Alkoholfreie Essensbegleitung "Tannenlimo schmeckt gut mit Pilzen"

Nicole Klauß, geboren 1969, hat Kunstgeschichte studiert und als Eventmanagerin gearbeitet. Seit ihrer Ausbildung an der Deutschen Wein- und Sommelierschule berät sie Gastronomen und bloggt auf "Lokalverstärkung" über Essen und Trinken. Sie lebt in Berlin.
SPIEGEL ONLINE: Frau Klauß, auf Ihrem Küchentisch stehen Käse, Fisch und grüne Limo. Was machen wir damit?
Klauß: Moment, erst setze ich noch Tee auf, dann probieren wir das zusammen: den Oolongtee mit dem Bergkäse, der schmilzt dann im Mund. Und die Gurkenlimonade mit der Forelle, denn Gurkensalat würde ich ja auch dazu essen. Damit habe ich auch den Vertrieb meines Verlags davon überzeugt, dass diese neue Trinkkultur ein Thema ist. Der Marketingleiter ist Franzose, Essen ohne Alkohol ist da noch fremder als hier. Der sagte erst: Ich weiß nicht, wozu dieses Buch gut sein soll. Aber auf einmal redeten alle durcheinander. Wenn es um Essen und Trinken geht, hat jeder eine Meinung.
SPIEGEL ONLINE: Weil jeder die Situation kennt: Man geht aus, hat keine Lust auf Bier oder Wein - und dann bleibt einem Wasser, Cola...
Klauß: ...und Apfelschorle. Die Kinderkarte eben. Zu Burger passt Cola ja auch ganz wunderbar. Es ärgert mich, dass Gastronomen einen Riesenhype um ihre Weine machen, alles übers Terroir und die Winzer wissen, und bei mir heißt es dann: "Wasser? Hier bitte." Neulich sprach ich einen doch mal an und sagte: Ihr Motto ist, der Gast soll glücklich sein - und dann servieren Sie Wasser, das zu keinem Ihrer Gerichte passt, weil es zu viel Kohlensäure hat? Darauf reagierte er etwas einsilbig. Es ist mühsam, über Alternativen nachzudenken, klar. Dabei könnten sie mehr Geld verdienen, wenn sie alkoholfreie Begleitung anbieten.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch dröseln Sie viele Kombinationen auf. Sie selbst fingen damit an, als Sie schwanger waren.
Klauß: Aber es gibt ja viele Gründe, keinen Alkohol zu trinken, und seien es religiöse. Oft entscheidet man sich nur für Wein, weil es auf der anderen Karte nichts gibt, was einen froh macht. Ich will nicht missionieren und sagen, Wein ist doof. Nein, Wein ist nicht doof, im Gegenteil. Aber ich will auch mal was anderes haben. Und mich nicht dafür rechtfertigen müssen.
SPIEGEL ONLINE: Wieso fällt es offenbar so schwer, diese Tradition über Bord zu werfen?
Klauß: Auf Alkohol zu verzichten, wirkt hier spaßfrei und unsexy. Es ist sogar völlig normal, bei Geschäftsessen mittags Wein zu trinken. Aber wenn sich rumspricht, dass es auch anders geht, wird es auch gesellschaftlich anerkannter. Okay, den Betrunkenheitsgrad kann ich euch nicht bieten, aber ein rundes Essen, ohne nur Wasser in sich reinzuschütten: Das geht.
SPIEGEL ONLINE: Wenn es selbst in Berlin so schwierig ist, dauert das wohl noch.
Klauß: Dass sich etwas ändert, merkte ich kürzlich auf einer Getränkemesse an den vielen neuen Firmen. Als ich klein war, gab es im Supermarkt eine gelbe und eine weiße Limo, Apfelsaft, Orangensaft, Wasser. Heute sind 17 Regalmeter voll mit sortenreinen Säften und Limonaden. Es gibt sogar Tannenlimo, die würde gut zu Salat mit Pilzen schmecken. Neulich rief ich bei einer Firma an, die auch Gurkenlimo produziert, und die Jungs sagten: "Wie, wozu soll das passen? Das ist einfach ein Sommergetränk!" Diese Firmen müssten nur merken, dass der Verbraucher anders tickt. Es wäre doch schön, wenn auf dem Etikett stünde: Schmeckt gut zu dem und dem Essen.
SPIEGEL ONLINE: Womit fingen Sie an zu experimentieren?
Klauß: Ich landete bei einer Verkostung, bei der es zu zehn Sorten Käse zehn Apfelsäfte gab. So fing ich mit Käse an und machte mit Tee weiter. Tee ist ein dankbarer Partner, weil man an einigen Stellschrauben drehen kann: Es gibt viele Sorten, man kann ihn länger oder kürzer ziehen lassen. Aber alles geht auch nicht. Einmal mischte ich ihn mit Johannisbeersaft, das schmeckte gut, sah aber aus wie das Tuschwasser meiner Kinder.
SPIEGEL ONLINE: Sie ließen sich an der deutschen Wein- und Sommelierschule ausbilden. Inwiefern hat das geholfen?
Klauß: Ich wusste, ich brauche auch eine alkoholfreie Aromenbibliothek im Kopf. Nach dem Motto: Wenn es Steak mit Salat und der und der Sauce gibt, dann macht es klickerklacker und ich weiß: Der Bordeaux passt.
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie so auch diesmal vorgegangen?
