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Zukunft der Stadt »In Fußgängerzonen dürfen Sie nur laufen und kaufen – grauenhaft«
SPIEGEL: Herr Mäckler, Sie ärgern sich über Fußgängerzonen. Warum?
Mäckler: Ich ärgere mich über Zentren, die keine funktionale und soziale Mischung haben. Ausdruck dieser fehlenden Mischung ist die Fußgängerzone.
SPIEGEL: Fast alle mittelgroßen und großen Städte haben solche Einkaufsstraßen, verkehrsbefreit und ausschließlich Fußgängern vorbehalten. Warum sind Sie kein Fan davon?
Mäckler: Das klingt so nett bei Ihnen. Fußgängerzonen sind ja keine Oasen, sondern Shoppingmalls, nur ohne Glasdach. Da dürfen sie nur laufen und kaufen, sonst nichts. Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als daran etwas zu ändern, weil die Leute diese Einkaufsstraßen aus den verschiedensten Gründen meiden, zunehmend übrigens auch in Frankfurt, obwohl diese Stadt mit der Zeil sogar über eine der noch kaufstärksten Konsummeilen in Deutschland verfügt. Aber schauen Sie sich da einmal um, eine grauenhafte Stimmung.
SPIEGEL: Die Geschäfte sind geschlossen, weil das zu den Maßnahmen in der Coronapandemie gehört. Infolgedessen sind die Innenstädte verwaist. Glauben Sie an einen Aufschwung nach dem Ende dieser Pandemie?
Mäckler: Nein. Fußgängerzonen sind schon viel länger in der Krise, da ist Corona höchstens ein Brandbeschleuniger. In den USA zeigt sich, dass die Zeit der Shoppingmalls vorbei ist, immer mehr von ihnen stehen leer oder verfallen. Die europäische Stadt sollte ihre Zentren als normale Viertel, mit normalen Stadtstraßen wiederbeleben, so wie wir sie früher kannten. Also mit einer Mischung von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Gastronomie und vielem anderen mehr.
SPIEGEL: Eine kleinteilige Durchmischung wird schon lange beschworen – doch zugleich wurden die Einkaufszentren und Kaufhäuser immer noch größer.
Mäckler: Leider! Wir sollten auf Städte wie Heidelberg oder Regensburg schauen, da wird in der Innenstadt nicht nur eingekauft, sondern auch noch gewohnt. Und automatisch wirkt da nichts künstlich, aseptisch. Natürlich sind die Altstädte dort auch schön, die Leute genießen den Stadtraum, trinken mal einen Kaffee. Machen Sie das mal in einer der großen Fußgängerzonen oder in einer Mall! Das hat doch nicht denselben Charme.

Fußgängerzone in Hannover
Foto:Hauke-Christian Dittrich / DPA
SPIEGEL: Warum hat man in vielen deutschen Städten dann etwas gebaut, das die Menschen als kalt und unwirtlich empfinden?
Mäckler: Diese Zonen waren eine Reaktion auf die verkehrsgerechte Stadt der Nachkriegszeit, in der dem Auto absolute Priorität eingeräumt wurde. Diese Periode war eine Katastrophe für die Stadtzentren. Die Politik hat nicht die Autos verbannt, sondern die Fußgänger in wenige autofreie Straßen gesperrt. Doch längst haben die Leute keine große Lust mehr, durch diese Art von Straßen zu spazieren. Und auch nicht durch ihre überdachten Pendants, die riesigen Einkaufszentren.
SPIEGEL: In der Hamburger HafenCity wird gerade auf rund 100.000 Quadratmetern ein Einkaufsquartier mit 200 Geschäften auf drei Ebenen gebaut. Offenbar glauben die französischen Investoren sehr wohl an eine Zukunft solcher XXL-Malls.
Mäckler: Anfangs werden die Leute da ja auch regelrecht hineingesogen. Alles ist neu, und es ist gleichgültig, dass solche Gebilde von außen immer hässlich sind, weil sie sich der öffentlichen Straße verschließen. Auf lange Sicht aber wünsche ich den Investoren viel Spaß, denn die Umsätze von Malls sind nun einmal rückläufig. Das Konzept ist sehr alt und nicht zukunftsweisend. Betreiber bestehender Shoppingcenter machen sich längst Gedanken, wie sie die Leere mit Events und anderem Entertainment vertreiben. Und für Hamburg wird das langfristig nicht ohne Folgen bleiben. Für das echte Zentrum rund um die Alster wird es noch schwerer. Mehrere Kaufhäuser und einige Geschäfte sind ja schon geschlossen.
SPIEGEL: Sie möchten die Innenstädte beleben – unter anderem, indem Sie den Autoverkehr wieder zulassen. In Hamburg wurde der gerade aus der City verbannt. Warum sollte Verkehr die Lösung sein?
