arbeiten WENN DIE ROTE LAMPE BRENNT
Eines Morgens trat Florian Vigl vor die Kamera und war Fernsehmoderator. Er war zum ersten Mal in seinem Leben Fernsehmoderator. Er wollte schon immer mal ein richtiger Fernsehmoderator werden.
Das Thema, das er moderieren musste, hieß so: »Die Busenpumpe - zwei Körbchengrößen mehr in zwei Wochen.«
Als die Kamera lief, sagte Florian Vigl, dass jetzt ein Beitrag über eine Busenpumpe folgt. Es handele sich dabei um ein Gerät, das den Busen innerhalb von zwei Wochen um zwei Körbchengrößen anschwellen lasse.
Dann ging die Kamera aus. Und Florian Vigl war kein Moderator mehr. Alles nur eine Übung.
Florian Vigl, 28, besucht seit ein paar Wochen die Journalistenschule des Kölner Privatsenders RTL. Es gibt ein paar tausend Menschen in Deutschland, die einmal werden wollen, was Florian Vigl werden will: Fernsehjournalist. Und es wird immer ein paar tausend Menschen geben, die nie schaffen werden, was Florian Vigl schon geschafft hat. Er ist drin. Er ist im Geschäft.
Vigl hat Germanistik und Geografie studiert, auf Lehramt, aber er wollte nie Lehrer werden, sondern immer Journalist. Viermal hat er sich bei Journalistenschulen beworben, viermal kam er in die engere Wahl, dreimal bekam er am Ende eine Absage. Zweimal in München, einmal in Hamburg. Die in Köln nahmen ihn.
Es ist Freitagmorgen um kurz nach zehn, im Seminarraum der »RTL Journalistenschule für TV und Multimedia« sitzt Florian Vigl mit 14 Kollegen an einem Tisch, vorn steht ein großer Fernseher, und neben dem Fernseher sitzt Peter Kloeppel.
Kloeppel, das Gesicht von RTL. Der »RTL aktuell«-Kloeppel. Kloeppel, die private Abendnachricht.
Kloeppel ist Florian Vigls letzte Instanz. Weil Kloeppel nebenbei auch Direktor der hauseigenen Journalistenschule ist, kommt er zweimal die Woche vorbei und sieht nach dem Rechten. Die Fernseh-Auszubildenden sagen »Herr Kloeppel« zu ihm und »Sie«, was deshalb bemerkenswert ist, weil sie bei RTL sonst immer »du« zueinander sagen müssen.
Herr Kloeppel macht ein sehr ernstes Gesicht an diesem Freitagmorgen, er weiß nämlich, was gleich kommt. Der Kurs von Florian Vigl hat während der Woche seine erste Nachrichtensendung produziert - eine Übungsnummer. Herr Kloeppel wird die Fehler ansprechen müssen. Es werden viele Fehler sein.
Bevor sie anfingen mit dieser Sendung, haben sie die Jobs eingeteilt. Chefs vom Dienst, Kameraleute, Tontechniker, Reporter, Moderator. Florian Vigl wurde Moderator.
Jetzt sieht er sich zum ersten Mal selbst auf dem Bildschirm. Der Fernsehmoderator Vigl trägt ein Jackett und eine Krawatte und guckt so ernst in die Kamera, als sei das ganze Leben ein Schwerpunktabend bei »Arte«. Vigl moderiert an und moderiert ab, über die Deutsche Telekom, über freies Parken in der Kölner Innenstadt, über Weltnichtrauchertage und über Trendsportarten. Einmal sagt er dabei: »Die Golfplätze fliegen kreuz und quer.« Golfbälle hätte er sagen müssen, natürlich Golfbälle.
Der Journalistenschüler Vigl guckt mal auf den Bildschirm und mal auf Herrn Kloeppel.
Herr Kloeppel trägt einen grauen Anzug und ein weißes Hemd und eine graue Krawatte. Er sieht morgens um zehn schon so aus wie abends um viertel vor sieben, wenn er selbst moderiert. Aber jetzt spielt er mit Abschnitten von Lufthansa-Bordkarten, die er in seinem Jackett gesammelt hat, und sagt nichts.