Klauß: Anfangs habe ich mich wirklich an Weinaromen entlanggehangelt. Wer ein Weinbuch zu Hause hat, kann sich inspirieren lassen. Aber wenn mir ein Weißwein in den Sinn kam, der nach Aprikose und hellen Früchten schmeckt, suchte ich Säfte, die das spiegeln - und die sind oft zu süß. Besser man überlegt, welche Komponenten das Gericht hat, um eine Art Brücke zu bauen, über die Essen und Getränk sprechen können. Im Pfeffer ist etwa der Stoff Limone enthalten, sodass bei entsprechenden Gerichten etwas ganz Simples funktioniert: In eine Karaffe Wasser haue ich Zitronenscheiben rein, schüttel das gut durch, fertig. Zu Wild serviert man gerne Johannisbeergelee, also sucht man passende Säfte.
SPIEGEL ONLINE: Sie verweisen im Buch aber auch auf Restaurants, die Brühe mit verbranntem Lauch oder Zwiebelwasser servieren. Das klingt aufwendig.
Klauß: Ja, manche bauen aus vier Zwiebelsorten einen Sud, fermentieren, stellen ihren eigenen Kombucha und Wasserkefir her. Das ist Sterneniveau. Solche High-End-Ideen breche ich mir runter. Bis mein Mann in die Küche kommt und fragt, ob alles in Ordnung ist, weil es so nach Zwiebeln riecht. Ich will keinen abschrecken. Ich habe bewusst Getränke und Zutaten ausgesucht, die es auch auf dem platten Land im normalen Supermarkt gibt.
SPIEGEL ONLINE: Wasser zum Beispiel. Sie schlüsseln sogar 14 Wassermarken nach Aromen auf - übertreiben Sie da nicht?
Klauß: Das ist schon sehr speziell, ja. Aber als ich mich mit Wassersommeliers unterhielt, probierte ich fünf Sorten durch, jede schmeckte anders. Als Durstlöscher tut es auch Leitungswasser. Das ist besser als abgepacktes: Das Plastik gibt Geschmack ab.
SPIEGEL ONLINE: Sie empfehlen zu Spinat Wasser mit spitzer Kohlensäure. Was bitte ist das?
Klauß: Da ist so viel Kohlensäure drin, dass es pikt, fast sauer schmeckt. Das macht etwas mit dem Gericht, das Sie im Mund haben. Zarte Dinge, etwa Sushi, werden quasi zerstört. Aber in einem japanischen Restaurant bekommen Sie in der Regel sowieso Tee.
SPIEGEL ONLINE: Und welche Alternativen habe ich, wenn ich zum Italiener um die Ecke gehe?
Klauß: Zu Pasta mit Fleisch passt Traubensaft, zu Tomatensauce Verbene-Tee. Ich habe mir auch schon losen Tee in Beutel abgefüllt mitgenommen und nach einem Glas heißen Wassers gefragt. Vielen ist so etwas peinlich. Aber so komme ich ins Gespräch - und auch mal an einen neuen Kunden.
SPIEGEL ONLINE: Wenn man keinen Wein will, räumen die Kellner sofort die Weingläser ab. Tut's auch ein Wasserglas?
Klauß: Bloß nicht. Das Auge trinkt mit. Jedes Getränk hat verdient, in einer adäquaten Form präsentiert zu werden. Man kann auch Apfelsaft im Weißweinglas servieren.
Textauszug: Rezept für Birne-Ingwer-Shrub
Passt zu: Curry; asiatischem Sommersalat mit Mango; grünem Sommersalat mit gebratenem Hühnchen; asiatisch zubereiteten Gerichten mit Fisch oder Meeresfrüchten.
- 6 reife Birnen (schälen, das Kerngehäuse entfernen und in kleine Stücke schneiden)
- 100 g frischer, geriebener Ingwer
- 240 g feiner Zucker - 240 ml Apfelessig
Birnen mit einer Gabel zerdrücken, Ingwer und Zucker in einer Schüssel untermischen und einen Tag ziehen lassen. Der Zucker wird jetzt den Saft aus den Birnen und dem Ingwer ziehen. Ab und zu durchrühren, damit sich der Zucker komplett auflöst.
Dann die Mischung durch ein feines Sieb in eine Schüssel gießen, um die festen Stückchen herauszufiltern. Den Birnensirup mit Apfelessig vermischen. Dann den Shrub in ein dicht verschließbares Glas geben und kräftig schütteln, bis sich sämtlicher Zucker aufgelöst hat. Eine Woche im Kühlschrank ziehen lassen.
Ein Shrub ist eine Art Sirup-Essig-Mischung. Das Grundrezept aus Gemüse oder Früchten mit Zucker und Essig können Sie beliebig variieren, etwa mit Gurke.
Im Wesentlichen lassen sich Shrubs heiß oder kalt herstellen - die kalte Methode dauert deutlich länger, für die Geduld wird man aber mit einem aromatischeren Getränk belohnt. Ungeduldige können das zerdrückte Obst mit Zucker und ein bisschen Wasser im Topf erhitzen und aufkochen, bis eine Art Sirup entsteht ("Hot Processed Shrub"). Dann lässt man den Sirup auskühlen, gießt ihn durch ein Sieb und vermischt den gefilterten Sirup mit Essig.
Bei der kalten Herstellungsmethode ("Cold Processed Shrub") werden die Früchte (oder das Gemüse) mit Zucker vermischt und ziehen ein bis zwei Tage. Der Zucker zieht den Saft aus den Früchten, und es entsteht ebenfalls ein Sirup, der dann ebenfalls gefiltert und mit Essig gemischt wird. Die Früchte bleiben roh, und der Geschmack der Shrubs wirkt frischer und aromatischer. Nutzen Sie den Shrub wie einen Sirup: Servieren Sie ihn mit Mineralwasser oder stillem Wasser.