
100 Jahre Tabak- und Alkoholwerbung Sinnliche Sucht

Wie verkauft man ein tödliches Gift? In der Funktion einer Arznei. Als in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts die ersten Warnungen über die gesundheitsschädigende Wirkung des Tabakrauchs ins amerikanische Bewusstsein schwebten, erfand Lucky Strike den "Rachenschutz". Die Konkurrenz bei der R. J. Reynolds Tobacco Company behauptete einfach: "Ärzte rauchen Camel mehr als jede andere Zigarettenmarke", und belegten dies durch gefälschte Zeugnisse "echter" Ärzte.
Die Menschen sollten sich keine Gedanken über "Sargnägel" und "Raucherhusten" machen, sondern weiterrauchen, also mussten unanfechtbare Werbeträger her. Und wer ist vertrauenswürdiger als ein Arzt? Die werbenden Mediziner - ob mit oder ohne Approbation - erfüllten außerdem noch eine weitere Funktion. Zigaretten galten damals als Statussymbol, modisch wie gesellschaftlich.
Daran ist auch Hollywood nicht ganz unschuldig. Leinwandidole hatten einen gewaltigen Einfluss darauf, dass Alt und Jung zum Glimmstängel griffen - und mit Alkohol nachspülten. In den Produktionen aus Hollywood wurde gequalmt und gebechert, als gebe es kein Morgen. Die ersten Worte von Greta Garbo in einem Tonfilm lauten: "Gib mir einen Whiskey mit Ginger! Und nicht knausrig sein."
Sublimer lief die Gehirnwäsche bei British American Tobacco. Edward L. Bernays, Massenmanipulator und Vater der Propaganda, hatte ebenfalls die Idee, eine Heldinnengeschichte zu erzählen. Der Vater der modernen Public Relations verkaufte keine Produkte, er veränderte Konventionen und Verhaltensweisen. Zum Beispiel, dass eine Frau nicht raucht.
1929 engagierte er für die traditionelle Osterparade auf der Fifth Avenue in New York eine Gruppe Feministinnen, die während des Umzugs aus ihren Strumpfbändern Zigaretten zogen und diese in aller Öffentlichkeit rauchten. An die Presse hatte er die Information gegeben, dass während der Parade Frauenrechtlerinnen "Torches of Freedom" (Fackeln der Freiheit) entzünden würden. Ein neuer Markt war geschaffen.
Machos und Maskottchen
Wie eng Tabak- und Alkoholwerbung mit der US-amerikanischen Popkultur verwoben sind, zeigt Jim Heimann in "20th Century Alcohol & Tobacco Ads", dem jüngsten Teil der 20th-Century-Reihe des Taschen-Verlags. In dem Bildband erläutert Heimann gemeinsam mit Steven Heller, einem Fachmann für visuelle Gestaltung, wie die Amerikaner in den vergangenen einhundert Jahren Vergnügungen serviert bekamen, die Gesundheit und Wohlergehen steigern und gefährden.
Vorgestellt werden Werbeplakate und Kampagnen aus den Jahren 1900 bis 1999; von Heile-Welt-Illustrationen über nüchterne Produktfotografie bis hin zur kreativen Meisterleistung ist alles dabei. Werbeikonen wie der Marlboro-Man, die so bekannt sind, dass Produkte teilweise gar nicht abgebildet werden mussten, treffen auf von Andy Warhol designte Wodkaflaschen.
Rauch, Rausch und Rassismus
Bis in die Sechzigerjahre transportierten die Motive neben der Rauch-und-Rausch-Reklame mitunter auch den Rassismus der Gesellschaft. Afroamerikaner wurden erst ab den späten Sechzigern als Zielgruppe entdeckt und dann umso aggressiver umworben. Sexistische Stereotype hielten sich noch länger. Während die Männer Maskulinität verkörpern sollten, blieben die Frauen oftmals auf das Sexobjekt oder die Servierdame beschränkt.
Alkohol und Tabak gehören und gehörten zu den in den US-Medien am intensivsten beworbenen Produkten. Insofern liefern die 392 Seiten auch einen Streifzug durch die jüngere US-Geschichte: Crash und Boom, Prohibition, Zweiter Weltkrieg, Wohlstand und Babyboom, das Aufkommen der Cocktailkultur, die wilden Sechziger und Bürgerrechte, die bunten Achtziger und schließlich der Kampf gegen das Rauchen.
Preisabfragezeitpunkt
17.01.2021 10.45 Uhr
Keine Gewähr
Jedes der insgesamt neun Kapitel wird eingeleitet von lesenswerten Essays, die beschreiben, wie die Werbeindustrie es immer wieder schaffte, Drinks und Zigaretten neu zu erfinden und als festen Bestandteil eines nachahmenswerten Lebensstils zu stilisieren - allen gesetzlichen Maßnahmen zum Trotz.
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1919: Werbeanzeige für Murad, "die türkische Zigarette" (von einer griechischen Firma mit Sitz in New York).
Die Zigarettenschachtel von Old Gold tanzte dienstags und donnerstags in beliebten TV-Unterhaltungssendungen auf ABC und NBC.
Lucky-Strike-Zigaretten schmecken angeblich nicht nur besser, sondern sind auch "dein bester Freund".
Eine perfekte Kombination? Die Biermarke Carta Bianca warb 1943 mit kostenlosen Grillrezepten.
Asti kommt aus den italienischen Provinzen Asti, Cuneo und Alessandria - oder aus Asti in Sonoma County im US-Bundesstaat Kalifornien. (Anzeige von 1952)
Schlitz-Werbung von 1951: Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Bier zum Alltagsgetränk stilisiert. Da damit Status als Verkaufsargument wegfiel, konzentrierten sich die Werber auf den Geschmack des Gerstensafts.
Mit Beginn der Siebzigerjahre tauchten im Zuge der Bürgerrechtsbewegung allmählich auch schwarze Models in der Werbung auf (Kent-Anzeige von 1970).
Darrell Winfield war einer von mehreren Marlboro-Man-Darstellern, die der ursprünglich bei Frauen beliebten Filterzigarettenmarke ein männliches Image verpassten. Der Farmarbeiter vermietete für mehr als 20 Jahre sein wettergegerbtes Gesicht an die Firma.
In den Achtzigern und Neunzigern war der Einsatz von Maskottchen beliebt. Spuds MacKenzie, Bud Lights Partyhund, hatte seinen ersten Auftritt in einem TV-Spot während des Superbowl.
Werbung als Wandschmuck: Fans der Gin-Marke Tanqueray (oder des Models) konnten dieses Werbemotiv für fünf US-Dollar beim Hersteller erwerben.
Alle Motive stammen aus "20th Century Alcohol & Tobacco Ads", 392 Seiten, erschienen im Taschen-Verlag, Preis: 30 Euro.