Hat er vielleicht eine Bemerkung zur Anmoderation?
»Nee, im Moment nicht.«
Er erzählt stattdessen, dass es zwei Methoden gibt, einen Filmbeitrag herzustellen. Entweder erst schneiden und dann texten oder erst texten und dann schneiden. »Die Amerikaner texten zuerst und schneiden dann«, sagt er.
Florian Vigl schreibt auf seinen Zettel: »Erst schreiben, dann schneiden.«
Um eins muss Herr Kloeppel weg. Er will sich vorher aber doch noch einmal »einklinken«, wie er das nennt.
»Also, der Herr Vigl war mir - ich möchte jetzt nicht sagen langweilig, aber es hätte wesentlich mehr Pep haben können. Was Klamotten angeht und die Grundpräsentation, da hab ich nichts auszusetzten. Die wenigsten von Ihnen werden überhaupt vor der Kamera landen. Allenfalls fünf Prozent. Es wird vielleicht welche geben, die sagen am Ende der Ausbildung: Ja, vor der Kamera, das wäre was für mich. Aber da sagen wir dann vielleicht: Nein, lieber doch nicht. Die wichtigsten Jobs finden sowieso hinter der Kamera statt. Das war's von mir.«
Dann geht Herr Kloeppel.
Florian Vigl sagt, es sei nicht sein letzter Versuch gewesen. Vielleicht ist er mal einer von den fünf Prozent, die es doch schaffen. Eitel genug sei er, sagt er. Wenn er sich vorstellt, dass er irgendwann mal durch Köln liefe und die Leute sähen sich nach ihm um, dann fände er das nicht schlecht.
Aber es muss nicht sein. Er weiß nur, dass er beim Fernsehen bleiben wird. Fernsehen, sagt er, macht selbstbewusst. So selbstbewusst, wie er nach ein paar Wochen Fernsehen geworden sei, sei er an der Uni nie gewesen.
Florian Vigl möchte, wenn er mit dieser Schule fertig ist, bei RTL bleiben. RTL ist für ihn »ein geschützter Raum«. Natürlich, sagt er, gebe es bei RTL auch Tage, an denen er sich nur mit der Busenpumpe beschäftigen müsse. Aber jeder Tag hat einen Abend. Und an solchen Abenden liest Florian Vigl eben Bücher von Ludwig Wittgenstein.
Eva Mommsen, 29, hat Peter Kloeppel nie gesehen, bevor sie zu seiner Journalistenschule kam. Sie sah die »Tagesthemen«, nicht »RTL aktuell«. Sie hat Politik, Englisch und Spanisch studiert, und nebenher hat sie bei Tageszeitungen hospitiert: »Frankfurter Rundschau«, »Hamburger Morgenpost«, »Berliner Zeitung«, »Sächsische Zeitung«. Sie war eine Zeitungsfrau, keine Fernsehfrau. Sie bewarb sich zehnmal um ein Volontariat, aber keiner nahm sie.
Von ihrer Mutter hörte sie, dass es die RTL-Schule gibt. Sie schickte eine Reportage zum Thema »Green Card«, damit war sie eine von 1000 Bewerbern. Als sie nach Köln eingeladen wurde, war sie eine von 100 Kandidaten für 30 Plätze.
Die 100 Ausgewählten wurden mit dem Bus in die Kölner Innenstadt gefahren und mussten sich ein Thema für eine andere Reportage aussuchen.
Eva Mommsen dachte: »Ich bin bei RTL. Also muss es etwas mit Crime sein.« Sie schrieb einen Beitrag über Menschen, die damals dabei waren, als die Gladbecker Geiselgangster in die Kölner Innenstadt einfielen.
Dann saß sie vor einer Jury und musste Fragen beantworten. Zum Beispiel die: »Würden Sie ein Foto machen, wenn Sie Christoph Daum tot in einem Hotel vorfinden würden?«
Eva Mommsen hätte das Bild gemacht.
Sie hat bestanden. Jetzt verdient sie 1500 Mark im Monat, brutto. Sie würde gern Auslandskorrespondentin werden. Schöne, lange Reportagen, aus der weiten Welt. Zurzeit dreht sie Kurznachrichten, aus dem Studio Hamburg.