Mäckler: Der Autoverkehr ist eine Maßnahme unter vielen, um Innenstädte zu normalisieren. Das Fahrrad ist ebenso wichtig und hat in den vergangenen dreißig Jahren einen unglaublichen Aufschwung genossen. Ich selbst würde nie auf die Idee kommen, im Zentrum von Frankfurt mit dem Auto zu fahren. Da nehme ich das Rad, das geht schneller. Fangen wir also mit dem Rad an und erlauben Fahrradverkehr wieder in solchen Straßen, die bis heute nur Fußgängern vorbehalten sind.

Erholung für Mensch und Klima: Für 225 Millionen Euro will die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo die Champs-Élysées in eine grüne Flaniermeile umwandeln lassen
Foto: PCA-STREAMSPIEGEL: Aber Autos wollen Sie dort auch.
Mäckler: Ja, denn es wird neue Antriebstechnologien geben, die eben nicht mehr die Umwelt verpesten. Dann kann ich auf einer Bank sitzen, und auf der Straße vor mir fahren leise, emissionsfreie Autos, die nicht mit einem im Grunde vor 100 Jahren erfundenen Ottomotor angetrieben werden.
SPIEGEL: Fällt ein E-Auto für Sie unter Großstadtflair? Was sollen Autos in den Städten bringen?
Mäckler: Die resiliente Stadt ist die Stadt der Vielfalt. Die öffentlichen Straßen sind ihre Lebensadern. Der öffentliche Raum ist der Sozialraum unserer Demokratie, wir dürfen ihn nicht einfach sterben lassen, sondern müssen uns im Gegenteil bemühen, ihn mit seinen Straßenfassaden als öffentlichen »Wohnraum« zu gestalten. Zu diesem sozialen Raum gehört, dass er zugänglich ist für Leute, die zu Fuß laufen, die mit dem Fahrrad, E-Scooter oder Pkw fahren. Alles muss möglich sein, Spaziergänge, der Kinobesuch, auch kleine Betriebe zu eröffnen und vor allem, dort zu wohnen. So wie früher. Wir müssen zur Normalität zurück, wie wir sie aus den Gründerzeitvierteln kennen, die die Gesellschaft heute als die beliebtesten Quartiere schätzt.
SPIEGEL: Aber früher war nicht alles besser. Selbst in großen historischen Metropolen wie Paris werden neue Wege beschritten, große Bereiche des Zentrums werden umgeplant, sie sollen den Charakter von Parks erhalten. Die Bürgermeisterin dieser Metropole gilt als Pionierin einer ökologischen Stadterneuerung.
Mäckler: Glaubt sie wirklich, es reicht, mal eben die Champs-Élysées zu begrünen, damit aus Paris eine ökologische Stadt wird? Das ist typische Politikmache und Augenwischerei! Zu dieser Strategie gehören auch die Diskussionen über grüne Fassaden. Ich halte von Begrünung nur etwas, wenn wir über echte Bäume sprechen, die eine echte Sauerstoffproduktion gewährleisten. Grüne Fassaden sind reine Dekoration.
SPIEGEL: Echte Bäume in der deutschen Fußgängerzone wären sehr wohl ein Fortschritt?
Mäckler: Ich vertrete eine gewisse Selbstverständlichkeit im Städtebau. Großkronige Bäume sind großartig. Das waren sie immer schon, wir Deutschen haben aber unsere Schwierigkeiten mit alten Bäumen, weil wir Angst vor Verschattung und noch mehr vor Laub haben, das im Herbst weggefegt werden muss. Wenn die Hamburger in der Mönckebergstraße noch mehr Bäume pflanzen wollen, gern. Damit retten wir aber nicht unsere Innenstädte!
SPIEGEL: Was also ist die bessere Strategie?
Mäckler: Wir leben mit Verkehrskonzepten aus den Siebziger- und Achtzigerjahren mit Fußgängerzonen und Verkehrstrassen, da frage ich mich: Warum ist es ein Tabu, sie infrage zu stellen? Es gibt komplizierte Systeme von Einbahnstraßen, die dazu führen, dass die Leute eher Umwege fahren und länger im Auto unterwegs sind – also mehr Verkehr erzeugen. Typisch deutsch sind genauso diese Malereien auf den Straßen, diese weißen Striche, die Fahrspuren abteilen. Diese lächerlichen Markierungen finden Sie übrigens in Paris nicht. Auch nicht in Mailand. Wir aber geben dafür in unseren Städten Millionenbeträge aus.
SPIEGEL: Was ist mit der Bebauung? Tatsächlich geben viele große Handelsketten mehr und mehr Standorte auf, ziehen sich aus Innenstädten zurück. Was aber machen wir – Ihrer Vision zufolge – mit den vielen vorhandenen Gebäuden in den Innenstädten? All den großen Kaufhäusern?
