Berufseinstieg in der Klimaforschung »Zu bleiben ist für mich keine Option«

Klimaforscher Beckebanze: »Wenn der Permafrost weiter abtaut, sind die Folgen verheerend«
Foto: Stepan GukovDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Start ins Arbeitsleben ist aufregend, anstrengend – und oft ganz anders als geplant. In der Serie »Mein erstes Jahr im Job« erzählen Berufseinsteiger:innen, wie sie diese Zeit erlebt haben. Diesmal: Lutz Beckebanze, 29, wollte eigentlich Pilot werden und erforscht jetzt den Permafrostboden in Sibirien.
»Da stand ich also, auf der Insel Samoylov, drei mal zwei Kilometer groß, im Lenadelta im Nordosten Russlands, und hatte zum ersten Mal in meinem Leben Permafrostboden unter den Füßen. Im Sommer 2015 war das, ich arbeitete damals als studentische Hilfskraft am Institut für Bodenkunde der Uni Hamburg und war auf eine Expedition des Instituts mitgefahren, um Messgeräte zu betreuen. Mehrere Tage lang waren wir angereist, erst mit dem Flugzeug, dann mit dem Schiff – um den Boden um die Messstation Samoylov zu untersuchen. Nicht nur die Oberfläche, die Tundra, sondern das, was darunter liegt, den sogenannten Permafrostboden. Boden also, der durchgehend gefroren ist.
Taut der Permafrostboden, hat das dramatische Folgen
Im Permafrostboden sind – ähnlich wie in einer riesigen Kühltruhe – große Mengen an abgestorbenen Tier- und Pflanzenresten gespeichert. Anders als in tropischen oder gemäßigten Klimazonen werden sie im gefrorenen Boden nicht von Bakterien abgebaut; die werden erst aktiv, wenn der Permafrost taut. Wenn sich das Klima weiter erwärmt, die Tür zur Kühlung sich sozusagen immer weiter öffnet, passiert genau das. In der Folge gelangt ein Teil des bisher im Boden gebundenen Kohlenstoffs als Treibhausgas in die Atmosphäre – und das Klima erwärmt sich weiter.

Anfang November trifft sich die Staatengemeinschaft im schottischen Glasgow zur 26. Uno-Klimakonferenz, der COP26. Auf dem zweiwöchigen Treffen geht es darum, die Ziele der Länder zu erhöhen und gemeinsame Regeln für den Kampf gegen die Klimakrise zu definieren. Lesen Sie hier alle Artikel zum Gipfel.
Die Forschung geht davon aus, dass im Permafrost bis zu 1200 Gigatonnen Kohlenstoff gebunden sind, die in Form von Kohlenstoffdioxid und Methan freigesetzt werden könnten. Zum Vergleich: In der gesamten Atmosphäre sind es derzeit rund 800 Gigatonnen. Die Folgen, wenn der Permafrost weiter abtaut, sind also verheerend .
Auf Umwegen zur Klimaforschung
Dass ich einmal zu Böden in der Arktis forschen würde, hätte ich bis zu der Expedition 2015 nie gedacht. Nach dem Abitur wollte ich eigentlich Pilot werden, scheiterte aber an der Aufnahmeprüfung. Anschließend schrieb ich mich in Hamburg für Flugzeugbau ein. Das war aber nichts für mich, nach einem Semester brach ich ab.
Die Zeit danach verbrachte ich damit, mich in Vorlesungen zu setzen und herauszufinden, was mir Spaß machen könnte. Schon in der Schule war ich Naturwissenschaftler, vor allem Physik fand ich spannend. Deshalb schaute ich mir auch Meteorologie an; im Endeffekt ist das ja nichts anderes als die Physik der Atmosphäre.
Die Vorlesungen faszinierten mich von Beginn an. Ich verstand auf einmal, in welchen Wolken welche Eiskristalle entstehen und wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit damit zusammenhängen. Schon als Schüler hatte ich Dinge wirklich verstehen wollen. Meteorologie fand ich daher klasse – und schrieb mich ein.