Wenn Eva Mommsen in die Redaktion von RTL Nord geht, kommt sie an vier Fotos vorbei. Die Fotos sind sehr groß, und sie sind beleuchtet. Sie zeigen vier Frauen, sehr geschminkt und sehr erfolgreich. Die vier Frauen sind Moderatorinnen bei RTL, und sie hängen da wie Ikonen im Gotteshaus.
Es ist ein weiter Weg zum Fernsehstar. Eva Mommsen musste heute morgen um elf zu den Hamburger Deichtorhallen. Die Firma Coca-Cola hatte fünf Lastkraftwagen mit Hula-Hoop-Reifen und anderen Trimmgeräten vollgepackt; die Lkw sollten in den kommenden Wochen quer durch Deutschland fahren. Ziel der Aktion war offiziell, lahme Schulkinder zum Sport zu treiben.
Natürlich war im Hause Coca-Cola auch beabsichtigt, Werbung für Coca-Cola zu machen. Und man hätte fragen können, ob die Schulkinder auch deshalb immer dicker werden, weil sie vielleicht zu viel Coca-Cola trinken.
Aber für so was hatte Eva Mommsen keine Zeit. Sie musste eine »NIF« für den »KN-Block« drehen, eine Nachricht im Film für den Kurznachrichten-Block. 3o Sekunden lang.
Sie fuhr mit einer Digitalkamera ("Digi") zu den Deichtorhallen, filmte mehr oder weniger dicke Kinder mit Sportgeräten und fuhr dann wieder zurück ins Studio Hamburg. Sie ging mit der Digi in den Schneideraum, vorbei an den Bildern der vier geschminkten Frauen, ließ die Aufnahmen auf 30 Sekunden Länge zusammenschneiden, setzte sich dann an einen Computer und entwarf einen Text dazu.
Sie schrieb: »Unter dem Motto ,1000 Schulen in Bewegung' starteten heute fünf Trucks, um mehr Spaß an die Schulen zu bringen. Auf Schulfesten werden die Kinder dann zu Spiel und Sport aufgefordert. Die Aktion wurde vor sechs Jahren ins Leben gerufen, damit mehr Bewegung in den Schulalltag kommt. Insgesamt werden 250 Schulen in den nächsten Wochen angesteuert.«
Dann ging sie zu Eugen, dem Chef der Kurznachrichten. Eugen trug ein Hemd, das aus der Hose hing, er guckte ernst, als er den Text las. Dann sagte Eugen: »Bei uns laufen die Texte ja immer unter dem Motto: ,Jetzt stell dir mal vor'. Also, so würd ich's nicht erzählen.«
Eugen setzte sich an seinen Computer und schrieb einen neuen Text.
Eva Mommsen trägt schwarze Klamotten und Stiefel aus Reptilleder, und sie ist blond. So stellt man sich Menschen vor, die bei RTL Fernsehen machen. Aber Eva Mommsen ist in Wirklichkeit der Gegenentwurf zu RTL-Fernsehmenschen.
Sie will eine anständige Ausbildung haben, und dass sie bei RTL gelandet ist, war Zufall. Sie wirkt nicht wie eine von diesen Mäusen, die bei RTL beleuchtet an der Wand hängen. Seit sie bei RTL ist, guckt sie gelegentlich auch Peter Kloeppel und seine Sendung. Aber sie guckt noch immer nicht gern RTL. »Ich weiß noch nicht, ob ich so richtig hierhin gehöre«, sagt sie.
Das Programm für RTL-Journalistenschüler sieht vor, dass am Ende alle mal alles gesehen haben. Alles. Eva Mommsen müsste eigentlich demnächst bei »Explosiv« arbeiten. Sie hat darum gebeten, dass sie da nicht hin muss.
»Ich mag nicht Witwen schütteln und recherchieren, wer die größten Titten hat«, sagt sie.
Kurz bevor sie ihren Vertrag unterschrieb, bekam sie ein Angebot aus den neuen Bundesländern. Sie sollte Redenschreiberin für das Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt werden.
