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entscheiden UNVERHOFFTER SIEG

DIE BERUFSGRUPPE DER STUDENTEN IST ZIEMLICH SCHWACH IM NEUEN BUNDESTAG VERTRETEN: NUR EINE GRÜNE ABGEORDNETE UND ZWEI IN DER CSU.
aus UNI SPIEGEL 5/2002

Als Erstes platzte der Urlaub. Daniela Raab, 27, war am 22. September, dem Tag der Bundestagswahl, nach Lanzarote geflogen. Eine Woche Sonne, Meer, ausschlafen. Die Prüfungen zum Ersten Staatsexamen vergessen, entspannen. Spätabends aber stand fest: Sie war als eine der jüngsten Kandidatinnen in den neuen Bundestag gewählt worden. Von Platz 32 der CSU-Liste, weil ihre Partei in Bayern sogar auf knapp 59 Prozent gekommen war, womit niemand wirklich gerechnet hatte, die Jurastudentin selbst am wenigsten.

Nach dem Anruf aus dem Wahlkreis Rosenheim musste alles ganz schnell gehen: Rückflug nach München buchen, möglichst billig, denn den musste die frisch gewählte Abgeordnete noch selbst bezahlen. Montag nach Berlin in die CSU-Fraktion, anstellen am Schalter für Neulinge, Adresse aufsagen, Bundestagsausweis einstecken, Erstinformationen des Bundestagspräsidenten (Bonusmeilen!) durchblättern, Hände schütteln, Glückwünsche.

Kaum Zeit zum Verschnaufen, kaum Zeit zum Freuen oder Feiern. Oder darüber nachzudenken, dass plötzlich alles anders wird. Normalerweise hätte Daniela Raab erst einmal auf das Ergebnis ihrer Examensprüfung gewartet. Normalerweise hätte sie sich ans Zweite Staatsexamen gemacht, ein Referendariat begonnen. Normalerweise hätte sie ihren Eltern noch ein bisschen auf der Tasche gelegen und das Pendeln zwischen der belebten Münchner City und der beschaulichen Heimatgemeinde Kolbermoor genossen. Hätte für die CSU im Stadtrat des nicht weit vom Chiemsee gelegenen Ortes gesessen und die Arbeit im Ortsverband erledigt.

Aus, vorbei, für mindestens vier Jahre. Die zierliche Studentin aus Oberbayern macht nun große Politik. Bald wird sie eine kleine Wohnung in Berlin, möglichst nahe dem Reichstag, beziehen. Sie wird rund 7000 Euro verdienen, dunkle Blazer tragen und schmale Aktentaschen unter den Arm klemmen. Sie wird, wenn es nach ihren Wünschen geht, im Ausschuss für Jugend und Familie mitarbeiten. Sie wird an Sitzungen der CSU-Fraktion teilnehmen und die ersten Querelen um Posten und Pöstchen hautnah miterleben.

Sie wird im Bundestag abstimmen - vielleicht über Bundeswehreinsätze im Ausland, über Arbeitsmarktreformen, über Subventionskürzungen in der Landwirtschaft. Das mit dem Zweiten Staatsexamen rückt also, soviel steht fest, erst mal etwas in den Hintergrund. Anfangs, sagt Daniela Raab, habe sie noch gedacht, sie könne das vielleicht nebenher schaffen. Aber bei mehr als 20 Sitzungswochen im Jahr, bei den vielen Pflichtterminen zu Hause im Wahlkreis - eigentlich unmöglich. Vom Referendariat möchte sich die Nachwuchspolitikerin nun freistellen lassen.

Dabei war eine politische Karriere außerhalb des eigenen Wahlkreises offensichtlich nicht das erklärte Ziel der jungen Frau. Klar, die klassische Parteikarriere hat sie absolviert. Gleich nach dem Abitur trat Daniela Raab in die CSU ein - ohne den Umweg über den Nachwuchskader der Jungen Union. Die Nähe zu den Christsozialen, sagt sie, die habe sie wohl von zu Hause mitbekommen. Ihre Eltern führen in Kolbermoor einen mittelständischen Betrieb, »da ist eher der Hang zur CSU da«.