Messturm auf Samoylov
Foto:privat
Gegen Ende meines Bachelors stieß ich auf eine Ausschreibung des Instituts für Bodenkunde, das eine studentische Hilfskraft aus der Meteorologie für seine Messstation auf Samoylov suchte. Zu verlieren hatte ich nichts – und bewarb mich. Dass ich die Stelle am Ende bekam, hat meinen weiteren Weg enorm geprägt. Letztendlich schrieb ich meine Bachelor- und meine Masterthesis über die Messungen auf Samoylov; seit 2019 promoviere ich über die Arbeit vor Ort.
Ich will herausfinden, wie viel Kohlenstoff jährlich aus dem Permafrostboden auf Samoylov in die Atmosphäre gelangt. Zwischen zwei und acht Wochen im Jahr bin ich dafür auf der Insel, um unsere Messstation zu warten, die erhobenen Messdaten zu sichern, sie für meine Promotion zu interpretieren und unsere weitere Forschung vor Ort vorzubereiten. Mein offizieller Job ist – neben der Veröffentlichung der Daten – auch, die Expeditionen zu planen und durchzuführen. Dafür bin ich mit einer 65-Prozent-Stelle am Institut für Bodenkunde der Uni Hamburg angestellt und verdiene 2494 Euro brutto im Monat. Den Rest der Zeit schreibe ich an meiner Promotion.
Durch die Pandemie war ein Jahr keine Messung möglich
Die Arbeit vor Ort ist intensiv – und das liegt nicht nur an der teils enormen Kälte. Einmal waren wir zum Polartag auf Samoylov, es war also permanent hell. Einer meiner Kollegen konnte bei dieser Helligkeit wochenlang nicht schlafen. Körperlich mit den Bedingungen klarzukommen, ist eine echte Herausforderung.
Zuletzt war ich diesen Sommer auf der Insel. Davor konnten wir wegen der Coronapandemie zwei Jahre nicht dort sein und deshalb die Messstation auch nicht instand halten. Ein Jahr lang ist die Messung komplett ausgefallen. Corona-Forschungslücken wie diese sind nicht selten – und nicht nur für meine Promotion ein Problem.

Beckebanze auf dem Weg zum Messturm
Foto:privat
Lieber planen statt forschen
Im kommenden Jahr werde ich meine Doktorarbeit beenden – und damit auch meine wissenschaftliche Karriere. Die Promotion bereitet mir zwar große Freude und ist abwechslungsreich. Aber in der Forschung zu bleiben, ist für mich keine Option, das weiß ich schon jetzt. Die Gelder sind knapp, die Stellen befristet. Ich müsste bereit sein, regelmäßig umzuziehen – und das bin ich nicht.
Die Klimaforschung hinter mir zu lassen, fällt mir nicht leicht. Ich darf mich mit einem der wichtigsten Themen unserer Zeit beschäftigen – kann mir aber nicht vorstellen, es langfristig zu tun, weil die Bedingungen nicht passen. Das ist auch ein strukturelles Problem. Die Diskussion um #ichbinhanna hat diese prekäre Arbeitssituation in den vergangenen Monaten ja öffentlich gemacht.
Meine Zukunft sehe ich eher in der Organisation von Forschungsexpeditionen. Das könnte ich etwa an Forschungszentren machen. Ich würde nicht mehr direkt am Klima forschen, aber weiter etwas Gutes dafür tun. Damit wäre ich glücklich.«
Viele Wege führen in die Klimaforschung. Weil sie ein interdisziplinäres Forschungsfeld ist, gibt es nicht den einen Studiengang – sondern eine Vielzahl von Einstiegsmöglichkeiten. Das Deutsche Klima Konsortium etwa listet klassische Fächer wie Geografie, Geologie und Meteorologie, aber auch Politikwissenschaften und Soziologie. Ein grundsätzliches Interesse für Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik ist hilfreich .
Auch die Einsatzbereiche sind recht vielfältig . Zum Klima geforscht wird hierzulande an etwa 100 Universitäten, beim Deutschen Wetterdienst, bei der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft . Klimaforscher:innen arbeiten nicht nur daran, Klima- und Gesellschaftsdaten zu erfassen und zu interpretieren, sie beschäftigen sich auch mit klimatischer Modellierung, um Vorhersagen treffen und Politik und Öffentlichkeit beraten zu können.
Wie viel man als Klimaforscher:in verdient, ist sehr vom Bereich abhängig, in dem man arbeitet. Das renommierte Alfred-Wegener-Institut etwa orientiert sich seit 2011 am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Bundes. Wie viel man dann genau bekommt, ergibt sich aus den jeweiligen Aufgaben und der Berufserfahrung.
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