

Weihnachten »Sträuße sind ein super Geschenk – man darf sie wegwerfen«
SPIEGEL: Wir befinden uns auf der Zielgeraden zur Hochsaison der Schenkerei. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie immer früh dran sind – haben Sie denn schon Weihnachtsgeschenke?
Kippenberger: Nicht alle. Normalerweise kaufe ich auch zwischendurch mal etwas, wenn ich auf Reisen bin und – gerade im Ausland – Überraschendes finde. Aber das war dieses Jahr schwierig. Und weil ich mich in der Theorie so viel mit Schenken befasst habe, ist die Praxis manchmal zu kurz gekommen: Einige Geburtstage habe ich vergessen. Aber auch sonst wird es vor Weihnachten bei mir schon mal stressig, ich hasse das.
SPIEGEL: Es gibt Menschen, die der Meinung sind, Schenken sei nicht so wichtig.
Kippenberger: Es ist total wichtig, es geht um Freude! Derzeit erst recht. Ich kann mich an keine Zeit nach dem Krieg erinnern, in der die Menschen so bedürftig nach Zuwendung waren wie jetzt. Im ersten Shutdown haben viele spontan anderen eine Freude gemacht: einen Kuchen gebacken, eine Frau, deren Urlaub ausfiel, hat einer Buchhandlung sogar eine Monatsmiete geschenkt. Schenken ist auch wichtig, weil man sich nicht nur mit sich selbst beschäftigt, sondern mit anderen. Schenken heißt immer zu teilen, was man hat – Emotionen, Fähigkeiten, Geld. Das ist essenziell im Leben von Menschen im Kleinen wie im Großen in der Gesellschaft.
SPIEGEL: Schenken gegen die Ichbezogenheit. Aber wie schaffen Sie es zu schenken, ohne etwas dafür zu erwarten?
Kippenberger: Ob das völlig altruistische Schenken existiert, weiß ich nicht. Die Freude des anderen gibt mir ja was. Alle akademischen Bücher übers Schenken, die ich gelesen habe, verurteilen das Schenken in höchstem Maße, es sei alles nur egozentrisch, heuchlerisch. Aber klar: Der andere soll sehen, dass man sich Mühe gegeben hat. Aber es ist immer beides, ein Geben und ein Nehmen.
Die Kunst der Großzügigkeit: Geschichten einer leidenschaftlichen Schenkerin
Preisabfragezeitpunkt
31.03.2023 23.43 Uhr
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SPIEGEL: Schon Ihre Mutter war eine große Schenkerin, Sie kennen es nicht anders. Aber wie lässt es sich lernen?
Kippenberger: Indem man es als Kind vorgelebt bekommt. Das ist wie zweisprachig aufzuwachsen – Schenken ist eine Sprache der Gefühle. Aber das Wort Gabe steckt auch in Begabung. Für Erwachsene wäre es ein Anreiz, dass es ein großer Spaß ist, jemandem eine Freude zu machen. Sich zu erinnern, worüber man sich selbst gefreut hat, macht es leichter. Ein Freund, der aus einer großen Familie kommt, hat mir etwa erzählt, dass seine Patentante früher Dinge nur mit ihm unternommen hat. So was vergisst man nicht.
SPIEGEL: Haben sich Ihre Schenkprinzipien über die Jahre gewandelt?
Kippenberger: Auch wenn bei Geschenken der emotionale, nicht der monetäre Wert zählen soll, habe ich etwa eingesehen, dass junge Leute Geldgeschenke gut gebrauchen können. Und früher fand ich es langweilig, Sträuße geschenkt zu bekommen. Aber jetzt, mit über 60, muss ich sagen: Blumen sind super – nicht nur weil etwa Tulpen jeden Tag anders aussehen. Sondern weil man sie am Ende wegwirft, sie belasten einen nicht länger.
SPIEGEL: Aber was, wenn das Gegenüber überfordert ist von der Geste eines Geschenks?
Kippenberger: Ich bin vorsichtig, wenn Freundinnen und Freunde das Gefühl bekommen, sie geraten unter Zugzwang. Und wenn jemand sagt, er will nichts, wundere ich mich. Er sagt ja damit, ich will nichts von dir, von anderen Menschen, will keine Beziehung. Früher hätte ich mich vielleicht darüber hinweggesetzt. Aber letztlich hat Schenken immer mit Respekt zu tun.
SPIEGEL: Ist das die »Kunst der Großzügigkeit« vom Buchtitel?
Kippenberger: Auch wenn ich so privilegiert war, mir nie finanzielle Sorgen machen zu müssen: Schenken hat nichts mit Geld zu tun. Mit Großzügigkeit meine ich nicht nur, nicht kniepig zu sein. Sie gehört auch zum Nehmen-Können. Etwa indem man nicht sofort beleidigt ist, wenn einem etwas nicht gefällt. Oder nicht sagt: »Das wäre doch nicht nötig gewesen.« Damit wertet man die Geste des Geschenks ab.