Doch aktiv seien Vater und Mutter in der Politik nie gewesen, »die haben auch nie gesagt, geh zur CSU«. Die damals 19-Jährige war der Ansicht, man müsse schon selbst etwas tun für seine Gemeinde, nicht nur meckern. Im Ortsverband Kolbermoor wählte man sie flugs in die typische Frauenposition, als Schriftführerin.

Ein Jahr später trat Daniela der Frauen-Union bei und fand in diesem Gremium auch ihre Unterstützung für die Bundestagskandidatur. Dort lernte sie, dass man sich als junge Listenkandidatin im Wahlkreis erst mal etwas zurückhalten müsse gegenüber dem Direktkandidaten. Immerhin, bei den Info-Ständen im Wahlkampf fand Daniela offenbar genügend Anhänger, und einmal durfte sie sogar an der Seite von Edmund Stoiber auftreten.

Da findet man sie künftig häufiger, zuletzt Ende September, als der CSU-Chef in München die »Neuen« für den Reichstag vorstellte, zusammen mit einer zweiten CSU-Studentin im Bundestag, Dorothee Mantel, 24. Die beiden tragen dazu bei, wie Stoiber lobte, dass das Durchschnittsalter der CSU-Landesgruppe gesunken sei.

Die CSU ist eine der beiden Parteien im Parlament, in der die Berufsgruppe der Studierenden vertreten ist. Immerhin 170 Studenten hatten sich diesmal bei der Wahl um einen Sitz beworben. Fast alle hatten aber aussichtslose Listenplätze. Die Studentin Angela Marquardt brachte es in Mecklenburg-Vorpommern immerhin auf Platz 2. Aber das half ihr nichts, sie war in der glücklosen PDS, die unter die Fünf-Prozent-Hürde fiel. Erschreckend viele Studenten und Schüler traten auch auf den Listen rechter Parteien wie der NPD oder der Partei Rechtsstaatlicher Offensive des Hamburger Innensenators Ronald Schill auf.

Die SPD führte immerhin den Politikstudenten Lars Klingbeil, 24, auf Platz 32 der niedersächsischen Liste - beim letzten Mal waren alle bis Rang 35 in den Bundestag eingerückt. Der Juso träumte schon von seinem Sitz im Verteidigungsausschuss. Aber daraus wurde nichts. Die Verkleinerung des Bundestags und ein beträchtliches Stimmensplitting der SPD-Wähler zu Gunsten der Grünen verkürzte die Reihe der erfolgreichen Listenbewerber enorm. Die CSU-Studenten wiederum profitierten davon, dass die treuen bayerischen Wähler Erst- und Zweitstimmen meist brav zusammenhielten - und dann Stoiber wenigstens einen fulminanten Heimerfolg bescherten.

Dorothee Mantel, CSU-Kandidatin aus dem oberfränkischen Dorf Ebelsbach bei Bamberg, hat schon einige Routine in der Koordination von Studenten- und Politikerleben. Ihre Diplomarbeit, die nun anstehe, könne sie wohl auch zusätzlich zur Arbeit im Bundestag schaffen, glaubt Dorothee.

Die politische Arbeit in der CSU-Landesleitung in München kennt die junge Frau bereits. Denn als Vorsitzende des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) Bayern hat sie seit längerem ihr Büro in unmittelbarer Nähe des Parteichefs. Und im vergangenen Jahr wählten sie die Delegierten in den Parteivorstand.

Die beiden studentischen Abgeordneten der CSU werden gewiss keine Revolte im Reichstag anzetteln. Ohne erkennbare Selbstzweifel steuern sie geradewegs ihre Karriereziele an. Natürlich werden sie sich für die Interessen der Studierenden einsetzen, aber im Prinzip ist für sie die Bildungswelt in Ordnung.

