nur darauf an, was andere von mir denken, sondern vor allem darauf, dass ich gut über mich selbst denke. Das spiegele sich dann in meinem Auftreten wider – und das wiederum beeinflusse, wie ich auf andere wirke. "Nur wenn für mich selbst wichtige Merkmale von mir – zum Beispiel Name, Kleidung, Verhalten – stimmig sind, kann ich als Person auch für andere 'stimmig' sein", sagt Rudolph, "oder in anderen Worten: als authentische Person wahrgenommen werden."

Aus Erfahrung weiß ich: Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin, lasse ich mich schwerer aus dem Gleichgewicht bringen. Das gilt in privaten Situationen genauso wie im Job. Solange ich mich also mit dem Spitznamen wohlfühle, dürfte meine Autorität nicht in Gefahr sein. Und Berti Vogts hat es immerhin zum Bundestrainer gebracht.

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