SPIEGEL: Und was machen Sie selbst mit Geschenken, die Sie nicht mögen?
Kippenberger: Ich gebe sie zumindest nicht zurück. Ich gehe davon aus, dass man mir eine Freude machen wollte. Wenn ich jemanden kenne, dem etwas davon gefallen könnte, gebe ich es weiter, da habe ich keine Skrupel. Bei meiner Recherche kam heraus, dass viele genau dafür Regeln entwickeln: etwa eine Karenzzeit, bis ein Geschenk weitergeschenkt werden kann. So lange verschwindet es in der Schublade oder im Keller. Aber es gibt ja heute andere Wege, Dinge weiterzugeben: bei Ebay oder auf dem Treppenabsatz im Haus, wie bei uns. Wegwerfen muss man nichts.
SPIEGEL: Ihr Buch basiert auf der Annahme, dass Schenken eine gute Sache ist. Aber gerade mit Blick auf Weihnachten gerät die Sache oft zum Konsumrausch.
Kippenberger: Man muss ja keinen Konsumrausch betreiben. Ich bin handwerklich unbegabt und freue mich total, wenn mir jemand was repariert. Oder über Gutscheine für Konzerte oder Essen, um Zeit miteinander zu verbringen. Bei Geschenken unter Kindern gibt es aber teilweise Geschenkelisten – das sind quasi Bestellungen, mit Schenken hat das nichts mehr zu tun. Ja, ich hebe im Buch das Positive hervor, aber ich leugne nicht die schwierigen Facetten. Es ist eine komplexe Angelegenheit, wie alles Zwischenmenschliche.
SPIEGEL: Das zeigt auch Ihr sechsseitiger Fragebogen rund ums Schenken, den Sie angehängt haben. Eine Frage lautet: Was hassen Sie am Schenken? Was wäre das bei Ihnen?
Kippenberger: Wenn Leute gedankenlos schenken. Dann lieber gar nichts. Im Schenken stecken Zeit, Mühe und Empathie. Wenn jemand all dies überhaupt nicht aufbringt, ist das verletzend, erst recht wenn man sich nahesteht. So wie die Mutter, die ihren Schmuck der Schwiegertochter schenkte – und nicht ihrer eigenen Tochter. Oder dieses Klischee, das mir jemand bestätigte, der ein Geschäft für hochpreisige Kosmetik hat: Jedes Jahr kommen Männer an Heiligabend in ihren Laden gerannt und kaufen völlig überteuerte, unpersönliche Dinge. Er fragte mich, wieso Männer so schlecht schenken.
SPIEGEL: Tun Sie das? Vielleicht weil vor allem Frauen erzogen werden, zuständig zu sein für Fürsorge und Aufmerksamkeit?
Kippenberger: Ich sage weiß Gott nicht, dass Männer nicht gut schenken können. Aber die jahrtausendealte Rollenverteilung ist: Die Männer gehen raus und verdienen das Geld, die Frauen bleiben zu Hause und kümmern sich um Haushalt, Kinder und alle sozialen Belange. Inzwischen arbeiten auch die Frauen, aber in vielen Familien bleibt es dennoch an ihnen hängen: Sie müssen parat haben, wer wann Geburtstag hat, und sich um Geschenke kümmern. Ich glaube, hoffe auf jeden Fall, dass sich das in der nächsten Generation ändern wird. Es ist wichtig, dass Jungs von Anfang an lernen, dass dieses Aufmerksamsein auch ihre Aufgabe ist.
SPIEGEL: Haben Sie denn was Neues übers Schenken gelernt?
Kippenberger: Ich habe viele Geschichten geschenkt bekommen. Es war phänomenal, wie das Thema viele angespornt hat zu erzählen. Und ich habe gelernt, dass es beim Schenken immer um Beziehungen geht: Es schafft sie, hält sie zusammen oder macht sie kaputt. Geschenke begleiten jeden Einschnitt im Leben: Geburt, Taufe, Einschulung, Schulabschluss, Hochzeit oder Beerdigung. Und mir wurde klar, wie viele Dinge in meiner Wohnung, meiner Küche, meinem Kleiderschrank geschenkt sind. Das Wort Souvenir zeigt es deutlich: Jedes Geschenk, das man nicht aufisst oder weggibt, ist eine Erinnerung an jemanden.
SPIEGEL: Beschenken Sie sich auch selbst?
Kippenberger: Ich wollte mir zur Buchpremiere eigentlich was zum Anziehen schenken. Dazu bin ich nicht gekommen. Aber morgen, morgen kaufe ich mir vielleicht was. Wie alle pauschalen Urteile stimmt es nur halb, aber: Jemand, der sich selbst gegenüber geizig ist, ist es auch anderen gegenüber.