Wenn der Job zum Freundschaftskiller wird Hilfe, wir reden nur noch über Arbeit

Ach, wie schön, die unbeschwerten Treffen – wäre da nicht das immer selbe Gesprächsthema
Foto: pixdeluxe / E+ / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Gerade noch schien alles wie immer. Wir sprachen über die Liebe, Urlaube und den Rausch des vergangenen Wochenendes. Wir, das sind junge Menschen zwischen 20 und 30. Wir, das sind Freund:innen, die sich zum Teil schon erstaunlich lange kennen, als Jugendliche, Studierende, Erwachsene. Und wir treffen uns, so will es die Tradition, immer wieder mittwochs, wegen Corona auch mal online oder zum Spaziergang, meist aber in einer Bar.
Vor etwa einem Jahr passierte etwas mit diesen Runden, plötzlich saßen wir nicht mehr allein bei unseren Getränken. Da war jemand, der sich mit an den Tisch drängte und schon bald unsere Gespräche dominierte: der erste Job.
Seitdem ertappe ich uns immer wieder dabei, wie wir nur noch davon erzählen – von laufenden Projekten, den Kolleg:innen und dem Gehalt, das besser sein könnte. Es scheint, als wären wir zu anderen Menschen geworden. Keine verliebten, reisenden, feiernden Menschen mehr, sondern nur noch berufstätige.
Jahrelang haben wir auf den ersten Job hingearbeitet, jetzt nimmt er uns völlig ein, ja, er verändert uns. Wir schuften und strampeln und stecken noch abends gedanklich in der Arbeit. Das färbt wiederum auf die gesamte Gruppe ab und belastet unsere Freundschaft stärker als all die anderen Umbruchphasen, die wir bisher gemeinsam durchgemacht haben – so zumindest kommt es mir vor.
Der erste Job prägt uns stärker als das erste Kind
Wie sehr sich der Berufseinstieg auf unsere Persönlichkeit auswirkt, zeigt eine Studie, die im vergangenen Jahr im Journal of Personality veröffentlicht wurde. Eine Gruppe von Forschenden hat dafür Daten von mehr als 3500 Berufseinsteiger:innen ausgewertet und festgestellt: Der Eintritt in den Beruf hat tendenziell sogar eine größere Wirkung auf unsere Persönlichkeit als die Geburt des ersten Kindes.
»Der Job beeinflusst die Entwicklung im jungen Erwachsenenalter maßgeblich«, sagt Eva Asselmann, Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Health and Medical University (HMU) in Potsdam und eine der Autor:innen der Studie . Sie erklärt das mit der »neuen sozialen Rolle«, die wir mit dem Berufseinstieg einnehmen würden. Plötzlich seien wir nicht mehr Studierende, sondern Arbeitnehmende – und diese Rolle gehe einher mit neuen Ansprüchen und Erwartungen: Wir sollen morgens pünktlich erscheinen, unsere Aufgaben zuverlässig erledigen, uns professionell sowie freundlich gegenüber Kund:innen und Kolleg:innen verhalten. Die Teilnehmenden der Studie waren nach dem Berufseinstieg etwa gewissenhafter, extrovertierter und verträglicher als in den Jahren davor.
Der Jobeinstieg wirkt sich also nicht nur auf unseren Kontostand aus, sondern auch auf unser Wesen. Und obwohl es schön wäre, wenn wir alle unsere Jobs lieben und mit dem Berufseinstieg lediglich gewissenhafter oder extrovertierter würden, ist dem doch oft nicht so. Bei uns jedenfalls nicht.
Ein sehr guter Freund hat Sorgen, ist gestresst, die Arbeit läuft nicht so, wie er sich das vorgestellt hat. Auch wir anderen jammern gern. Oft bleibt beim Mittwochsbier keine Zeit mehr für die schönen Dinge, dabei haben sie unsere Freundschaft doch mal ausgemacht. Ich frage mich hinterher manchmal, ob das ein Ausnahmezustand ist – und selbst wenn, ob unsere Freundschaft ohne Kollateralschäden davonkommen wird.
Janosch Schobin, Soziologe
Janosch Schobin ist Soziologe an der Uni Kassel und befasst sich seit Jahren mit Fragen zu Freundschaft. Er sagt: »Freundschaften können an Lebensumbrüchen wie dem ersten Job einschlafen«, ergänzt aber: »Die Arbeit ist kein Freundschaftskiller.« Vielmehr bräuchten wir unsere Freund:innen, um uns zu orientieren, um die Welt zu ordnen; sie seien »Ratgeber in komplizierten Situationen«. Der Berufseinstieg sei eine solche Situation, und dass man sich mit eventuellen Sorgen an die anderen Job-Neulinge in seinem Umfeld wende: völlig normal.