Dorothee Mantel, Tochter des langjährigen Bürgermeisters von Ebelsbach, ist geprägt vom Vater, ihrem »Vorbild«. Als 14-Jährige ging sie in die Junge Union. Denn: »Man musste was tun!« - den Spielplatz ausbauen, den Bach reinigen, die Drogengerüchte im Gymnasium aufklären. Werteerziehung, sagt Dorothee, habe in ihrer Familie immer eine große Rolle gespielt. Ihr Berufswunsch mit 14: Bundeskanzlerin.

Die Wahl des Studienfachs fiel deshalb nach dem Abitur leicht: Politikwissenschaften, davor jedoch ein Highschool-Abschluss in den USA. Die Oberfränkin zog zum Studieren nach München. Dort, glaubte sie, könne sie auch am ehesten in ihren Traumberuf Journalistin einsteigen. Erste Versuche startete sie beim Hörfunk, aber das Schreiben, sagt sie, liege ihr wohl mehr. Sollte das nichts werden, könne sie immer noch als Mitarbeiterin einer Fraktion oder von politischen Instituten ihr Geld verdienen.

Nun hat sie plötzlich den ersten richtigen Job, jedenfalls für vier Jahre - und er ist ansehnlich dotiert. An der Position in der Politik will sie jedoch nicht kleben. »Ich kann mir immer vorstellen, wieder was anderes zu machen.« Gut möglich, wenn sie am Ende das Diplom in der Tasche hat.

Die studentischen Stammwähler der Grünen haben nur so halb und halb eine Vertreterin in Berlin. Anna Lührmann, 19, aus Hessen ist immerhin die jüngste Bundestagsabgeordnete in der Geschichte, firmiert auf dem Wahlschein aber noch als Schülerin. Die Uni hat sie bisher nur zum Einschreiben betreten. Und dabei wird es wohl erst einmal bleiben.

Anna, die Super-Abiturientin mit dem Durchschnitt von 1,6 (trotz Wahlkampf), hatte sich schon lange vor der Stimmenauszählung in ihrem Wohnort Hofheim auf den Weg nach Berlin begeben. An der Humboldt-Universität plante Anna das Studium der Sozialwissenschaften - Studienplatz und eigene Bude in der Hauptstadt hat sie schon.

Die kann sie jetzt gut brauchen, aber von der Idee, Vorlesungen und Scheine in den Sitzungspausen zu meistern, muss sich die junge Grüne aus Hessen wohl verabschieden. In der ersten Oktoberwoche richtete Anna ihr Büro in der Fraktion ein, und da fanden sich im Timeplaner schon 30 Termine - hauptsächlich Interview-Anfragen der Medien. »Ob man da das Studium schaffen kann, ohne eigentlich an der Uni präsent zu sein, ist fraglich.«

Damit ist für die neue Grüne das erste Semester offenbar beendet, bevor es richtig begonnen hat. Zumindest bis 2006.

Ob sie die Arbeit im Bundestag danach fortsetzen möchte, wird sich zeigen. Angetreten ist Anna Lührmann, weil sie meint, es sei an der Zeit, dass »das von jemand Jungem gemacht wird und nicht nur von älteren Herren«. Und sie möchte herausfinden, »warum denn das Verhältnis zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern so verkorkst ist«.

Vor allem in die Europapolitik möchte sich die junge Frau aus Hofheim einmischen. Als Mitglied der Grünen Jugend Hessen legte sie bereits einen Entwurf für eine europäische Verfassung vor. Etwas Europäisches möchte sie später auch mal im Job machen.

Oder geht es gar nicht mehr ohne Politik? Das glauben zumindest viele zu Hause in ihrem Wahlkreis. Denn Anna fing ja schon in der Grundschule an: Mit neun Jahren gründete sie eine Jugendgruppe von Greenpeace.

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