Sie dachte, dass es beim Fernsehen aufregender wäre. Notfalls würde sie auch Witwen schütteln oder recherchieren, wer die größten Titten hat.
Die Welt, in der Christina Wellmann mal zu Hause sein möchte, ist überschaubarer. Rechteckig, 45 bis 90 Meter breit, 90 bis 120 Meter lang. Christina Wellmann arbeitet auf Fußballplätzen. In der Redaktion trägt sie Turnschuhe.
Sie ist 25 Jahre alt und hat ihr halbes Leben mit Sport verbracht. Sie war Leichtathletin, und als sie nach dem Abitur einen Beruf suchte, schrieb sie sich erst mal an der Deutschen Sporthochschule in Köln ein, Schwerpunkt Sportpublizistik. Ihre Diplomarbeit schrieb sie zum Thema »Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006«, und jetzt ist sie »Diplom-Sportwissenschaftlerin«.
Diplom-Sportwissenschaftlerin. Nutzt nix, schadt nix. Viel theoretisches Zeug, das Christina Wellmann nie mehr brauchen wird, wenn sie beim Fernsehen bleibt. Sie wollte immer zum Fernsehen. Hilfreich war die Hochschule trotzdem; sie vermittelte ihr ein Praktikum.
Christina Wellmann landete da, wo man vielleicht landen muss, wenn man davon träumt, Fußballreporter zu werden. Sie kam zum Westdeutschen Rundfunk. Zu Heribert Faßbender. Zu »Guten Abend allerseits«-Heribert. Zum Gottvater der Sprecherkabine.
So um die 700 Bewerbungen um eine Hospitanz landen pro Jahr in Faßbenders Abteilung. Zehn werden genommen, vielleicht zwölf. Als Christina Wellmann das erste und letzte Mal mit Heribert Faßbender sprach, sagte er, sie müsse Initiative zeigen, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied, solche Sachen eben.
Sie blieb vier Wochen und stellte sich so gut an, dass sie vom Westdeutschen zum Bayerischen Rundfunk vermittelt wurde. Inzwischen sitzt sie in Potsdam, beim Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg. Sie ist immer noch Hospitantin, aber vielleicht bald freie Mitarbeiterin. Dann würde sie womöglich auch mal Geld verdienen. Im Moment bekommt sie 25 Mark am Tag.
Wahrscheinlich hat auch Heribert Faßbender mal so angefangen wie Christina Wellmann. Hospitanzen sind keine Wunschkonzerte. Wenn zum Beispiel der SV Babelsberg, die örtliche Fußballmannschaft aus der dritten Liga, samstags gegen Fortuna Düsseldorf spielt, muss Christina Wellmann dienstags ins Internet (www.Fortuna-Duesseldorf.de). Sie braucht alles. Sponsoren, Torschützen, Trainer, Ecken von links und von rechts.
Und wofür das alles? Damit der Kollege, der das Spiel kommentieren wird, weiß, worüber er sprechen soll. Hospitanten sind Helfer, billige Helfer.
Der längste Beitrag, den Christina Wellmann in den bisher zwölf Wochen ihrer Fernsehkarriere gedreht hat, war ein Bericht über ein Vielseitigkeits-Reitturnier in Brandenburg. Er dauerte eine Minute und 40 Sekunden.
Von denen, die mit ihr das Sportdiplom machten, hat sie den besten Job bekommen, findet sie. Einer der Kommilitonen ist in der Presseabteilung von Werder Bremen gelandet, einer bei einem Online-Anbieter, ein paar sind beim Deutschen Sport-Fernsehen. Sie ist bei den Öffentlich-Rechtlichen, und sie war mal bei Heribert Faßbender.
Neulich hat Christina Wellmann dieses berühmte Buch gelesen. »Wie werde ich Heribert Faßbender?« heißt es. Ein Buch mit den dümmsten Sprüchen der berühmtesten Sportreporter.
Das Buch hat ihr Kraft gegeben. »So viel«, weiß sie seitdem, »gehört zu diesem Beruf wirklich nicht dazu.«
MATTHIAS GEYER