Schobin sagt: »Mit Freund:innen lassen sich die Enttäuschungen aus der Berufswelt besser verarbeiten, etwa, indem man sich darüber lustig macht.« Freundesgruppen seien vor allem »ein Ort, an dem man erfahren kann, dass der Beruf nicht alles ist«.
Dass der Job nur ein Job ist – das weiß meine Generation eigentlich. Das Meinungsforschungsinstitut Civey hat kürzlich im Auftrag des SPIEGEL mehr als 4000 junge Menschen zwischen 16 und 29 Jahren unter anderem zu ihrem Arbeitsleben befragt. Einer Mehrheit von 57 Prozent ist demnach das Privatleben wichtiger als die Karriere; nur ein Anteil von 28 Prozent hält beides für gleichermaßen bedeutend.
Auch meine Freund:innen und ich denken so, das versichern wir uns immer wieder. Gleichzeitig aber stecken wir in 9-to-5 Anstellungen mit der Aussicht, dass es so bleibt. Die Arbeit beansprucht einen Großteil unserer Aufmerksamkeit, Energie und Zeit. Sie ist ein wichtiger Teil unseres Lebens. Hinzu kommt die Coronapandemie, die, so fühlt es sich zumindest an, unsere Schnittmenge gemeinsamer Nicht-Job-Themen auf ein Minimum schrumpfen lässt. So als bliebe nur noch die Arbeit, an der wir uns festhalten, über die wir uns sicher definieren – und über die wir sprechen können.
Die Einstellung zum Job als Gefahr
Es sei nicht problematisch, wenn Freund:innen im Laufe des Lebens mehr über die Arbeit reden, sagt Soziologe Schobin. Schwierig werde es nur dann, wenn die Person nicht mehr aus der Berufsrolle herauskomme und auch bei den Treffen arbeite. Oder aber, wenn sich die Person unverstanden fühle – am Arbeitsplatz und in der Freundesgruppe. Den Fall, dass Belastungen einseitig werden, die Balance zwischen Geben und Nehmen also verloren geht, gebe es in Freundschaften häufig, sagt Schobin. Es könne sogar sein, sagt die Psychologin Asselmann, dass sich selbst langjährig Befreundete mit der Zeit mehr und mehr auseinanderlebten, wenn sie feststellten, dass der Freund oder die Freundin »eine ganz andere Einstellung zum Job hat als sie selbst«.
Eva Asselmann, Persönlichkeitspsychologin
Dass unsere Freundschaft nur noch so dahinplätschert und irgendwann ausläuft, möchte ich unbedingt vermeiden. Dafür bin ich auch zu einer Extra-Anstrengung bereit. Was aber kann ich tun? Wie rette ich die Freundschaft vor unseren Jobs?
Wer mit Freund:innen weniger über die Arbeit reden möchte, dem empfiehlt Asselmann, vor einem Treffen eine bewusste Zäsur zu setzen, um die Berufsrolle abzustreifen. Man könne etwa nach Feierabend eine Runde um den Block gehen oder joggen, um auf andere Gedanken zu kommen. Wer versuche, sich so von seinem Job abzugrenzen, vergesse aber oftmals etwas Entscheidendes, sagt Asselmann: »Der Job steckt bereits bei vielen von uns in der Persönlichkeit. Zum einen, weil wir uns einen suchen, der zu uns passt, und zum anderen, weil diese Passung durch den Job noch weiter verstärkt wird.«
Entspannt bleiben, so gut es geht
Steckt hinter all den Job-Geschichten also womöglich gar kein neuer Mensch, sondern nur der Wunsch nach Rat in einer schwierigen Situation? Der Wunsch nach dem wohligen Gefühl: Schön, dass du da bist und diese Erfahrungen gerade auch machst.
Ich hoffe es. In Zukunft möchte ich jedenfalls entspannter sein, ein Ratgeber, so gut es eben geht. Denn wenn ich die beruflichen Sorgen meiner Freund:innen nicht ernst nehme, nehme ich auch sie nicht ernst.
Andersherum gilt aber auch: Sollte mich am nächsten Mittwoch jemand nach meiner Arbeit fragen, werde ich von diesem Text erzählen. Davon, wie oft ich ihn umformulieren musste, und wie froh ich am Ende war, es geschafft zu haben. Keine Ahnung, ob das wirklich alle hören wollen. Aber ich will daran glauben, dass gute Freundschaften nicht an Gesprächen über den Job zerbrechen. Sondern daran, dass man aufhört, miteinander zu sprechen.