entscheiden ZIPFEL DER FREUNDSCHAFT
Es ist zwei Uhr morgens. Im Keller der Akademischen Verbindung »Hansea-Berlin zu Köln« wird ein Geburtstag gefeiert. Draußen weht eine hellblau-rot-weiß gestreifte Fahne, von einem Regal im Keller starrt ein ausgestopfter Fuchs die pokulierenden Studenten an. Die Männer tragen ein breites Band in den Verbindungsfarben über der Schulter. Die Frauen müssen ohne diesen Farbschmuck feiern.
Die Gäste Nicole Gawlitza, Gila Mohring, Ulrike Bierther und Simone Puj 0l Bell diskutieren an diesem Abend zum letzten Mal ihr Lieblingsthema. »Entweder gründen wir sie heute, oder wir lassen es sein«, sagt Simone.
Das war vor wenigen Monaten. Heute sitzen die Frauen in dunkelblauen Anzügen beisammen und erzählen, wie sie an jenem Abend die vorerst jüngste Studentenverbindung für Damen in Deutschland gründeten. Sie präsentieren stolz ihr erstes »Couleursemesterprogramm« sowie einen kleinen weißen
Zettel, auf den sie ihre gemeinsamen Prinzipien geschrieben haben: Amicitia (Freundschaft), Scientia (Wissenschaft), Caritas (Wohltätigkeit) und Civitas (Bürgerschaft). Und wenn sie jetzt in der AV »Hansea-Berlin« zu Gast sind, tragen sie ihre eigenen »Couleurs": blau-rot-goldene Weinbandschleifen auf der Brust.
Auch wenn die vier in der Akademischen Damenverbindung »Helenia zu Köln« bislang noch ziemlich unter sich sind, gehören sie jetzt zu einer Schwesternschaft von mehr als 20 ähnlichen Verbindungen an deutschen Hochschulen.
»Warum wollen Frauen dieselbe dumme Sache den Männern nachmachen?«, war der Vorwurf an Gudrun Althoeffer, als die Juristin 1983 in die neu gegründete »Merzhausia« zu Freiburg eintrat. Ihre Antwort: »Für mich waren Damenverbindungen Emanzipation.« Schon Anfang des vergangenen Jahrhunderts haben sich Frauen in Verbindungen engagiert, um für ihre Zulassung an deutschen Universitäten zu kämpfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber gab es keine Damenverbindungen mehr in Deutschland. Erst 1976 lebte die Tradition in Münchberg mit der Gründung der »T.T.D.V. Ferra Floris« langsam wieder auf. Frauen in Tübingen, Berlin, Göttingen und anderen Universitätsstädten setzten den Trend in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren fort. Auch heute kann von einem Mitgliederansturm keine Rede sein. Rund 100 neue Studentinnen wollen jährlich eine Couleur der über 20 deutschen Damenverbindungen tragen.
Alte Männertraditionen möchten die Studentinnen dabei freilich nicht einfach nachahmen. »Wir sind nicht schlagend«, sagt Christine Rathmann, »Seniora« von »Parnassia« in Göttingen, »wir trinken kein Bier, und wir sind überhaupt nicht politisch.« Die Göttinger haben dafür sogar ihre eigene Sektmarke: Wappen und Zirkel der Verbindung zieren das Etikett der Flaschen. Für Besuche bei Männerverbindungen gilt jedoch die Regel: nicht mehr als zwei Glas Sekt. So kommt das seriöse Image nicht in Gefahr.
Allen Damenverbindungen ist ein Ziel gemein: einen »Lebensbund« mit gleich gesinnten Frauen zu schließen. Sie wollen mehr als eine vergängliche Uni-Bekanntschaft. Darum singen die Studentinnen im Verbindungslied der »Parnassia":
»Grün und blau auf weißem Grunde
zeigen unsere Schleifen klar;
denn wir fühlen uns verbunden
ewig mit Parnassia,
ewig mit Parnassia.«
Ewige Freundschaft ist sogar Teil der Vereinsstatuten. Die Mitglieder verpflichten sich formell, miteinander in Kontakt zu bleiben. Wie die meisten Gruppen lädt die »Parnassia« mindestens einmal im Jahr ihre Aktivitas (gegenwärtige Mitglieder) und Hohen Damen (ehemalige Aktivitas) zu einer Begegnung ein. »Ich hoffe, dass ich, wenn ich 80 bin, hier sitze und erzählt bekomme, wie es mit der Verbindung weitergeht«, sagt die Hautärztin Ulrike Ahlers, Mitbegründerin der »Parnassia«. Dieses Jahr war nur die Hälfte der 41 Mitglieder zu dem Treffen gekommen.
Treueschwüre allein sind freilich nicht abendfüllend. Jede Aktiva muss eine Aufgabe übernehmen: Sprecherin, Kassiererin oder Schriftführerin beispielsweise. »Durch Vorträge und Teamwork und alles, was wir zusammen machen, ist es unser Ziel, das Selbstbewusstsein der Frauen zu fördern«, sagt die Hohe Dame Mara Kunkel, 31, von der »Concordia Feminarum« in Kiel.
Zur ewigen Frauenfreundschaft gehört auch Hilfestellung bei Problemen im Studienalltag. Die angehende Lehrerin Nicole Gawlitza etwa fühlte sich von ihrem Examen an der Uni Heidelberg überfordert. Glücklicherweise kannte sie durch die Verbindung »Nausikaa« eine junge Referendarin, die ihr beistand. »Ich habe Kirsten immer angerufen und gesagt, >O Gott, ich sterbe, ich kann nicht mehr lernen!<« Dank Kirsten kam sie durch.
Dieser besonderen Beziehung wollte Nicole Ausdruck verleihen. Deshalb tauschte sie mit Kirsten einen so genannten Zipfel. Sie ließ zwei Silberanhänger gravieren: »Kirsten, deine liebe Nicole, Wintersemester 2000-2001: Therapeut« steht auf dem einen; »Therapiert« auf dem für Nicole. Die Anhänger sind an einem Band in den Farben der »Nausikaa« befestigt.
Am ersten Tag trugen beide Frauen die Zipfel am Revers - aber erst, nachdem sie diese in ein Sektglas getunkt und die Gläser geleert hatten. Ab Mitternacht durften sie die Zipfel dann am Zipfelbund auf Höhe des untersten Knopflochs der Jacke tragen.
* Ulrike Bierther (l.), Nicole Gawlitza (2. v. r.), GilaMohring (r.).VERBINDUNG ZU VERBINDUNGENADV Helenia zu KölnNicole Gawlitza, 0221-7021-736http://de.geocities.com/advheleniaAV Parnassia zu GöttingenChristine Rathman, 0551-790-8070http://home.t-online.de/home/ A.V.ParnassiaADV Concordia Feminarum in KielSvante-Lucia Hauschildt, 0431-334-376,www.concordia-feminarum.deAV Merzhausia zu Freiburgwww.merzhausia.deAV Nausikaa Heidelbergwww.avnausikaa.de