Mäckler: In den Fußgängerzonen können Sie bisher üblicherweise nicht wohnen, also wird man versuchen müssen, das Wohnen in die Innenstädte zurückzuholen. Aber natürlich haben Gebäude, in denen bisher beispielsweise Karstadt-Filialen untergebracht waren, enorme Tiefen, mit tiefen Verkaufsflächen. Die können Sie nicht so leicht umbauen zu Wohnungen, nicht einmal zu Büros.
SPIEGEL: Also abreißen?
Mäckler: Sie werden mit Sicherheit das eine oder andere Gebäude abreißen müssen. Sie werden solche Flächen nicht mehr zum bisherigen Preis vermieten können, der Unterhalt aber kostet weiter. Vielleicht wird es Übergangskonzepte geben, bevor eine Wertberichtigung vorgenommen wird.
SPIEGEL: Das alles bedeutet enorme Investitionen.
Mäckler: Richtig. Aber was wollen Sie auch anfangen mit einem monofunktionalen Gebäude, in das keiner mehr geht? Wenn Sie in einer ehemaligen Fußgängerzone ein Wohnhaus errichten, können Sie zur Finanzierung auch ein paar Eigentumswohnungen unterbringen. Das ist alles besser, als die City Stück für Stück verfallen zu lassen. Auch die Städte werden nicht umhinkommen, Gelder in die Hand zu nehmen, um ihre monofunktionalen Straßen umzugestalten.
SPIEGEL: Zu jedem Kaufhaus führen Straßen für die Anlieferung. Es besteht also keine Notwendigkeit, die Fußgängerstraßen für Autos zu opfern. Daraus könnten dann Parks werden.
Mäckler: Klingt gut, ist aber zu kurz gedacht. Gehen Sie nachts durch einen Park? Eher nicht, durch eine gut beleuchtete, bewohnte Straße gehen Sie hingegen durchaus. Sie flanieren nachts auch nicht durch eine menschenleere Fußgängerzone. In Frankfurt an der Fußgängerzone Zeil stehen Polizeiwachen. Nachts gehen Polizeistreifen los, weil es in der Zeil jede Menge Ärger gibt. Die soziale Kontrolle fehlt, weil keiner dort wohnt, weil nicht einmal ein Taxi durch eine Fußgängerzone fahren darf. Eine Straße ist erst einmal ein Verkehrsweg, und wenn ich den schließe, habe ich nachts Probleme. Und da will ich dann auch nicht wohnen. Das heißt nicht, dass ich eine – richtige – Begrünung eines Verkehrsweges ablehnen würde. Aber ohne Verkehrswege lassen sich die Innenstädte nicht retten.
SPIEGEL: Wenn die Shoppingviertel nun in Wohn- und Gewerbegebiet transformiert werden – worin unterscheiden sie sich dann vom Rest der Stadt?
Mäckler: Nehmen wir noch mal Hamburg als Beispiel mit der Binnenalster im Zentrum, dort gibt es das Rathaus, viele Kirchen und die einmaligen Kontorhäuser mit ihren fantastischen Fassaden. Diese Attraktivität haben nur wenige andere Städte. In den Fußgängerzonen geht man meist an hässlichen Blechfassaden und öden Glasfassaden vorbei.

Hamburgs Binnenalster mit der Sankt-Petri-Kirche (l.) und dem Rathaus im Hintergrund
Foto: mf-guddyx / Getty Images/iStockphotoSPIEGEL: Die Coronapandemie hat bei vielen Unternehmen zum Umdenken geführt: Sie werden auch in Zukunft Arbeit ins Homeoffice verlagern. Was wird dann aus den frei werdenden Flächen?
Mäckler: Es werden ja nicht alle Büroflächen verschwinden, denn es werden ja weiterhin Menschen zu ihrem Job in der City fahren wollen. Manches aber wird sich vielleicht in die kleinen Städte rund um die Metropolen verlagern, dort sehe ich gute Chancen für kleinteiligere Büroflächen, die das »Homeoffice« am Wohnort darstellen könnten.
SPIEGEL: Und die riesigen Bankentürme in Frankfurt werden dann nicht mehr gebraucht und abgerissen?
Mäckler: Die kann man umbauen in Wohnungen, das ist nicht so schwierig. Wir sollten diesen Umbruch als Chance begreifen. Die Städte sollten jetzt nach vorn denken und sich verändern. Kein Mensch möchte an einem hässlichen Platz Kaffee trinken. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt und kriegen es nicht hin, Häuser zu entwerfen, deren Platz- und Straßenfassaden einen attraktiven öffentlichen Raum schaffen, in denen die Menschen gern leben, und attraktive öffentliche Räume zu schaffen, durch die vielleicht sogar Touristen gern gehen?